München. Alternative Antriebe, aber auch die stark wachsenden Märkte der Schwellenländer stellen die Engineeringunternehmen vor neue Herausforderungen und eröffnen ihnen Chancen für weiteres Wachstum. Das Spektrum der Anbieter reicht von Unternehmen, die die gesamte Prozesskette vom Konzept bis zum Derivat abbilden, bis hin zu Spezialisten, die sich auf Themen wie Motorenentwicklung oder Elektroniksysteme fokussieren. Dabei finden sich reine Engineeringanbieter neben Dienstleistern wieder, die auch Hardware produzieren. Dazu kommen Spezialisten, die ähnlich wie Zeitarbeitsfirmen lediglich Ingenieure und Technik an die Unternehmen der Automobilindustrie ausleihen. Dietmar Bichler, Vorstandsvorsitzender der Bertrandt AG, sieht gute Perspektiven für die Branche der Entwicklungsdienstleister: „Im Grunde sind die Aussichten gut.
Unsere Kunden, die Fahrzeughersteller, spreizen ihre Modellreihen immer weiter auf und besetzen dabei weitere Nischen. Das bringt den Entwicklungsdienstleistern zusätzliches Auftragsvolumen.“ Dieser Trend ist auch bei der zweiten Kundengruppe des süddeutschen Unternehmens, den Systemlieferanten, festzustellen. „Auch sorgt der Gesetzgeber für Entwicklungsbedarf – etwa mit Vorgaben zur CO2-Reduzierung oder zum Fußgängerschutz“, ergänzt Bichler. Im Vordergrund stehen bei der Automobilentwicklung nach Einschätzung von Bertrandt Themen wie Umwelt und Verbrauch, Gesetzgebung, Sicherheit und Fahrzeuggewicht. Davon seien alle Disziplinen im Automobilbau betroffen. „Nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Systeme im Fahrzeug werden weitere Optimierungen möglich sein.
Mit einer einzelnen Maßnahme lassen sich heute keine dramatischen Schritte mehr erreichen“, ist Bichler überzeugt. Auch Wolfgang Rücker, Vorstandschef der Rücker AG, rechnet branchenweit mit guten Wachstumschancen im Automobilbereich. Für das eigene Unternehmen sieht er großes Potenzial beim Fahrzeugex- und -interieur. Die Wiesbadener gehören mit weltweit mehr als 2500 Ingenieuren zu den größten Entwicklungsunternehmen. Rund 78 Prozent des Umsatzes von 168,9 Millionen Euro im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit der Automobilindustrie erwirtschaftet. Um weiteres Wachstum zu sichern, kann sich der Vorstandschef und Hauptaktionär auch die Beteiligung eines strategischen Partners vorstellen, „um so eine Grundauslastung für Rücker zu sichern“. Von Interesse sind für Wolfgang Rücker vor allem solche Unternehmen, die nicht an einen Automobilhersteller gebunden sind. Die Anforderungen der Fahrzeughersteller an die Engineeringunternehmen haben sich insgesamt verändert. Bichler konstatiert etwa, dass die Aufgabenstellungen an Komplexität zugenommen haben. Davon seien nicht nur technische Inhalte betroffen, sondern auch die Anforderungen an die finanzielle Stabilität des Unternehmens.
Doch das Ende der Fahnenstange scheint hierbei noch nicht erreicht: „Ich rechne damit, dass die Erwartungen an unsere Branche diesbezüglich vor allem bei größeren Projekten künftig noch weiter ansteigen werden.“ Emerging Markets wie Indien und China haben nicht nur für die Automobilhersteller in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Auch die Engineeringunternehmen verstärken dort ihr Engagement. Ein Beispiel dafür ist AVL List aus Graz. „China und Indien zählen bereits zu unseren wichtigsten Absatzmärkten“, so Patrick Signargout, verantwortlich für Sales & International Operations im Bereich Powertrain Systems. Bereits im Jahr 2006 hatten die Österreicher rund 15 Prozent des Umsatzes in Schwellenländern erzielt. „Und weiteres Wachstum ist geplant“, erklärt Signargout. Vor allem die Technikzentren in Schanghai und Delhi sollen künftig expandieren, da in den sogenannten Emerging Markets das Interesse an modernen Motorenkonzepten wächst. „Besonders den Bereichen Komfort, Emissionen und Verbrauch kommt größere Bedeutung zu. Allerdings zu Konditionen, die sich die dortige Bevölkerung auch leisten kann“, erläutert der Powertrain- Manager.
Verhaltener in Bezug auf China und Indien äußert man sich bei Rücker: „Für uns haben diese Märkte nicht die höchste Priorität“, so Vorstandschef Wolfgang Rücker. Dennoch wollen die Hessen im Rahmen der bestehenden Strukturen wachsen. Denn bei Rücker ist man überzeugt, dass das Thema Umweltschutz in den kommenden Jahren weltweit Priorität haben wird – und damit die Entwicklungsdienstleister sich darauf einstellen müssen. Der Markt für besonders umweltfreundliche Fahrzeuge entwickelt sich gerade. „Wir möchten erst einmal sehen, in welchem Ausmaß das künftig geschehen wird“, gibt sich Bertrandt-Chef Bichler derzeit noch zurückhaltend. „Letztlich werden Entwicklungen für solche Autos eine weitere Spreizung des Marktes nach sich ziehen“, so der Vorstandsvorsitzende. Dennoch will das Unternehmen aus Ehningen keine speziellen Engineeringkapazitäten in solchen Märkten aufbauen. „Wir werden unsere Entwicklungen weiter aus Europa beziehungsweise aus Deutschland heraus betreiben“, so Bichler. Ein projektbezogenes Engagement in solchen Märkten will er aber nicht ausschließen.