Stuttgart. Die anhaltende Flaute im Lkw-Geschäft könnte sich im nächsten Jahr auch auf die Jobsituation in Deutschland auswirken, fürchtet Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht. Betroffen wären zunächst die Leiharbeiter. Eine bevorzugte Einstellung von Flüchtlingen ist für den Konzern daher keine Option.
Herr Brecht, Personalchef Wilfried Porth hat jüngst die Erwartungen gedämpft, Flüchtlingen eine Festanstellung bei Daimler bieten zu können. Sind Sie ähnlich pessimistisch?
Ja, wir sind hier auf einer Linie. Wir haben im Moment im Konzern über 9000 Leiharbeitnehmer in der Produktion und in den indirekten Bereichen. Wenn wir hier Flüchtlinge vorziehen würden, hätten wir ein riesiges Problem. Sie müssen daher auch den normalen Bewerbungsprozess durchlaufen. Alles andere wäre der Belegschaft nicht vermittelbar. Was wir machen können und auch in erheblichem Umfang tun, ist Praktika und Qualifizierungen anzubieten, damit Flüchtlingen die Integration in den Arbeitsmarkt leichter fällt.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will Leiharbeit und Werkverträge stärker reglementieren. Geht Ihnen der Gesetz-Entwurf weit genug?
Das Gesetz hilft uns im Punkt Werkverträge überhaupt nichts. Ohne Mitbestimmung ist es unwesentlich, ob ich als Betriebsrat ein paar Informationen mehr oder weniger erhalte. Auch bei der Leiharbeit bin ich skeptisch: Trotz der zeitlichen Begrenzung der Überlassungsdauer auf 18 oder 24 Monate ist es beispielsweise immer noch möglich, einen Leiharbeiter vor die Tür zu setzen und sich dann den nächsten zu holen.
Was wäre aus ihrer Sicht wichtig gewesen?
Beschäftigungswirksam wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber den Zeitraum begrenzt hätte, in dem ein Arbeitsplatz mit einem prekär Beschäftigten besetzt werden darf. Im Konzern sind wir mit der Forderung gescheitert, für ausgelagerte Bereiche wie die Logistik zumindest einen einheitlichen Tarif auf dem Betriebsgelände zu erreichen. Wohin das führt, hat man beispielsweise in Mannheim gesehen, als die Fremdfirma nur ungelernte Arbeiter mit geringen Löhnen beschäftigt hat und wir in der Übergangsphase fast nicht mehr arbeitsfähig waren.
Und wie lässt sich so etwas verhindern?
Wir haben jetzt angefangen, zusammen mit der IG Metall bei den Logistikfirmen Arbeitnehmervertretungen aufzubauen und Tarifbindung herzustellen, um so Mindeststandards zu erreichen. Da sind wir recht erfolgreich unterwegs. So manches Unternehmen kommt nun schon vorher zu uns und zahlt freiwillig Tariflöhne, um größere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Das hätte man sich aber alles ersparen können – auch im Interesse der Arbeitgeber.
Wird bei Daimler in diesem Jahr noch eigenes Personal aufgebaut?
Im Pkw-Bereich sind wir derzeit mit den Kapazitäten sicher an der Oberkante. Wir haben die Produktion teilweise massiv hochgefahren, um die große Nachfrage bedienen zu können. Entsprechend haben wir in diesem Jahr hier bereits zusätzliches Personal eingestellt – beispielsweise im Werk Bremen. Anders sieht es im Nutzfahrzeugbereich aus. Dort sind viele Märkte wie Brasilien, der Nahe Osten oder auch USA hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Da stellt sich eher die Frage, ob wir die Zahl der Leiharbeitnehmer hier in Deutschland überhaupt halten können. Eine Entscheidung über einen möglichen Stellenabbau fällt aber erst im nächsten Jahr.
In USA und Brasilien sind bereits viele Jobs weggefallen.
In Brasilien haben wir am Nutzfahrzeug-Standort Sao Bernardo do Campo bereits 5000 Stellen abgebaut und sind jetzt bei rund 8200 Mitarbeitern. Damit dürfte die Untergrenze erreicht sein. Parallel haben wir in die brasilianischen Werke viel Geld investiert, um die Produktion zu modernisieren und neue Produkte zu entwickeln. 2019 ist die Neuausrichtung abgeschlossen, bis dahin hat sich hoffentlich auch die Wirtschaft wieder erholt. Auch in den USA mussten wir reduzieren. Dass dort junge Arbeitnehmer in den ersten Jahren mehrmals vor die Tür gesetzt werden, regt dort aber offenbar keinen auf.
Im Pkw-Bereich brummt es. Trotzdem entstehen neue Fertigungskapazitäten nur noch im Ausland. Schmerzt Sie das?
Es würde mich nur dann schmerzen, wenn wir an den deutschen Standorten nicht in gleichem Maße in Modernisierung investieren würden. Wir diskutieren vor solchen Entscheidungen im Übrigen immer, wie wir damit auch die deutschen Standorte stärken können. Im Fall des neuen Pkw-Werks in Kecskemét in Ungarn muss man auch den Produktionsverbund sehen. Natürlich sind die Lohnkosten dort niedriger. Zusammen mit dem Werk in Rastatt, wo auch Kompaktfahrzeuge produziert werden, erhöht dies die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt. Wir haben schließlich eine deutlich höhere Fertigungstiefe als Konkurrenten wie BMW und Audi. Und: Wir exportieren immer noch überproportional viel aus Deutschland heraus. Außerdem sollen deutsche Aggregatewerke dem neuen Motorenwerk in Jawor Teile zuliefern und damit von den zusätzlichen Kapazitäten ebenfalls profitieren.
Die Autoindustrie steht in den nächsten Jahren vor einem tiefgreifenden Wandel. Sehen Sie den Daimler-Konzern gut gerüstet?
Wer das denkt und sich zurücklehnt, hat schon verloren. Dann wird der Erfolg von heute auf morgen projiziert. Klar ist: Mit der Digitalisierung, der Elektrifizierung und den immer strengeren Abgas-Normen haben wir schon einige Mammutaufgaben. Gleichzeitig müssen wir den riesigen Nachfrageschub bedienen und noch in neue Werke investieren.
Sind Sie zuversichtlich, auf diesem Weg alle Mitarbeiter mitnehmen zu können?
Wir haben inzwischen genügend Erfahrung mit Veränderungsprozessen. Wenn man diese begründet und immer wieder erklärt, dann kann man einen Großteil der Belegschaft mitnehmen. Wir müssen überzeugend sein in dem, was wir vorgeben, dann klappt es auch. Ein großer Vorteil ist sicher, dass es uns mit den Standortsicherungen und Jobgarantien gelungen ist, dass diese Veränderungen in einem sicheren Rahmen ablaufen.
Fürchten Sie gravierende Einschnitte bei der Belegschaft durch die Digitalisierung?
Die größten Rationalisierungsthemen sehen wir weniger in der Fertigung als in den Verwaltungsbereichen. Nehmen Sie das Beispiel Shared Service Center. Früher haben an jedem Standort sehr viele Menschen Rechnungen oder Personalthemen bearbeitet. Heute läuft das mit standardisierten und zentralisierten Prozessen weitgehend automatisch ab. Erforderlich sind nur noch wenige Hundert Mitarbeiter, die in Berlin, Maastricht oder Indien sitzen. Da sind sehr viele Jobs verschwunden in diesem Bereich. Auch unsere Entwicklungs- und Planungsabteilungen werden sich durch die Digitalisierung in erheblichem Maße verändern.
Gibt es eine Alternative?
Nein, es ist ja auch nicht alles eine Bedrohung. Damit wird die Effizienz von Prozessen enorm gesteigert, die uns wiederum die Wettbewerbsfähigkeit sichert. Wir müssen bei der Industrie 4.0 vorne mit dabei sein, sonst haben wir das größere Problem. Die Digitalisierung sorgt – wenn wir es richtig machen - dafür, dass es mehr anspruchsvolle und körperlich weniger belastende Tätigkeiten geben wird und daher Qualifikation und Kreativität der Mitarbeiter stärker gefragt sind. Das schafft auch Raum für neue Geschäftsideen und -modelle, die wir in der Zukunft dringend brauchen.
Vorne mit dabei sein wollen Sie auch bei der Elektromobilität. Kommt das Signal von Paris nicht zu spät?
Wenn jetzt der Schwenk Richtung Elektromobilität gemacht wird, heißt das noch nicht, dass man damit auch gleich Geld verdient. Diese Erfahrung macht Tesla genauso wie BMW. Das Model 3 von Tesla hat aber auch gezeigt, dass Kunden durchaus zum Umstieg bereit sind, wenn das Verhältnis von Preis und Nutzen stimmt. Paris war sicher eine gute Gelegenheit, sich hier zu positionieren. Wir haben gelernt, dass man auch Menschen bedienen muss, die sich mit ihrem Elektrofahrzeug von der Masse abheben wollen. Dafür ist ein EQ gedacht. Gleichzeitig müssen wir die Nachfrage beobachten und sehen, welche weiteren Modelle aus dem Portfolio neben Smart oder B-Klasse wir elektrifizieren.
Hat die Brennstoffzelle aus Ihrer Sicht überhaupt noch eine Chance?
Man sollte die Technologie nicht abschreiben. Sie hat große Vorteile wie die schnelle Betankung und große Reichweite und ist damit etwa auch für Einsatz in Bussen oder anderen Nutzfahrzeugen interessant. Allerdings holt die Batterie hier schnell auf. Bei der Brennstoffzelle kommt noch die Frage hinzu, wie sich der Wasserstoff mit möglichst wenig Energie und CO2-Ausstoß herstellen lässt. Aber wir müssen beide Technologien verfolgen. Am Ende werden wir sehen, welche davon sich durchsetzt.
VW hat zuletzt öffentlich einen Streit mit einem Zulieferer ausgetragen. Ist Daimler vor solchen Auseinandersetzungen geschützt?
Das war ein gutes Lehrbeispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. Grundsätzlich gilt gegenüber Zulieferern das Gebot der Fairness. Profite sollten nicht auf deren Rücken gemacht werden. Es bringt auch nichts, denn spätestens, wenn während des Lebenszyklus eines Produkts eine Änderung an einem Teil notwendig wird, holen die sich das Geld wieder. Auf der anderen Seite gilt: Die Zulieferer befinden sich durchaus in einer Machtposition und tanzen nicht nur Limbo vor den Herstellern. Die guten und innovativen Unternehmen wissen um ihre Position und haben eine ordentliche Rendite.