Bangalore/Pune. Während hinter den hohen, mit Stacheldraht und Glasscherben bewehrten Mauern international geschätzte Ingenieure die Welt verändern, leben weite Teile der indischen Bevölkerung als Selbstversorger auf dem Land. Ihr Leben in bitterer Armut unterscheidet sich kaum von dem ihrer Vorfahren vor der Kolonialisierung durch Großbritannien, die 1756 begann. Entsprechend gering ist die Pkw-Nachfrage, obwohl Indien mit geschätzt 1,3 Milliarden Einwohnern so bevölkerungsreich ist wie China. "Der indische Pkw- Markt ist grundsätzlich anders als der chinesische. Wesentlicher Grund dafür ist das geringere Wirtschaftswachstum. In China ist bereits eine viel größere Mittelklasse entstanden, die für eine deutlich höhere Pkw-Nachfrage sorgt“, so Autoexperte Michael Gartside von PricewaterhouseCoopers (PwC). Im laufenden Jahr dürften in Indien 3,5 Millionen Pkw zugelassen werden – in China sind es 20,3 Millionen.
Schlafender Riese Indien
Doch nicht nur die reine Stückzahl, auch die Struktur des Marktes lässt insbesondere bei den etablierten Autoherstellern aus Deutschland, Japan und den USA keine Euphorie aufkommen. Die Nachfrage wird dominiert von Billigfahrzeugen des indisch-japanischen Joint Ventures Maruti Suzuki, das mit rund einer Million Pkw auf 40 Prozent Marktanteil kommt. Fast die Hälfte des Pkw- Jahresabsatzes von Maruti Suzuki macht das Kleinstwagensegment mit Modellen wie dem M800 aus, der weniger als 3000 Euro kostet. Der weltbekannte Nano von Tata Motors, die Nummer drei im Markt, wird sogar für nur 2000 Euro angeboten. „Wer im indischen Volumenmarkt erfolgreich sein will, muss Fahrzeuge in einem niedrigen Preissegment anbieten. Für viele Hersteller aus Europa, den USA und Japan ist das sehr schwierig“, so Ralf Landmann, Autoexperte und Partner der Strategieberatung Roland Berger. Dies zeigen die Zahlen des erfolgsverwöhnten VW-Konzerns auf dem Subkontinent: Die Wolfsburger lieferten im vergangenen Jahr gerade einmal 111.637 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge aus.
Die Marke VW kam auf knapp über 76.000 Einheiten. Das soll sich ändern: VW-Chef Martin Winterkorn hat die Entwicklung eines sogenannten „Budget Cars“ in China angestoßen, das auch in Indien auf den Markt kommen und mit lokalen Lieferanten gebaut werden soll. Der Viersitzer soll zwischen 6000 und 7000 Euro kosten, Produktionsstart in China ist Ende 2015 oder Anfang 2016. „Ausländische Autohersteller, die am Marktwachstum teilnehmen wollen, müssen Low-Cost- Fahrzeuge anbieten. Der ideale Preispunkt liegt zwischen 4000 und 6000 US-Dollar“, so Gartside von PwC. Die Zeiten, in denen man nur billig genug sein musste, sind seiner Ansicht nach aber vorbei: „Die Kunden achten inzwischen sehr stark darauf, welche Features sie für dieses Geld bekommen. Eine Marke kann sich dadurch stark differenzieren.“ Weitere Hürden ergeben sich durch eine Reihe schwieriger Rahmenbedingungen: Um die Landwirtschaft zu unterstützen, wird Dieselkraftstoff subventioniert, sodass der Anteil im Pkw- Segment bei 70 Prozent liegt. Allerdings ist der Schwefelanteil so hoch, dass die Einspritzsysteme und Rußpartikelfilter von modernen Euro-5- und Euro-6-Motoren häufig Probleme bekommen. Viele Hersteller verwenden deshalb speziell für Indien Euro-4-Aggregate. Und weil das Land sehr zersplittert ist, ist die Marktbearbeitung aufwendig. Indien ist vergleichbar mit der Europäischen Union. Es besteht aus 29 Staaten, in denen 18 offizielle Sprachen gesprochen werden, die teilweise ihre eigene Schrift besitzen. Selbst ein Inder fühlt sich beim Überschreiten seiner Staatsgrenze wie im Ausland.
Außerdem erhebt jeder Staat, jede Region und im schlechtesten Fall auch jede Stadt eigene Steuern, Zölle und Abgaben auf den Fahrzeugverkauf, sodass die Hersteller lokale Preise kalkulieren müssen. Unter diesen Umständen profitabel zu arbeiten, ist schwierig, wie die Experten einräumen. „Ein Erfolg versprechender Weg ist, einfachere Fahrzeugmodelle mit einer vernünftigen Qualität in Indien zu produzieren und dann einen Teil der Produktion in margenstärkere Regionen zu exportieren. Einige Hersteller sind dabei sehr erfolgreich“, so Landmann mit Blick auf Hyundai. Der koreanische Hersteller hat es seit seinem Einstieg vor rund zehn Jahren geschafft, mit einem Pkw- Marktanteil von 15 Prozent Nummer zwei in Indien zu werden.
Das mit rund 30.000 Fahrzeugen winzig kleine Premiumsegment wiederum dominieren die deutschen Hersteller: BMW führt mit 9375 Einheiten vor Audi mit 9003 und Mercedes mit 7138 Pkw. Größter Herausforderer sind die Marken Jaguar und Land Rover, die inzwischen zum indischen Tata-Konzern gehören. Indien hat die hohen Erwartungen schon mehrfach enttäuscht, dennoch können es sich internationale Autohersteller nicht leisten, die Region zu ignorieren. „Der indische Pkw-Markt ist eine harte Nuss. Wer es dort schafft, ein erfolgreiches, innovatives Geschäftsmodell aufzuziehen, kann sich in Märkten wie Brasilien oder den neuen Wachstumsländern in Südostasien besser aufstellen“, so Landmanns Fazit.