Turin/Detroit. „In der Geschichte jeder größeren Organisation und ihrer Mitarbeiter gibt es bestimmende Ereignisse, die in die Geschichtsbücher eingehen. Für Fiat und Chrysler gehört die Einigung mit der VEBA auf jeden Fall dazu“, so der Fiat- und Chrysler-Chef. Für die ausstehenden 41,5 Prozent erhält VEBA insgesamt 4,35 Milliarden Dollar, damit blieb der Gesundheitsfonds deutlich unter der ursprünglichen Forderung von mindestens fünf Milliarden Dollar. Fiat selbst zahlt nur 1,75 Milliarden in bar. Den Rest muss Chrysler aufbringen: 1,9 Milliarden Dollar werden in Form einer Sonderdividende sofort an den Fonds ausgeschüttet. Gestreckt auf vier Jahre kommen nochmals insgesamt 700 Millionen Dollar Dividende dazu. „Am überraschendsten ist, dass über 50 Prozent der Summe von Chrysler bezahlt werden“, so Max Warburton, Autoanalyst von Bernstein Research. Dafür erhält Fiat nun Zugriff auf die Barreserven von Chrysler, die rund zwölf Milliarden Dollar betragen.
Neue Perspektiven für Fiat und Chrysler
Marchionne hatte 2004 die Leitung von Fiat übernommen und dem Unternehmen d a s Überleben gesichert. Weil seiner Ansicht nach auf Dauer nur Volumenhersteller mit einem Absatz von jährlich 5,5 Millionen Einheiten erfolgreich agieren können, stieg er im Jahr 2009 mit Fiat bei Chrysler ein. Für die anfänglich rund 20 Prozent bezahlte er mit Fahrzeug- und Motorenplattformen. Er stellte einen Fünfjahresplan auf, der unter anderem zum Ziel hatte, einen kombinierten Absatz von 6,6 Millionen Einheiten sowie eine operative Marge zwischen sieben und acht Prozent zu erreichen. Die selbst in einem äußerst positiven Umfeld nur schwer zu erreichenden Ziele waren im Zuge der Finanz- und Euro-Krise nicht zu halten. Dennoch steckt eine industrielle Logik in dem Zusammenschluss: Während Fiat auf Kleinwagen mit sparsamen Motoren in Europa und Lateinamerika fokussiert ist, lebt Chrysler mit seinen großen SUVs und Pickups hauptsächlich vom US-Heimatmarkt. Der Einstieg hat sich für Fiat schon längst gelohnt: Nur mit dem Gewinn von Chrysler können die Italiener derzeit die hohen Verluste im Europa-Geschäft abfedern. Für den hoch verschuldeten Fiat- Konzern haben sich mit der Chrysler-Übernahme die Perspektiven deutlich verbessert: Nun können die Italiener die praktisch stillgelegte Entwicklung neuer Modelle auf gemeinsamen Plattformen wieder aufnehmen und ein Produktportfolio aufbauen, mit dem sie im härter werdenden Wettbewerb wieder konkurrenzfähig werden. Noch offen ist allerdings, wie Marchionne die Investitionen innerhalb des neuen Unternehmens verteilt und welchen Teil Italien erhält. Der Italo-Kanadier Marchionne fordert schon lange mehr Entgegenkommen von den italienischen Gewerkschaften, um wirtschaftlicher fertigen zu können. Der vereinigte Konzern soll einen neuen Namen erhalten und an die Börse gebracht werden. Noch ist offen, ob das Listing in New York oder Mailand ist. Davon hängt auch die Festlegung des Firmensitzes ab. Auch mit den Chrysler-Milliarden hat Fiat noch einen weiten Weg zu gehen: Beide Firmen sind nur marginal auf den schnell wachsenden asiatischen Märkten präsent. Wie aus Alfa Romeo die angestrebte Premiummarke werden soll, ist unklar. Im April will Marchionne einen Plan vorlegen.