Tesla und andere setzen die deutsche Autoindustrie unter Druck. Die ist aufgewacht, macht sich beim Thema Software aber laut Ex-Audi-Vorstand und Buchautor Peter Mertens das Leben selbst schwer.
Herr Mertens, sind die deutschen und europäischen Hersteller fit für die Zukunft?
Mittlerweile ja. Ich musste mein Buch über die europäische Autoindustrie (Aufstieg aus der Blechliga, Campus) im Prinzip dreimal umschreiben, weil sich die Lage im vergangenen Jahr dramatisch zum Guten gewendet hat. Sowohl Mercedes als auch der Volkswagen-Konzern haben ein ganz klares Bekenntnis zur Elektromobilität abgegeben. BMW ist technologieoffener und noch mit stärkerem Bezug zum Verbrennungsmotor, aber zumindest gut vorbereitet. Selbst bei Stellantis und Renault sind die Weichen nun gestellt.
Wann sind die Unternehmen aufgewacht?
Ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht nennen. Aber die extrem hohe Bewertung von Tesla an der Börse schon vor Jahren hat sicher eine entscheidende Rolle gespielt hat. Der softwarebasierte Ansatz, der Fokus auf Elektromobilität ist jetzt auch bei den deutschen Herstellern fest verankert. Trotzdem lässt es sich nur bedingt vergleichen. Tesla konnte auf einem weißen Blatt Papier beginnen. Der Volkswagen-Konzern beschäftigt 670.000 Mitarbeiter, die samt ihren Familien von Verbrennungsmotoren und konventionellen Technologien abhängig sind. Da lässt sich nicht alles so schnell über Bord werfen.
Welche Rolle spielte der Dieselskandal bei der Transformation?
Der Dieselskandal war sicher ein Teil der Lösung, weil er einen größeren Fokus notwendig machte. Viele Ressourcen etwa in der Entwicklung sind in die Aufarbeitung der Fehler abgeflossen und fehlten woanders. Das hat VW-Chef Herbert Diess erkannt und konsequent in Richtung Elektromobilität umgestellt. Außerdem ist in den Unternehmen eine andere Kultur eingezogen mit mehr Effizienz und weniger autokratischen Strukturen und Hierarchieebenen. Das zahlt sich aus.
Tesla hat den Antrieb vorgegeben. Gibt es noch ein Zurück?
Der Elektroantrieb ist für die nächsten zehn bis 15 Jahre das Maß aller Dinge. Bei großen und schweren Nutzfahrzeugen ist die Brennstoffzelle die richtige Antwort, weil sonst das Gewicht der Batterie zu hoch wird. Auch ein großes SUV wie der Audi Q7 oder Q8 wird tendenziell eine Brennstoffzelle mit kleiner Batterie haben, also eine Art Range-Extender. Synthetische Kraftstoffe sehe ich als absolute Nische für Oldtimer oder auch für Porsche, um die Lebenszeit des 911 zu verlängern.
Bei der Software haben die deutschen Hersteller Alleingänge gestartet. Kann das wirklich klappen?
Nein, ich bin ein großer Freund der Kooperationen. Es werden sich nur zwei oder drei Lösungen durchsetzen, das sehen wir bei Smartphones oder im Gaming, eigentlich überall. Wenn man sieht, was für einen gigantischen Aufwand Google oder Apple betreiben, um ihre Systeme frisch zu halten, kann das nicht funktionieren. Ein europäischer Open-Source-Ansatz als Gegenpol zu USA und China wäre der richtige Weg gewesen. Aber das ist leider zu spät. Jetzt werden enorme Ressourcen gebunden, die an anderer Stelle fehlen. Ich glaube, das wird für die Zukunft eine große Bürde sein. Wir Europäer müssen aufpassen, dass wir hier nicht durch den Rost fallen.
Gerade über die Software drängen auch neue Player wie Sony, Foxconn oder Huawei ins Auto. Wie gefährlich sind die?
Das Rennen ist ergebnisoffen. Klar ist, dass Apple seit zehn Jahren große Summen in das Projekt Titan steckt, aber noch nichts auf den Markt gebracht hat. Bei Google Waymo ist es ähnlich, zumindest was den wirtschaftliche Erfolg betrifft. Sony, Huawei und Foxconn wollen einsteigen und bringen sicherlich bei der Software große Kompetenzen mit. Aber viele Newcomer wie Byton und andere sind wieder verschwunden oder tun sich wie Nio sehr schwer. Das Geschäft ist wahnsinnig kapitalintensiv. Der einzige Neuling, der die Etablierten wirklich massiv unter Druck setzen konnte, ist Tesla.
Auffällig ist, dass alle die individuelle Mobilität wieder in den Vordergrund stellen. Der richtige Weg?
Vor ein paar Jahren wollten alle sein wie Uber. Dann hat man gesehen, dass ohne autonomes Fahren kein richtiges Geschäftsmodell dahintersteckt. Nicht zuletzt die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Kunden nach wie vor individuelle Mobilität wollen. Das wird in 20 oder 30 Jahren auch noch Bestand haben. Insofern ist etwa die Luxus-Strategie von Daimler-Chef Ola Källenius der richtige Weg, um diese Bedürfnisse zu bedienen.
Wie wollen Sie sich 2030 fortbewegen?
Ich werde dann einen SUV mit Brennstoffzelle und Range Extender fahren. Das hoffe ich zumindest. Das Segment, in dem ich selbst gerne unterwegs bin, wird weiter wachsen. Nicht nur wegen der guten Margen, sondern weil die Kunden diese Autos aus nachvollziehbaren Gründen wollen. Ob das dann noch mir gehört, ist eine andere Sache. Ich bin überzeugt, dass sich Abo-Modelle mit Rundum-Sorglos-Paket und einem häufigeren Wechsel der Fahrzeuge noch stärker durchsetzen.
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