Automatisiertes Fahren und die Elektromobilität entwickeln sich zu Wachstumstreibern für die gesamte Halbleiterbranche. Um jeweils 20 Prozent jährlich soll der Chipabsatz in diesen Marktsegmenten wachsen, schätzt der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Jeder siebte Halbleiter, so Verbandsexperte Sven Baumann, werde bereits im Jahr 2021 entweder in einem Fahrerassistenzsystem oder in einem elektrifizierten Antrieb seinen Dienst verrichten.
Der Automarkt gewinnt für die Halbleiterhersteller auch deshalb an Gewicht, weil das vor wenigen Jahren noch dominierende Geschäft mit Smartphones und Tablets schwächelt. Einer Trendanalyse des ZVEI zufolge wurden im Jahr 2017 Kfz-Halbleiter im Wert von 45,5 Milliarden Dollar eingesetzt. Bis zum Jahr 2022 soll der um Wechselkursschwankungen bereinigte Wert auf 53,4 Milliarden steigen.
Auch wenn hochautomatisiertes Fahren mit Serienautos erst im kommenden Jahrzehnt möglich sein wird, tragen Umfeldsensoren bereits heute erheblich zum Wachstum bei. Als Beispiel dafür nennt Peter Schiefer, bei Infineon für das Automobilgeschäft verantwortlich, Radarsensoren, die im 77-Gigahertz-Bereich arbeiten. „Durch die immer höheren Sicherheitsanforderungen werden solche Sensoren zunehmend auch in preiswerten Fahrzeugen eingebaut“, so Schiefer.
Anhand der Halbleiter für Radarsensoren, bei denen Infineon bis 2021 einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent erreichen will, lässt sich ein weiterer Trend illustrieren: In vielen Autoanwendungen geht es nicht mehr darum, nureinen bloßen Prozessor zu liefern, sondern ein mikroelektronisches System. „Hochautomatisierte Autos werden viel mehr solcher intelligenter Sensoren benötigen“, sagt Schiefer voraus. Auch wenn sich die Elektronikarchitektur künftiger Autos ändere und eine Art Zentralrechner die Fahrstrategie berechne, werden seiner Meinung nach Radar-, Kamera- und Lasersensoren auch künftig über eine dezentrale Elektronik verfügen. In einem hochautomatisierten Fahrzeug entstünden gewaltige Datenmengen, die vorab ausgewertet werden sollen.Zentralrechner, die dem Auto den Weg mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) weisen, verfügen in der Regel über Spezialchips, die sehr viele Rechenvorgänge parallel bearbeiten können. Deshalb konnte sich der ursprünglich auf Grafikkarten spezialisierte Hersteller Nvidia eine Vielzahl strategischer Partnerschaften mit Automobilherstellern und -zulieferern sichern. Aber selbst die automobilen KI-Chips, die in der Regel paarweise eingebaut werden, sind auf klassische Prozessoren angewiesen: Wenn die Ergebnisse beider Superrechner voneinander abweichen, prüft ein klassischer 32-Bit-Prozessor die Ursache. „Wir sehen uns als Ergänzung zu Nvidia“, sagt Schiefer.
Einen weiteren Wachstumsschub für die Halbleiterbranche soll das Elektroauto bringen. „In einem Pkw sind heute durchschnittlich Chips im Wert von 355 Dollar verbaut“, erläutert Schiefer. „In einem Elektroauto verdoppelt sich dieser Wert nahezu.“ Zwei Drittel des zusätzlichen Umsatzes entfallen auf die Leistungselektronik. Neben den klassischen Halbleitermaterialien soll künftig auch Siliziumcarbid (SiC) zum Einsatz kommen, das deutlich höhere Temperaturen verträgt und somit höhere Ströme ermöglicht. Infineon wird ab September SiC-Halbleiter in Serie liefern.
Die steigende Relevanz des Automobilgeschäfts für die Chiphersteller äußert sich auch in dem Versuch von Qualcomm, das aus Philips herausgelöste Unternehmen NXP zu übernehmen. Die finale Genehmigung steht allerdings noch aus. Qualcomm ist auf Chipsysteme für den Datenaustausch spezialisiert und verfügt über keine eigenen Fertigungsstätten. Für NXP ist das Automobilgeschäft mit ASICs – anwendungsspezifischen Elektronikbausteinen – hingegen ein wichtiges Standbein.
Zudem besitzt NXP eigene Produktionswerke, womit es leichter fällt, die in der Autobranche üblichen langfristigen Lieferverpflichtungen zu erfüllen. In der Vergangenheit war der Automarkt bereits Anlass für andere Großübernahmen in der Chipbranche. So kaufte Intel im vergangenen Jahr für mehr als 15 Milliarden Dollar den auf Videosensoren spezialisierten Anbieter Mobileye.
An den meisten klassischen Zulieferern läuft der Chipboom vorbei. Sie beziehen ihre Halbleiter von Anbietern, die zuvor von den Autoherstellern qualifiziert wurden. Eine Ausnahme bildet Bosch: Der größte Autozulieferer weltweit investiert rund eine Milliarde Euro in eine neue Fabrik in Dresden. Die Chipproduktion soll 2021 starten und später auf mikromechanische Systeme ausgedehnt werden.