Cavallo und Diess liefern sich Schlagabtausch

Das Podium war prominent besetzt: VW-Chef Herbert Diess, Betriebsratschefin Daniela Cavallo, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sprachen nacheinander zu den 3000 bis 4000 VW-Mitarbeitern, die sich in Halle 11 versammelt hatten. Alle anderen konnten per Intranet zusehen, was nach Angaben des Betriebsrats von Zehntausenden genutzt wurde. Der Betriebsrat hatte zuvor gezielt dazu aufgerufen, virtuell teilzunehmen. Die genehmigte Teilnehmerzahl von 7000 in der Halle sei daher nicht einmal ausgeschöpft worden, hieß es.

In ihrer Rede trat Cavallo den jüngsten Spekulationen um eine Absetzung von Konzernchef Herbert Diess entgegen. "Es geht hier nicht um einzelne Personen", sagte sie laut ihrem Redemanuskript, das der Automobilwoche vorliegt. "Das Einzige, was uns interessiert, sind Lösungen für die anstehenden Herausforderungen." Zugleich machte sie aber ihren Unmut über Diess deutlich: "Ich habe keine Lust, mich weiter auf Zusagen des Konzernvorstands zu verlassen, die am Ende eh nicht eingehalten werden. Und mehr noch: Wir können es uns auch nicht leisten!"

Scharfe Kritik äußerte Cavallo vor allem an den regelmäßigen Produktionsausfällen in Wolfsburg wegen fehlender Halbleiter. "Das, was wir bei den Halbleitern sehen, ist ein Armutszeugnis", sagte sie. "Es ist ein Armutszeugnis für einen Weltkonzern! Und es ist die Verantwortung von Ihnen, sehr geehrte Konzernvorstände! Zumal es durchaus andere Automobilhersteller gibt, die besser durch die Krise kommen."

Die Produktion in Wolfsburg werde dadurch in diesem Jahr wohl auf den niedrigsten Stand seit mehr als 60 Jahren fallen. "Für 2021 erreichen wir, wenn es gut läuft, gerade mal 400.000!" Das wären noch einmal deutlich weniger als im Corona-Jahr 2020, als die Produktion im Stammwerk erstmals seit 1958 unter 500.000 gefallen war. "Die Wahrheit ist doch, dass unser Konzernvorstand, für den Sie die Verantwortung tragen, Herr Dr. Diess, es nicht schafft, für die Auslastung unseres Werkes zu sorgen!"

Scharfe Kritik äußerte sie zudem an den jüngsten Äußerungen Diess' über eine möglichen Stellenabbau. "Da frage ich mich wirklich, ob ihnen selbst diese Lage hier an unserem Standort eigentlich bewusst ist und wie das in der Belegschaft ankommt", sagte sie in Richtung des Konzernchefs. "Fakt ist aber: Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord." Und fügte hinzu: "Also hören Sie auf mit Spekulationen über Stellenabbau und erarbeiten Sie mit uns gemeinsam Lösungen!"

Vergleiche mit dem neuen Tesla-Werk in Grünheide, wo 10.000 Mitarbeiter pro Jahr 500.000 Autos bauen sollen, wies Cavallo zurück. Denn auch in Wolfsburg entfalle nur ein kleiner Teil der 60.000 Mitarbeiter am Standort auf die eigentliche Fahrzeugproduktion. Nur 13.000 seien direkt mit dem Autobau befasst. "Wenn wir mal die festgelegten 820.000 Autos nehmen, die für Wolfsburg angepeilt waren, würden wir im Vergleich immer noch ziemlich gut abschneiden."

Auch IG-Metall-Chef Hofmann, der zugleich Vizechef des VW-Aufsichtsrats ist, kritisierte Diess. "Ein Trainer, der keinen Zugang zur Mannschaft hat, verliert das Spiel auf dem Platz", sagte er seiner Rede. Der Umbau der Autoindustrie sei eine Herkulesaufgabe, für die man eine motivierte Belegschaft brauche. Die Transformation gelinge nur gemeinsam mit den Beschäftigten, nicht gegen sie, so Hofmann.

Diess verteidigte seinen Kurs und warb darum, den Umbau gemeinsam zu gestalten. Zugleich äußerte er aber auch Verständnis für den Unmut in der Belegschaft. Denn gerade im Wolfsburger Stammwerk fallen wegen fehlender Chips derzeit regelmäßig Schichten aus, die Mitarbeiter werden in Kurzarbeit geschickt. "Mit ist klar: Sie wollen zurück ins Werk", sagte er den versammelten Mitarbeitern. "Der Unmut ist völlig angebracht."

Kurzfristig Entwarnung geben könne er aber nicht: „Auch nächstes Jahr wird uns der Chipmangel begleiten“, sagte Diess laut seinem Redemanuskript, das der Automobilwoche vorliegt. "Die Versorgung wird besser, aber wir werden nicht jedes Auto bauen können." Beim Golf gebe es bereits jetzt einen enormen Produktionstau: "118.000 Bestellungen liegen für den Golf vor. Schon heute haben wir alle Autos verkauft, die in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres in Wolfsburg beim Band laufen." Zugleich bekräftigte Diess, dass gerade der Golf enorm wichtig sei für den Konzern. "Der Verkauf unserer Verbrenner finanziert den Wandel zum elektrischen digitalen vollvernetzten Auto."

Mit Blick auf die Forderung Cavallos nach einem vorzeitige E-Modell für das Stammwerk schon vor 2026, das die Betriebsratschefin auf der Versammlung bekräftigte, erinnerte Diess daran, dass er eigentlich in Wolfsburg und nicht in Zwickau mit der E-Offensive beginnen wollte. "Ich wollte damals auch den ID.3 in Wolfsburg starten lassen", sagte Diess. "Damals hieß es: Erstmal abwarten." Deshalb habe man das Modell in Zwickau gestartet. Dem Vernehmen nach soll sich vor allem Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh damals gegen eine E-Auto-Produktion am Stammsitz gewehrt haben.

Cavallo widersprach entschieden: "Sie wissen, warum das nicht stimmt", sagte sie. "Wir hatten ein Elektromodell für Wolfsburg im Zukunftspakt vereinbart, dann sollten die E-Modelle jedoch an einem Standort, nämlich in Bratislava gebündelt werden. Damit die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, haben wir als Betriebsrat durchgesetzt, dass die Produktion in Zwickau konzentriert wird. Jetzt muss Wolfsburg nachgezogen werden!"

Dass so Diess, sei mit dem Trinity 2026 auch geplant. Beim nun anstehenden Umbau des Stammwerks für das Leuchtturmmodell, warb Diess darum, die Produktivität deutlich zu steigern – und appellierte an die Mitarbeiter, den Wandel gemeinsam zu gestalten. "Ja, ich mache mir Sorgen um Wolfsburg", sagte Diess. "Mein Appell: Steuern wir um! Machen wir Volkswagen zukunftssicher!"

Auch in Zwickau sei das angestrebte Ziel bei der Produktivität noch nicht erreicht worden, räumte Diess ein. Während Tesla in Grünheide künftig Autos in nur zehn Stunden montieren wolle, brauche VW in Zwickau noch mehr als 30 Stunden. "20 Stunden wollen wir im nächsten Jahr schaffen", sagte Diess. Ziel seien ursprünglich aber 16 Stunden gewesen. Beim Trinity in Wolfsburg peilt er daher nun 10 bis 12 Stunden an. Damit komme man dann auf Augenhöhe mit Tesla. Diess: "Wir dürfen uns unseren Standort, unsere Konzernzentrale, nicht von Tesla in Grünheide kaputt machen lassen." Zugleich bekannte er sich klar zum Standort: "Gerade Wolfsburg ist wichtig für den Konzern, muss die Speerspitze sein."

Die Mitarbeiter in der Halle machten Ihren Unmut deutlich. Sie begrüßten Diess mit Transparten, auf denen "Fair Wandel nur mit uns" stand und "Diess hat ein Problem". Zugleich erteilten sie einem Abbau von 30.000 Jobs, über den Diess im September spekuliert haben soll, eine klare Absage: "Nicht mir uns, Herbert!"

Cavallo dagegen wurde nach Angabe von Teilnehmern mit minutenlangem, stehehden Applaus begrüßt. Diess wurde nach Angaben von Teilnehmern nur ein einziges Mal von Beifall unterbrochen: Als er erklärte, dass er seine USA-reise abgesagt hat, um doch hier aufzutreten.

Insgesamt, so hieß es, sei die Stimmung dem Chef gegenüber frostig gewesen, vereinzelt gab es Buh-Rufe. Verglichen mit frühreden VW-Versammlungen sei die Ablehung aber modert ausgefallen. "Das haben wir hier schin ganz anders erlebt", sagte ein Teilnehmer. In der Wortwahl habe sich Diess auffallend zurückhaltend gezeigt und sich ganz offebra bemüht, Verständnis für die Mitarbeiter zu zeigen. Ein echtes Entgegenkommen etwa beim Streit um Werksbelegung und Auslastung sei aber nicht zu erkennen gewesen.

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