"Müssen wirklich daran glauben, die Welt verändern zu können"

Marcus Erberich

Die Software wird den Motor als Herzstück des Automobils verdrängen, glaubt VW-CDO Johann Jungwirth. Beim Wolfsburger Autobauer will er deshalb ein entsprechendes "Mindset" etablieren.

Donnerstag, 4. Mai 2017, 15.17 Uhr

Der Fahrer führt dauerhaft die Längs- oder Querführung aus, Assistenten unterstützen ihn.Audi: Im A8, der 2003 auf den Markt kam, setzte Audi erstmals den Abstandsregeltempomaten ein. Heute wird er in Kombination mit Sensorik verbaut (Level 2) und sorgt so für den richtigen Abstand zum Vorderfahrzeug. BMW: Im April 2000 kam mit dem Facelift des Siebener der Abstandsregeltempomat.Daimler: Mercedes hat erstmals 1962 Technik verbaut, die die Geschwindigkeit geregelt hat. Ab 1975 gab es den Tempomaten serienmäßig, seit 2003 ist der Name „Tempomat“ durch Daimler geschützt.

Das System übernimmt eine spezifische Anwendung, wird aber dauerhaft überwacht.Audi: Der „Audi active lane assist“ erkennt die Fahrspurbegrenzung, steuert leicht gegen und warnt durch Lenkrad-Vibration. Seit 2010 im A7.BMW: Mit dem Stauassistenten kann man im dichten Verkehr bei bis zu 60 km/h „mitschwimmen“. Der BMW Fünfer bekam ihn 2013.Daimler: Der Lenk-Assistent sowie der Stop&Go-Pilot unterstützen den Fahrer in der S-Klasse seit 2013. Zum Drive-Pilot weiterentwickelt, gibt es ihn in der E-Klasse seit 2016 und ab Sommer 2017 in der überarbeiteten S-Klasse.

Foto: Audi

Der Fahrer muss das Steuer übernehmen, falls das System an seine Grenzen kommt. Audi: Der Staupilot im neuen A8 (ab Herbst 2017) fährt auf der Autobahn bis zu 60 km/h. Der Fahrer muss nach Aufforder-ung innerhalb von sechs bis acht Sekunden übernehmen können.BMW: Im gleichgerichteten, abgegrenzten Verkehr, also auf Autobahnen, fährt das Auto selbstständig. Level 3 kommt mit dem BMW iNext 2021. Daimler: Der Fahrer ist innerhalb einer bestimmten Zeit auf der Autobahn übernahmebereit. Daimler hat noch nicht angekündigt, wann Level 3 kommt.

In spezifischen Szenarien und in vorgegebenen Grenzen fährt das Auto schon selbstständig. Audi: Der erweiterte Autobahnpilot fährt von Auffahrt bis Ausfahrt selbstständig und erkennt Baustellen. Ein anderes Szenario ist der Parkhauspilot. BMW: Die Münchner verstehen unter Level 4 ein Auto, das bis auf extreme Wetterverhältnisse oder komplexe Situationen wie Alpenpässe allein fährt. Daimler: Als Einsatzbereiche für Level 4 sieht man etwa bei Car2go Fahrzeuge, die den Nutzer zu Hause abholen – innerhalb bestimmter Grenzen des Systems. Außerhalb muss weiter selbst gefahren werden.

Das Auto fährt komplett selbst, es ist von Start bis Ziel kein Fahrer mehr erforderlich.Audi/Volkswagen: Es ist schwer abzuschätzen, wann autonome Fahrzeuge auf den Markt kommen. Robotaxis oder Minibusse wie der VW Sedric, die nur in definierten Räumen wie der Stadt fahren, wird es wohl eher geben als Fahrzeuge, die jedes Szenario beherrschen.BMW: Zwischen 2020 und 2030 wird es erste Pilotprojekte zu autonomen Fahrzeugen geben – erst auf der Autobahn, dann in Innenstädten. Daimler: Das Auto beherrscht alle Geschwindigkeitsbereiche, Szenarien und Straßentypen.

VW-Digitalchef Johann Jungwirth prophezeit, dass die nächste Generation keinen Führerschein mehr machen wird. Hat er Recht?

VW-Digitalchef Johann Jungwirth geht davon aus, dass die Software in der Zukunft das Herzstück des Automobils sein wird. Im Interview mit dem "Handelsblatt" sagte der Chief Digital Officer (CDO) des Wolfsburger Konzerns: "Es ist unerlässlich, Software und Services mit dem gleichen Fokus anzugehen wie die Hardware in den letzten Jahrzehnten."

Die Mobilitätsbedürfnisse der Kunden hätten sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. "Es ist heute gang und gäbe, dass man in der Großstadt ein Fahrzeug bucht, um von A nach B zu kommen", sagte Jungwirth dem Blatt weiter. Bei den Veränderungen macht der VW-CDO drei Schwerpunkte aus: "Den Wandel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb, dann den Wandel von uns Menschen als Fahrer hin zum selbstfahrenden Auto und den Wandel vom Besitz zu gemeinsamer Nutzung – auch wenn ich glaube, dass dieser Trend nicht das eigene Fahrzeug verdrängen wird und mit selbstfahrenden Fahrzeugen umkehrbar ist."

Systeme, die den Fahrer im Auto entlasten oder sogar ersetzen, würden im 21. Jahrhundert jedenfalls den Motor als zentrales Element des Automobils verdrängen. Deswegen werde die Entwicklung entsprechender Anwendungen auch ein Thema für alle Marken und Produktkategorien des Konzerns sein.

Jungwirth will "Mobilität für alle schaffen"

Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2015 ist Jungwirth damit beschäftigt, für diesen Wandel bei VW die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. "Es geht um ein Mindset, eine Einstellung. Es ist wichtig, dass wir größer denken, mutige Entscheidungen treffen und wirklich daran glauben, die Welt verändern und das Leben der Menschen verbessern zu können", erklärte er dem "Handelsblatt". Etwa bei den selbstfahrenden Autos sei es möglich, "Mobilität für alle zu schaffen, und zwar auf Knopfdruck, ob für Kinder, alte oder blinde Menschen."

Volkswagen sieht der Manager auf dem Weg dorthin bereits gut aufgestellt, versicherte er. "Wir haben neue Einheiten aufgebaut wie zum Beispiel die Future-Center sowie Labs im Konzern und in den Marken. Hier leben wir schon diese neue Kultur und arbeiten nach agilen Methoden – das lockt die richtigen Leute an und garantiert Speed." Im nächsten Schritt müsse man diese Kultur dann noch weiter ins Unternehmen tragen – "dass das ein bisschen länger dauert, ist klar." (mer)

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