Tel Aviv. Donnerstagabend auf der Sderot Rothschild, einer breiten Allee, die in das historische Zentrum Tel Avivs führt. Das Wochenende steht bevor, es beginnt hier am Freitag. In den zahlreichen Straßencafés ist kein Platz zu bekommen. Überall junge Menschen zwischen Ende 20 und Mitte 30. In lockerer Atmosphäre diskutieren sie Karrieren und Kooperationen.
Das nächste große Ding, da herrscht schnell Einigkeit, ist die Cybersicherheit. 500 israelische Start-ups widmen sich diesem Thema, so die Schätzung von Yoni Heilbronn, der den Vertrieb von Argus Cyber Security verantwortet. Bis vor Kurzem war das 2013 gegründete Unternehmen selbst ein Start-up, jetzt ist es Teil des Continental-Konzerns. Im Herbst 2017 kaufte der Automobilzulieferer das auf Punkt-zu-Punkt-Verschlüsselung spezialisierte Unternehmen und gliederte es seiner Entwicklungsgesellschaft Elektrobit an.Conti-Vorstand Helmut Matschi begründet den Zukauf vor allem mit dem Wissen der Mitarbeiter: „Die Cyber-Sicherheitsexperten von Argus gehören weltweit zu den besten auf diesem Gebiet. Ihre Sicherheitstechnologien haben sich bei verschiedenen Tests wiederholt gegenüber Lösungen von Marktteilnehmern durchgesetzt.“
Die Lebenswege der Argus-Gründer Ofer Ben-Noon, Yaron Galula und Oron Lavi sind typisch für das „Silicon Wadi“, wie die Küstenregion rund um Tel Aviv genannt wird. Alle drei dienten in der auf Cyberangriffe spezialisierten Einheit 8200 der israelischen Armee. Was die Einheit wirklich tut, wird nirgends offen ausgesprochen. Angeblich steht sie hinter dem Virus „Stuxnet“, der im Jahr 2010 zur Selbstzerstörung iranischer Uran-Aufbereitungsanlagen führte. In der Einheit soll eine für militärische Organisationen ungewöhnliche Kultur herrschen. „Hierarchien zählen nicht“, so ein Insider, der nicht genannt werden will. „Und es dürfen explizit Fehler gemacht werden, wenn man dabei lernt.“
Nachdem BMW und Chrysler die ersten Rückrufe wegen Sicherheitslücken in der Fahrzeug-IT veranlassen mussten, steht das israelische Know-how plötzlich im Rampenlicht. „Die bekannten Rückrufe stellen nur die Spitze des Eisbergs dar“, sagt Heilbronn. „Jedes heutige Fahrzeug ist zu hacken.“ Das Problem: Wird eine Sicherheitslücke erkannt, muss das Auto bislang für ein Software-Update in die Werkstatt zurück. „Alle Autohersteller arbeiten daher an drahtlosen Updates.“ Doch die erfordern erst recht neue Sicherheitstechnik, bis hin zu Überwachungszentren, die den Datenverkehr einer kompletten Flotte analysieren.
Einen weitergehenden Ansatz verfolgt die Schweizer Unternehmerin Orit Shifman. Mit dem 2011 von ihr gegründeten Unternehmen OSR will sie die gesamte Elektronikarchitektur sicherer machen.Der Ansatz: Ein Zentralcomputer, „Evolver“ genannt, der sich permanent selbst überwacht, soll die zahlreichen Einzelsteuergeräte in heutigen Autos ersetzen. Entwickelt werden Hard- und Software des Rechners in Tel Aviv – sogar in die Chipentwicklung will OSR künftig einsteigen. Anders als andere Gründer sucht Shifman jedoch keinen Käufer: „Mein Ziel ist es, einen unabhängigen Zulieferer erster Ordnung zu schaffen.“ Dabei setzt sie auf das Know-how im Silicon Wadi, etwa auf die Kooperation mit dem Holon-Institut, das auch an künstlicher Intelligenz forscht. Auf diesem Weg ist bei OSR eine Technologie entstanden, die es erlaubt, den Gemütszustand des Fahrers treffsicher zu erkennen.
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