Brexit wird Problem für E-Mobilität

Martin Corner, Einkaufschef der urbritischen Nobelmarke Aston Martin Lagonda, kann nur noch mit dem Kopf schütteln: „Die gesamte Auto­mobilindustrie in Großbritan­nien ist bedroht.“ Auch Arbeitnehmervertreter sind alarmiert. „Diese Warnung ist eine brutale Erinnerung daran, dass sich die britische Automobilindustrie auf eine sehr ungewisse Zukunft ­einstellen muss“, erklärte die ­Gewerkschaft Unite.

Stellantis-Chef Carlos Tavares hatte zuletzt offen mit dem Aus der Werke im Vereinigten Königreich drohen lassen. Sein Konzern verlangt nichts weniger als eine Nachverhandlung des Brexit-Abkommens. „Falls die Kosten für die Herstellung von Elektrofahrzeugen in Großbritannien nicht mehr wettbewerbsfähig und tragbar sind, wird der Betrieb eingestellt“, heißt es in einer Stellungnahme im Wirtschaftsausschuss des britischen Parlaments. Gleichzeitig verwies Stellantis auf den Konkurrenten BMW, der die elektrische Version des Mini ab 2024 nicht länger in Oxford, sondern in China bauen lässt.

Schlagzeilen über Fabrikschließungen kann Tory-Premierminister und Brexit-Befürworter Rishi Sunak nun gar nicht gebrauchen. Voraussichtlich nächstes Jahr sind Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich, und den Konservativen droht ein Fiasko. Ihr Prestigeprojekt, der Brexit, stellt sich immer mehr als gigantisches ­ökonomisches Eigentor heraus. Sunak braucht dringend Erfolge. „Seine Regierung führe einen ­Dialog mit der EU, wie man den Bedenken der Autohersteller Rechnung tragen könne“, teilte er vom G7-Treffen in Hiroshima mit.

Die britische Automobilindustrie ist trotz langer Krise immer noch ein wichtiger Wirtschaftszweig im Land. Stellantis hatte zuletzt kräftig investiert und das frühere Opel/Vauxhall-Werk in Ellesmere Port für den Bau elek­trischer Lieferwagen umgebaut. Insgesamt beschäftigt der 14-Marken-Konzern mehr als 5000 Mitarbeiter in Großbritannien.

Hintergrund des Stellantis-­Vorpreschens sind strengere ­Ursprungsregeln für Industrie­produkte ab dem kommenden Jahr. Laut Brexit-Vertrag müssen dann 45 Prozent der Bestandteile eines britischen E-Autos aus dem ­Königreich oder der EU stammen, damit das Auto weiter zollfrei in die EU exportiert werden kann. Ab 2027 muss die Wertschöpfung bei 55 Prozent liegen, im Falle von Batterien gar bei 70 Prozent – das gilt derzeit als nahezu unmöglich.

Bislang stammen die Batterien der meisten Elektroautos aus ­Asien. Die europäische Batteriefertigung ist erst im Aufbau. Der Rückstand Großbritanniens ist dabei besonders krass. Ausdruck war der Konkurs des Start-ups Britishvolt im Januar dieses Jahres. Es wollte im Nordosten Englands eine Gigafatory errichten.

Dem Weckruf von Stellantis schlossen sich rasch Nissan, ­Jaguar Land Rover und Ford an, die ebenfalls Fabriken auf der ­Insel unterhalten. Ford-Europa-Chef Martin Sander nannte eine Überarbeitung der Zollregeln ­unabdingbar. „Eine Verschärfung der Handelsregeln zum jetzigen Zeitpunkt birgt die Gefahr, dass die Umstellung auf E-Fahrzeuge durch Zölle untergraben wird und Kunden, die auf umweltfreund­liche Fahrzeuge umsteigen wollen, unnötige Kosten aufgebürdet werden.“

Der Ford-Manager fordert eine Verlängerung der aktuell noch geltenden Bestimmungen bis 2027. So könne Zeit gewonnen werden für den notwendigen Umbau der Lieferketten. Derzeit investiert Ford gut 400 Millionen Euro in ein Werk zum Bau von Elektromotoren in dem bisherigen Werk für Verbrennungsmotoren in Halewood bei Liverpool.

Was für die Briten ein schwacher Trost ist. Die strikten Ursprungsvorschriften werden zum gesamteuropäischen Problem. „Die neuen Zollbestimmungen stellen ab 2024 einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für die ­europäische Automobilindustrie gegenüber ihren asiatischen Wettbewerbern auf dem wichtigen UK-Markt dar“, sagt VDA-Chefin Hildegard Müller. Damit sei der Hochlauf der E-Mobilität sowohl in Großbritannien als auch in der EU gefährdet. „So wird die Transformation ausgebremst.“

Aus dem Datencenter:

Neuzulassungsveränderung in Westeuropa nach Ländern im März 2023