Doch selbstverständlich. Wir haben im Konzern auch ohne Tognum genügend Wachstumsmöglichkeiten. Es ist aber auch unsere Aufgabe, dass wir bei einer günstigen Gelegenheit zusätzliche Chancen ergreifen. Das ist bei Tognum der Fall. Das Wachstumspotenzial in dem von Tognum adressierten Markt liegt sogar noch über dem der Autobranche. Aber auch diese hat übrigens viel bessere Perspektiven als viele denken.
"Eine feindliche Übernahme macht mir keine Sorgen"
Noch vor fünf bis sechs Jahren galt die Autoindustrie als stagnierende, reife Branche. Die Sichtweise heute ist jedoch, dass wir über eine ganze Reihe von Jahren überdurchschnittlich wachsen werden – also mit Raten über dem weltweiten Brutto-Inlandsprodukt. Das liegt natürlich vor allem an der Nachfrage aus den schnell wachsenden Schwellenländern.
Daimler und Rolls-Royce wollen Tognum übernehmen
Daimler und Rolls-Royce wollen den Großdieselmotorenhersteller Tognum aus Friedrichshafen übernehmen und in ein Gemeinschaftsunternehmen einbringen. Dazu soll ein öffentliches Übernahmeangebot für rund 3,2 Milliarden Euro vorgelegt werden. Tognum ist im M-Dax notiert und auf Motoren, Antriebssysteme sowie Komponenten im Bereich Marine, Rüstung sowie anderen industrielle Anwendungen (Off-Highway) konzentriert. Daimler hält bereits 28,4 Prozent an dem in Friedrichshafen ansässigen Unternehmen und liefert von Lkw-Aggregaten abgeleitete Dieselmotoren mit einem Umsatzvolumen von jährlich 250 Millionen Euro. Rolls-Royce baut Triebwerkwerke für zivile und militärische Flugzeuge, ist besonders stark im Marinegeschäft aufgestellt und verfügt über Aktivitäten bei der stationären Engergieerzeugung.
Die Entscheidung hat damals der Vorstand, in dem auch ich saß, gefällt. Dabei spielte der Cash-Bedarf unter anderem durch unsere Beteiligung an Mitsubishi Motors eine Rolle. Damals wie heute sind die Aktivitäten von Tognum mit dem Lkw-Geschäft assoziiert. Viele Lkw-Hersteller nutzen die Nähe des On-Highway- zum Off-Highway-Motorengeschäft und heben damit Synergien. Man muss zugeben, dass wir das lange Zeit nicht umfassend ausgenutzt haben, und man könnte auch kritisieren, dass wir die MTU Friedrichshafen – so hieß Tognum zu dieser Zeit – für viel zu wenig Geld verkauft haben.
Davon war nie die Rede. Nochmal zur Klarstellung: Es ist in unserer Verantwortung, alle Bestandteile des Unternehmens auf Benchmark-Niveau zu führen. Daran müssen und wollen wir uns messen lassen. Wenn wir das nicht hinkriegen, müssen wir über Konsequenzen nachdenken. Dazu gehört aber nicht die Option, die Lkw-Sparte abzuspalten. Das haben wir übrigens auch glasklar gegenüber den Investoren zum Ausdruck gebracht.
Unsere Truckstrategie wird mit Sicherheit nicht vom Ausgang des Bieterverfahrens für Tognum bestimmt. Da würde der Schwanz mit dem Hund wackeln. Das Lkw-Geschäft kann und wird auch ohne Tognum erfolgreich sein. Die Investmentstory ist doch eine ganz andere ...
Wir haben die Chance mit unserem Partner Rolls Royce, in ein komplementäres Wachstumsfeld einzusteigen. Unser wirtschaftliches Risiko liegt bei null, weil wir über eine Put-Option unseren Anteil jederzeit an Rolls Royce zu einem höheren Preis wieder verkaufen können als wir ihn erworben haben. Entwickelt sich Tognum wie erwartet gut, profitieren wir sehr davon.
Wir sind im Konzern strategisch gut aufgestellt, haben die richtige Größe auch im Wettbewerbsvergleich und deshalb gibt es keine Notwendigkeit für Zukäufe. Auch bei Iveco mussten wir aber die sich ergebende Gelegenheit überprüfen. Kurz gesagt kamen wir zu dem Ergebnis, dass die Geschäfte gut zusammenpassen würden. Im Endergebnis konnten wir Iveco aber nicht zu dem Preis bekommen, der für uns gepasst hätte. Darum haben wir es gelassen.
Ich halte einen solchen Schritt nicht für sehr wahrscheinlich. Bei den Pkw wollen wir im Premiumsegment bleiben. Unter dieser Prämisse kämen sehr theoretisch nur unsere beiden Kollegen in Bayern in Betracht. Unsere Marke ist Mercedes-Benz und die ist erfolgversprechender als alles andere.
Wenn ich mir die letzten fünf Jahre betrachte, habe ich den Eindruck, dass unser Geschäft faktisch viel weniger von unseren Shareholdern bestimmt wurde als bei unserem nördlichen Nachbarn und zwar im Faktor 1:1000. Es ist nicht automatisch so, dass große Familien oder der Staat immer nur das Management erfreuen. Gerade durch den hohen Streubesitz sind wir bei Daimler in unserer Strategieentwicklung frei - zusammen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der übrigens auch ohne jegliche Kapitalinteressen agiert.
Daimler hat in zehn Jahren nur fünf Mal den Unternehmenswert gesteigert
Als Kennzahl für die Kapitalrendite dient der RONA (Return on Net Assets). Die Mindestverzinszung im Konzern (Kapitalkosten - risikoloser Zins auf das eingesetzte Kapital plus Risikoaufschlag für ein börsennotiertes Unternehmen) lag im vergangenen Jahr bei acht Prozent nach Steuern. Die Kapitalkosten als Mindestverzinsungsanspruch wurden in den vergangenen zehn Jahren nur fünf Mal übertroffen. Im Geschäftsjahr 2010 wies Daimler eine hohe Kapitalrendite von 17,5 Prozent aus. Ist der RONA höher als die Kapitalkosten, steigt der Unternehmenswert. Dies wird an der Börse als Voraussetzung für einen Kursanstieg und damit eine höhere Bewertung gesehen.
Theoretisch ist das richtig, praktisch halte ich das Risiko aber für gering. Eine Übernahme finanziell zu stemmen, wäre vielleicht noch möglich. Häufig vergessen wird aber, dass Daimler ohne jede Überschätzung eine Industrie-Ikone ist und die Aufregung groß wäre. Ganz zu schweigen von der starken Position der Arbeitnehmervertreter.
Ich kann Ihnen ganz einfach sagen: In den letzten fünf Jahren haben wir intern über dieses Thema dreimal gesprochen und noch nicht mal eine Arbeitsgruppe dazu eingesetzt. Das macht mir keine Sorgen und bestimmt auch nicht unsere Geschäftsausrichtung.
Die Aktivitäten folgen drei grundlegenden strategischen Überlegungen: Wir wollen Technologieführer sein beim emissionsfreien Fahren. Wir wollen Wachstumschancen in den Schwellenländern nutzen. Und wir müssen unsere Kostenposition beim Frontantrieb verbessern. Im Gegensatz zu früher hat das Unternehmen heute akzeptiert, dass wir trotz aller Erfahrung und Know-how nicht immer alles besser können als alle andere. Das ist ein extrem positiver Wandel und deshalb arbeiten wir mit Partnern zusammen, wenn wir davon profitieren können. Dabei gibt es im Verhältnis zum Gesamtunternehmen bedeutendere und weniger wichtige Aktivitäten.
Evonik und Tesla sind eher klein. Unsere Joint Ventures in China – dazu gehört die Pkw-Fertigung mit BAIC, die Transporterproduktion mit Foton und das Elektroauto mit BYD brauchen wir zur Markterschließung. Dazu versuchen wir, speziell in China einen Beitrag zur Entwicklung des Landes zu leisten und nicht nur die Marktchancen auszunutzen. Meiner Ansicht nach ist man mit dieser Strategie dort gut beraten, statt immer nur Angst vor Know-how-Verlust zu haben. Die geplante Lkw-Fertigung mit Kamaz in Russland sowie die Kooperation mit Renault/Nissan beim Frontantrieb sind für uns ebenfalls sehr relevant.
Auf diesem Feld haben wir alle Voraussetzungen besser als unsere zwei Wettbewerber BMW und Audi zu sein. Beim Frontantrieb hat Audi durch die Zugehörigkeit zum VW-Konzern einen Vorteil. Weil das vor allem Komponenten und Aggregate betrifft, haben wir uns mit Renault/Nissan verbündet, um gemeinsam Skaleneffekte zu erschließen.
Renditeziele von Daimler
Der Stuttgarter Autohersteller will die Profitabilität jeder Sparte an die Weltspitze treiben. Ab 2013 soll die Umsatzrendite im Industriegeschäft über die Geschäftszyklen hinweg neun (Geschäftsjahr 2010: 7,4) Prozent betragen. Die Sparte Mercedes-Benz Cars will zehn (2010: 8,7) Prozent Rendite, die Trucks acht (2010: 5,5) Prozent, die Vans neun (2010: 5,8) Prozent und die Busse sechs (2010: 4,7) Prozent erreichen. In der Finanzdienstleistungssparte soll eine Verzinsung des Eigenkapitals von 17 (2010: 16,1) Prozent erreicht werden.
Insgesamt sind wir sehr zuversichtlich, dass wir bei Mercedes-Benz Cars das genannte Ziel im Jahr 2013 erreichen und dieses Niveau auch halten können. Dabei hilft uns auch die unerwartet hohe Nachfrage aus China. Bereits heute haben wir die Kosten durch eine Modulstrategie massiv gesenkt. Ein Beispiel: Noch vor zwei Jahren hätten uns Maßnahmen zur Co2-Reduzierung wie Start-Stopp oder die hydraulische Lenkung über das gesamte Pkw-Portfolio hinweg 4,5 Milliarden Euro an variablen Zusatzkosten beschert. Tatsächlich realisiert haben wir die neuen Technologien bei gleichem Inhalt für nur 2,5 Milliarden Euro. Trotz aller Fortschritte gibt es noch eine Lücke zum Zielwert. Wir müssen also die Kosten weiter senken.
Wir verfügen über zwei wesentliche Stellhebel auf der Kostenseite: Die Einführung der neuen Frontantriebsarchitektur in der nächsten Generation der A- und B-Klasse, die im November startet, wird einen erheblichen Beitrag dazu leisten. Beim Heckantrieb stellen wir mit der neuen C-Klasse auf eine einheitliche Heckantriebsarchitektur um, was auch bei Komponenten und Modulen zu einer weiter steigenden Verblockung zwischen den Baureihen führt. Weil wir schon mit der C-Klasse künftige Lieferumfänge für die zwei Jahre später folgende E-Klasse einrechnen können, ergeben sich schon von Beginn an Einspareffekte. Den Großteil des Potenzials aus Architektur und Modulbaukasten werden wir 2014/2015 realisiert haben.
Wir sehen zwar die Möglichkeit mit dem Mobilitätskonzept Car2go in eine Umsatzgröße von einer Milliarde Euro zu wachsen. Das ist für ein Start-up eine riesige Zahl, in unserem Konzern aber nicht groß genug, dass man eine neue Sparte aufmachen müsste. Ich halte es für hochgradig unwahrscheinlich, dass neue Aktivitäten auf Sicht von zehn Jahren in einer solchen Dimension zulegen. Daimler wird also weiter ein Automobilunternehmen ähnlich wie heute sein. Allerdings soll dann jede Sparte bei Profitabilität und Markenwert in führender Position sein.