Apple stellt die Entwicklung eines eigenen Fahrzeugs nach zehn Jahren ein. Klaus Schmitz, Partner bei der Strategieberatung Arthur D. Little, erklärt, warum ihn das nicht überrascht und was er für die Zukunft erwartet.
Hätte ein iCar ein Disruptor werden können wie das iPhone für die Handys?
Das iPhone brachte bei seiner Einführung ein echtes Überraschungsmoment und war in vielerlei Hinsicht tatsächlich disruptiv. Das Apple Car ist im Vergleich hierzu seit Jahren publik und an der Fahrautomatisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung arbeiten viele Wettbewerber. In Cupertino hat man stets den Anspruch betont, etwas Magisches zu schaffen. Dies ist im Fall iCar nun nicht gelungen: Apple hat hier keine, mit dem damaligen iPhone vergleichbare, disruptive Führungsposition aufbauen können. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass Design, Bedienung und Konzepte sehr interessant gewesen wären. Wenngleich es auch nicht immer ganz klar war, ob das Ziel tatsächlich ein eigenes Apple-Fahrzeug war oder die Ambition vornehmlich in der Schaffung einer Technologieplattform für andere Hersteller lag.
Gemäß dem bisherigen Apple-Geschäftsmodell hätte es zum Beispiel im Gegensatz zu Alphabets Geschäftsmodell (Waymo, Android zum Beispiel) ein komplettes Fahrzeug sein müssen. Dies birgt Herausforderungen und Komplexitäten, gilt es doch, klassische Autobauer-Tugenden mit dem technischen Pioniergeist eines Techriesen zu kombinieren – und dabei ökonomisch erfolgreich zu bleiben.
Welche Folgen hat die Entscheidung für die Branche?
Viele verstehen den jüngsten Entschluss als Entscheidung primär gegen das Apple Car. Aber noch viel mehr dürfte es eine Entscheidung für Generative AI sein. Das Apple Car stand der notwendigen Fokussierung von Apple bei der Aufholjagd rund um Generative AI im Weg. Die nicht führende Positionierung von Apple in diesem Bereich ist eine Gefährdung des Kerngeschäfts und es ist sinnvoll, Ressourcen und Managementkapazität auf dieses Thema zu konzentrieren. Die Entscheidung nimmt keinen signifikanten Wettbewerbsdruck von den etablierten Auto-Anbietern oder den verbleibenden Disruptoren.
Die Euphorie für neue Mobilitätskonzepte ist zuletzt abgeflaut und eine gewisse Ernüchterung beim autonomen Fahren hat sich bereits zuvor eingestellt. Zu einem gewissen Teil reagiert Apple hier nun. Sicherlich wird Apple weiterhin Ambitionen rund um das Fahrzeug hegen- Über Benutzeroberflächen, Software, Apps, Infotainment und sicherlich bald auch KI-gestützte Assistenten wird Apple – wie auch andere Konkurrenten – weiter ins Fahrzeug drängen.
Könnten anderen Tech-Unternehmen Autos bauen? Zumindest Sony und Foxconn haben es angekündigt – wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
Apple hätte vermutlich das Fahrzeug im Auftrag bauen lassen, so wie sie dies bereits mit den eigens designten Chips und auch dem ganzen iPhone praktizieren. Foxconn könnte genau solch ein Auftragsfertiger für Elektrofahrzeuge werden und damit eine Rolle einnehmen, wie sie sie für das iPhone zum Beispiel bereits innehaben. Foxconn könnte aber auch zum eigenen OEM aufsteigen wollen. Die Montage von Elektrofahrzeugen ist einfacher als jene von Verbrennerfahrzeugen, auch die Zulieferteile sind mechanisch häufig weniger komplex.
Gleichwohl hat das Beispiel Tesla gezeigt, dass eine erfolgreiche Produktion nicht trivial ist, Stichwort "Produktionshölle". Gerade die neuen chinesischen Elektro-OEMs zeigen jedoch, dass Tesla kein Einzelfall bleiben wird und der Aufbau einer Montage und deren Skalierung möglich ist. BYD kommt zum Beispiel aus der Batteriezellfertigung und Geely ist mit Kühlschränken gestartet. Inzwischen sind beide wesentliche chinesische Angreifer im globalen Rennen um die Mobilität von morgen.
Wie wird sich das Verhältnis zwischen Autobauern und Tech-Firmen entwickeln? Einige Hersteller setzen ganz auf Software etwa von Google (Polestar), andere wie VW wollen sogar eigene Betriebssysteme entwickeln.
Ohne jede Frage wird in Zukunft ein guter Teil der Wertschöpfung und ein noch größerer Teil der Differenzierung und des Kundenerlebnisses von Software (inklusive AI und Chips) bestimmt. Wiederum ist das Android-Phone ein gutes Beispiel für ein mögliches Szenario. Samsung musste schon einen spektakulären Klappbildschirm entwickeln, damit der Kunde überhaupt den Hardwarehersteller wahrnimmt. Ein Android-Nutzer setzt primär auf Android und sucht dann gegebenenfalls wechselnd die Hardware hierzu. Die digitale Benutzeroberfläche und das Ökosystem bestimmen Kundenerlebnis und -bindung.
Beim Carsharing oder Robotaxi wird die Bedeutung der Hardware weiter reduziert, hier kommt sogar noch der Mobilitätsanbieter hinzu. Die OEMs hätten also allen Grund, auf eigene Software zu setzen. Die Frage ist nur, können sie gegen die Techdisruptoren bestehen oder fügen sie sich besser gleich in die neuen Gegebenheiten ein? Abhängig vom Selbstverständnis, der Positionierung und den Ressourcen kommen die OEMs hier zu unterschiedlichen Antworten. Aus Sicht der europäischen Industrie ist nicht so sehr entscheidend, ob OEM oder Techplayer hier führend sein werden. Vielmehr besteht die große Gefahr, dass die entscheidende Technologie eben nicht aus Europa kommen könnte – von der Batterie bis zum Softwarestack und den Chips.
Neben den Tech-Firmen drängen zahlreiche weitere neue Automarken, vor allem aus China, auf den Markt – erwarten Sie eine Konsolidierung? Wenn ja, wann ungefähr?
Wir haben schon eine massive Konsolidierung erlebt, bei der in der Regel die Marke als solche erhalten geblieben ist, aber zuvor unabhängige Wettbewerber sich zu Allianzen zusammengeschlossen haben und die Eigenständigkeit verloren gegangen ist. Diese Allianzen setzen auf gemeinsame Plattformen – mal mehr gemeinsam entwickelt, mal mehr von einer Seite dominiert. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass die einzelnen Marken einer Allianz oder Gruppe Software und das autonome Fahren im Kern unabhängig voneinander beziehungsweise mehrfach entwickeln. Im Gegenteil werden sich Allianz-übergreifend Techplattformen herausbilden und es ist wahrscheinlich, dass die meisten dieser Plattformen eher von den Techplayern kommen werden. Ein interessantes Mischmodell ist zum Beispiel Cruise, das als Techdisruptor von OEMs gekauft worden ist und beim autonomen Fahren nun um die technologische Führerschaft mitkämpfen kann.
Unabhängig vom Thema Software sehen wir einen Bruch mit der Sondersituation der letzten zwei Jahrzehnte, dass die westlichen Hersteller den größten Automarkt der Welt, der Volksrepublik China, als zusätzlichen Markt hinzugewonnen haben, ohne dass ihnen dadurch in den bisherigen Märkten neuer Wettbewerb entstanden wäre. Dies ändert sich gerade und die Chinesen versuchen zu einer führenden Exportnation von Autos zu werden. Sie folgen dabei einer jahrzehntealten staatlichen Strategie, den Verbrenner im Wesentlichen zu überspringen und beim Elektrofahrzeug anzugreifen. Ihre sehr gute Position bei Kosten, der Batteriezellenfertigung, dem Elektroantrieb, den Rohstoffen sowie den Lohn- und Energiekosten sowie die Innovationskraft der neuen, nicht (primär) staatlichen, OEMs begünstigt ihren Erfolg erheblich.
All dies lässt sie zu einem signifikanten Absatzrisiko für westliche Hersteller in China und inzwischen gar auf den Heimatmärkten werden. Vermutlich werden wir weitere Übernahmen von Marken durch die Chinesen sehen, wie wir es zum Beispiel schon bei Volvo Cars erlebt haben. Denkbar ist aber auch eine weitere Konsolidierung auf Seiten der westlichen Hersteller.
Das Interview führte Stefan Wimmelbücker.
Aus dem Datencenter:
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Markeneintritt chinesischer Hersteller in Deutschland und Europa