Herr Sommer, welche Ziele verfolgen Sie nach der geplatzten Haldex-Übernahme?
Unser Ziel bleibt nach wie vor, uns bei der Bremsentechnologie komplett aufzustellen. Hier haben wir bei den Nutzfahrzeugen noch eine Lücke zu füllen. Wahrscheinlich gehen wir nun aber eher den Weg in neue Brake-by-Wire-Technologien und konzentrieren uns auf Segmente wie den elektrifizierten Verteilerverkehr oder Stadtbusse. Dort werden wir dann auch einen stärkeren Technologieübertrag aus der Pkw-Welt haben.
Lässt sich Ihr Portfolio aus dem Pkw-Bereich auf andere Felder übertragen?
In der Entwicklung für Pkw-Anwendungen setzen wir derzeit die Schwerpunkte auf Teilfunktionen im Bereich autonomes Fahren. Wir applizieren Radarsensoren, Kameras, aber auch telematische Systeme wie unsere Telematik-Plattform Openmatics, um autonome Fahrfunktionen auch in Land- oder Baumaschinen zu etablieren. Ähnlich gehen wir bei Nutzfahrzeugen vor. So wollen wir eines unserer Werke zur Pilotfabrik für den automatisierten Nutzfahrzeugverkehr im Werk entwickeln. Für solche kommerziell attraktiven Anwendungen erfahren wir starkes Kundeninteresse.
Sie kooperieren mit Nvidia und produzieren ein selbstlernendes zentrales Rechenzentrum für Fahrzeuge. Macht das die Chips Ihres Partners Mobileye nicht arbeitslos, wenn die Objekterkennung im Steuerungssystem ZF Pro AI stattfindet?
Ganz sicher nicht, denn Mobileye wird ein wichtiger Partner von ZF bleiben. ZF Pro AI kann Daten aus unterschiedlichen Sensoren verarbeiten, zum Beispiel Radar-, Lidar- oder Kameradaten. Die Objekterkennung und Bildverarbeitung findet wie bisher im EyeQ-Chip der Kamera statt und wird dann in der ZF Pro AI mit allen anderen Daten der Umfelderkennung fusioniert und analysiert.
Hier in Detroit haben Sie mit dem Intelligent Rolling Chassis ein Plattformkonzept für elektrische Stadtfahrzeuge vorgestellt. Ab wann wird das serienreif sein?
Grundsätzlich können wir sofort damit loslegen. Wenn wir über Konzepte für solche Fahrzeugklassen reden, sprechen wir allerdings nicht über die üblichen Abläufe in der Pkw-Produktion. Bereits serienreif sind wir insofern, als dass in dem Plattformkonzept etwa mit Bremse oder aktiven Stoßdämpfern noch sehr viel konventionelle Technik verbaut ist. Bei einem People-Mover sind die Homologationsphasen kürzer als bei konventionellen Autos, sodass solche Fahrzeuge schneller in Serie gehen können.
Gibt es dafür Kunden?
Wir sind in Gesprächen, können aber derzeit nicht konkreter werden. Jedenfalls erschließen wir uns dadurch neue Kundengruppen neben den Fahrzeugherstellern.
Unter dem Motto „See – Think – Act“ ist ZF in der ganzen Wirkungskette aktiv, von der Sensorik über Systemintelligenz bis hin zur Aktuatorik. Wo müssen Sie noch mehr Gas geben?
Grundsätzlich haben wir stärkeren Entwicklungsbedarf in den Bereichen „See“ und „Think“. Wir investieren aber auch stark im Bereich „Act“. Beispielsweise in die nächste Generation von Antriebssträngen, Bremsen und Lenkungen, um sie technisch so auszustatten, dass das, was sich „See“ und „Think“ ausdenken, in „Act“ auch umgesetzt werden kann.
Passt Ihre Lieferantenstruktur für Zukunftsthemen wie E-Mobilität und autonomes Fahren?
Ja, sie passt weiterhin. Man darf nicht vergessen, dass der maßgebliche Anteil unseres Geschäfts immer noch im konventionellen, mechanischen Umfeld stattfindet. Wir erwarten natürlich, dass unsere Lieferanten, je nachdem welche Rolle sie spielen, ebenfalls Intelligenz und die Fähigkeit zur Vernetzung in ihre Produkte bringen. Unser klares Geschäftsziel ist, weiterhin mechanische Systeme zu liefern, aber eben vernetzt und intelligent.
Sie fordern von deutschen Standorten, dass sie ergebnisstärker werden. Wie weit sind Sie da?
Wir haben mit fast allen deutschen Standorten Vereinbarungen getroffen, die auf Wachstum, Beschäftigungssicherung und mehr Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet sind. Das ist über viele Standorte hinweg ein Gesamtpaket, das schon Früchte trägt. Bei verstellbaren Stoßdämpfern haben wir im Werk Schweinfurt Strukturen implementiert, die sich positiv auf die Kosten ausgewirkt haben. Wir haben dort Aufträge gewonnen, die wir ohne verbesserte Kostenstruktur nicht bekommen hätten.
Wo stehen Sie beim Integrationsprozess?
Wir sind bei der TRW-Integration voll auf Kurs. Beschleunigen wollen wir den Integrationsprozess nicht, denn wir wollen die einzelnen Projekte sorgfältig abarbeiten. Sorgfalt geht hier vor Geschwindigkeit. Die große Architektur der Integration haben wir aber schon umgesetzt. Schließlich haben wir nicht erst mit der Übernahme vor eineinhalb Jahren mit der Integration begonnen, sondern mit wichtigen Weichenstellungen schon Monate vorher.