Die Grundlage ist die intelligente Verknüpfung von Sensoren und Aktoren. Wir haben jetzt mit der durchgängigen Verbreitung der Elektrolenkung und mit funktional erweiterten Lichtsystemen eine Steigerung in der Aktorik, also bei elektrischen, pneumatischen oder hydraulischen Bewegungen. Und in der neuen S-Klasse kommt jetzt bei Mercedes-Benz erstmals eine Stereokamera dazu. Mit dieser Grundausstattung an Aktoren und Sensoren kann man unendlich viel machen. Die Intelligenz entsteht über die Vernetzung und Kombination zusammen mit entsprechenden Algorithmen. Wir fassen das unter "Intelligent Drive" zusammen.
"Wie immer gibt es Risiken und Nebenwirkungen"
Nachdem wir bisher schon den Fernbereichsradar, mehrere Nahbereichsradare, eine Monokamera und Ultraschallsensoren verwendet haben, kommt nun eine Stereokamera dazu. Sie hat eine Reichweite von 500 Meter und bis zu 50 Meter räumliches Sehvermögen. Da ist enorm viel mehr möglich als bisher - zum Beispiel die erste Stufe des autonomen Fahrens: Fährt man im unteren Geschwindigkeitsbereich im Stau, folgt die S-Klasse dem vorderen Fahrzeug. Der Kreuzungsassistent warnt nun vor querendem Verkehr und löst bei Bedarf eine Gefahrenbremsung aus. Neu ist auch, dass wir querenden Verkehr erkennen können und dann in solchen Fällen ebenfalls einen Bremsassistenten haben. Fußgänger werden noch zuverlässiger vom System erkannt. Dazu kommen einige weitere Innovationen und Weiterentwicklungen von bestehenden Systemen. Damit verfügt die S-Klasse über einen 360-Grad-Rundumblick.
Die Top-Down-Strategie ist seit längerem kein Dogma mehr. Schon allein die Entwicklungsgeschwindigkeit in der Elektronik und damit bei den Assistenzsystemen lässt keinen Modellzyklus von sieben Jahren mehr zu. Natürlich gibt es mit jeder neuen Fahrzeuggeneration einen Technologiesprung, aber auch in den Jahren dazwischen müssen die Fahrzeuge die aktuellsten Systeme erhalten. Ein weiterer Aspekt sind die hohen Kosten: Wir brauchen schnell hohe Volumina. Drittens kann man mit Sicherheitsausstattung bestimmte Modelle positionieren. Bei der A- und B-Klasse haben wir den Collision Prevention Assist von unten in die Serie gebracht.
Zunächst wird ein Mercedes auch in der Grundausstattung immer ein herausragendes Sicherheitsniveau bieten. Darüber hinaus gibt es Systeme, die neben dem Sicherheitsaspekt auch eine Komfortfunktion haben - wie etwa Distronic. Das bieten wir unseren Kunden als Sonderausstattung an. Würden wir so ein System in die Serienausstattung bringen, wäre die Kostenposition so hoch, dass es wahrscheinlich unverkäuflich wäre.
Die neue S-Klasse hat im Prinzip fast alles, was man braucht. Für weitere Funktionen könnte es aber notwendig sein, zusätzliche Sensoren zu verwenden. Diese dienen dann dazu die Redundanz zu erhöhen und die Plausibilitätsprüfung noch besser abzusichern. Dadurch werden Fehlfunktionen ausgeschlossen. Was nach meiner Ansicht auf jeden Fall kommt, sind so genannte Event Data Recorder.
Heute haben wir in den USA, wo das gesetzlich vorgeschrieben ist, bereits Unfalldatenschreiber der ersten Generation im Fahrzeug. Das wollen wir auf freiwilliger Basis weltweit anbieten. Es gibt ja die Diskussion darüber, ob ein solches Gerät dem Fahrer oder Halter eher nützt oder schadet. Ich denke es nützt, weil es zur Aufklärung einer Situation beitragen kann. Je mehr Funktionen in einem Fahrzeug automatisch ablaufen, desto wichtiger wird der Event Data Recorder, wenn es darum geht bei einem Unfall die Schuldfrage zu klären. Aus Sicht eines Entwicklers besteht die Herausforderung darin, dass man bei Fahrerassistenzsystemen nicht nur das Rechenergebnis speichern muss, sondern auch den Weg dahin - also eventuell auch die Sensorrohdaten.
Es gibt durchaus Ansatzpunkte, ich sehe aber auf absehbare Zeit keine Killerapplikation für Fahrerassistenzsysteme aus der Cloud. Für Echtzeitsysteme müsste das Mobilfunknetz überall und zu jeder Zeit verfügbar sein. Das ist nicht der Fall. Was aber beispielsweise kommen dürfte, ist das Herunterladen von neuesten Kartendaten. Versteht man das Auto als Sensor, so kann es zum Beispiel Verkehrszeichen von Wanderbaustellen erkennen und diese aktuell der Community zur Verfügung stellen. Vor Wanderbaustellen soll nun mittels einem Transponder eine erste Car-to-X-Anwendung kommen. Da könnte man die Systeme durch das Hochsetzen von Warnschwellen bereits vorkonditionieren.
Das sehe ich sehr kritisch. Solche Systeme sind volkswirtschaftlich sinnvoll, aber wer soll das bezahlen? Um ein solches System europaweit zu schaffen, sind erhebliche Investitionen notwendig. Man braucht eine Infrastruktur und genügend Autos, die es nutzen können. Wie schwierig das angesichts der Heterogenität der EU-Mitgliedsstaaten umzusetzen ist, sieht man am eCall, der schon seit über zehn Jahren vor der Einführung steht.
Sicher nicht auf einen Schlag. Bei Mercedes-Benz werden wir in den nächsten fünf Jahren in eng eingegrenzten Situationen Anwendungen sehen - etwa auf der Autobahn. Wir werden dort das Staufolgefahren auf höhere Geschwindigkeiten und bessere Nutzbarkeit ausweiten. Bis zur Endausbaustufe - etwa autonom durch eine Ortschaft zu fahren - wird es bis weit nach 2020 dauern. Da gibt es noch große Herausforderungen...
Wie immer gibt es Risiken und Nebenwirkungen. Eine große Nebenwirkung ist, dass je länger jemand autonom fährt, desto länger er auch braucht, bis er wieder die Verantwortung für das Fahrzeug übernehmen kann. Und wie kann ich zum Beispiel feststellen, ob der Fahrer dann überhaupt noch in der Lage ist, das Fahrzeug zu übernehmen? Was ist, wenn er inzwischen einen Herzinfarkt erlitten hat? Auch an anderer Stelle wird man noch heftig arbeiten müssen: Wenn sich die Wetterbedingungen so ändern, dass möglicherweise die Sensoren blockiert sind - durch einen Schneesturm etwa. Was ich damit sagen will ist, dass es bei Sonnenschein auf der Autobahn relativ leicht ist, autonomes Fahren darzustellen. Im Alltag und in anderen Verkehrssituationen ist das viel schwieriger.
Sie spielen auf Google an - und eines muss man anerkennen: Es ist den Kollegen gelungen, das Thema autonomes Fahren positiv zu besetzen. Das ist gut. Wir sind mit Google regelmäßig in engem Kontakt, deshalb weiß ich, dass dort die Bäume auch nicht in den Himmel wachsen. Die oben beschriebenen Herausforderungen bestehen für alle. Dazu kommt das Thema Verfügbarkeit von aktuellen Geodaten, die man braucht, um den Standort des Fahrzeugs festzustellen. Das wird auf absehbare Zeit flächendeckend nicht möglich sein.
Wenn man mit entsprechenden Technologien durch Firewalls und Verschlüsselung arbeitet, muss man sich meiner Ansicht nach keine Sorgen um Hacking machen. Bei Mercedes-Benz haben wir seit Jahren eine Wegfahrsperre und eine Funkfernbedienung. Wir werden den Kunden in den USA sogar erlauben, über die Fernbedienung den Motor zu starten - etwa um die gewünschte Temperatur im Fahrzeug bis zum Fahrtantritt herzustellen. Das ist kryptografisch so gesichert, dass bis heute kein einziger Fall bekannt ist, dass jemand die Sicherheitsschwellen überwunden hätte.
In der neuen S-Klasse kommen zum Beispiel der Beltbag, also ein Sicherheitsgurt, der sich bei einem Unfall aufbläst, sowie das aktive Gurtschloss, das zusammen mit dem präventiven Sicherheitssystem Pre-Safe, die Unfallfolgen reduziert. Weitere im Experimental-Fahrzeug gezeigte Systeme werden irgendwann vielleicht auch in Serie gehen. So funktioniert beispielsweise Pre-Safe Plus, hier werden die Fahrzeuginsassen bei einem Seitenaufprall in die Fahrzeugmitte geschoben, technisch gesehen heute schon. Es geht jetzt um die besagten Risiken und Nebenwirkungen, vor allem weil das System mit Pyrotechnik arbeitet und irreversibel ist. Und es geht darum, ob die Einführung wirtschaftlich sinnvoll ist. Nicht alles, was rein technisch machbar ist, ergibt auch einen positiven Business Case.
Natürlich ist ein Mercedes-Benz dann immer noch ein höchst begehrenswertes Fahrzeug, das immer noch Spaß macht, wenn man es selbst fährt. Was die Assistenzsysteme angeht, wird es maximale Entlastung und maximalem Komfort bieten. Im Jahr 2020 werden Mercedes-Kunden in weiten Teilbereichen autonom fahren können. Das Fahrzeug wird über verschiedene biometrische Daten des Fahrers verfügen und so laufend feststellen, wie es ihm geht. Im Gegensatz zu heute kann er so die Hände vom Lenkrad nehmen und sich beim autonomen Fahren anderen Dingen widmen. Die erste und die letzte Meile wird aber immer noch der Fahrer übernehmen.