Immer mehr Autos chinesischer Hersteller drängen auf den europäischen Markt. Fahrzeuge von BYD, MG und Co sind den einheimischen Modellen dabei oftmals ebenbürtig und punkten zudem mit günstigen Preisen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereitet deshalb Importzölle auf chinesische Autos vor. Deutsche CEOs wie Mercedes-Chef Ola Källenius sind dagegen, die französischen um Stellantis-Chef Carlos Tavares dafür.Ob das eine gute Idee ist? Zwei Meinungen.
Pro und Contra – Strafzölle für Importfahrzeuge aus China?
Die EU hat eine Untersuchung chinesischer Importfahrzeuge eingeleitet, die zu höheren Zöllen führen könnte. In der Automobilwoche-Redaktion sind die Meinungen geteilt.
Von Michael Gerster, Reporter Automobilwoche
Mit bewundernswerter Systematik und Konsequenz hat China in den vergangenen Jahren seine Automobilindustrie fit für den Angriff auf die Weltmärkte gemacht. Westliche Hersteller wurden in Gemeinschaftsunternehmen gezwungen, damit die heimische Industrie Know-How aufbauen konnte. Um die lokale Produktion zu fördern, wurden Importe mit einem Zoll in Höhe von 15 Prozent belegt.
Und als die Regierung erkannte, dass beim Verbrenner trotzdem nichts zu holen war, pumpte sie zusätzliche Milliarden in die Batterie-Technologie und neue Player, um sich bei der Elektromobilität einen Vorsprung zu erarbeiten. Nicht zuletzt dank dieser Subventionen und billiger Energie aus Kohlekraftwerken sind chinesische Autos mit E-Antrieb deutlich günstiger als vergleichbare Fahrzeuge aus europäischer Produktion.
Bisher war das kein Problem, da vor allem in China selbst ein harter Preiskampf tobt. Doch weil viele der dortigen Automarken nicht überleben können, suchen sie ihr Heil nun in Europa. Mit BYD, der SAIC-Marke MG, Great Wall Motor oder Nio gibt es bereits eine Menge Hersteller, die hier Fuß gefasst haben.
Die Europäische Union macht es ihnen leicht, denn hier wird bei der Einfuhr von Fahrzeugen aus China nur ein Aufschlag von zehn Prozent verlangt. Kein Wunder also, wenn Stellantis-Chef Carlo Tavares lautstark kritisiert, dass der Staat in China ausländischen Herstellern Steine in den Weg wirft, während die chinesischen Hersteller in Europa mit offenen Armen empfangen würden. Tatsächlich ist es an der Zeit, die Handelsbedingungen zu überdenken.
Die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eingeleitete Untersuchung zu wettbewerbsverzerrenden Vorteilen chinesischer Importfahrzeuge ist daher das richtige Signal. Natürlich gibt es in der europäischen Autoindustrie unterschiedliche Interessen. Während die Premiumhersteller wie Audi, BMW, Mercedes oder Porsche chinesische Konkurrenz im Heimatmarkt kaum fürchten müssen, aber China als wichtigen Markt brauchen, sieht es bei Stellantis oder Renault genau umgekehrt aus.
Aber das reflexhafte Beschwören von Prinzipien des Freihandels der deutschen CEOs ist angesichts einer chinesischen Regierung, die mit großer Rücksichtslosigkeit ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgt, wenig hilfreich. Die Solarindustrie lässt grüßen.
Der einfachste Schritt wäre die Angleichung der Zölle auf das chinesische Niveau. Weil die dortigen Hersteller Europa für den Absatz ihrer Elektroautos dringend brauchen, würden die befürchteten Gegenreaktionen vermutlich ausbleiben. In den USA sind die Schranken zudem bereits höher. Die Kosten-Nachteile der Europäer könnten aber auch durch elegantere Maßnahmen ausgeglichen werden.
Dazu zählt der französische Weg, der bei der Förderung von E-Autos seit Anfang des Jahres auch den CO2-Fußabdruck während der Produktionsphase berücksichtigt. Zölle könnten beispielsweise nur auf jene Fahrzeuge erhoben werden, die mit schmutziger Energie gefertigt wurden – ohne dabei ein Land gezielt ins Visier zu nehmen. So würden die Aufschläge mit dem Prinzip des Klimaschutzes verknüpft, der in Europa einen so hohen Stellenwert hat. Ohne eine selbstbewusstere und stärker gesteuerte Industriepolitik jedenfalls drohen der Autoindustrie schwere Zeiten.
Von Michael Knauer, Reporter Automobilwoche
Sollte Europa angesichts der chinesischen Herausforderer ins Schwitzen geraten und die neuen Wettbewerber mit Strafzöllen fernhalten? Ganz gewiss nicht.
Blicken wir zunächst auf den tatsächlichen Neuwagenpreis: Ja, die chinesische Regierung fördert ihre Automobilindustrie auf unterschiedlichste Weise mit Milliardenbeträgen und sorgt so dafür, dass chinesische E-Autos in Europa vergleichsweise günstig angeboten werden können. Von Dumpingpreisen zu sprechen, wäre jedoch grob übertrieben. Es ist eher verwunderlich, wie hoch die Preise von BYD & Co. in Europa trotz dieser sehr günstigen Bedingungen in der Produktionsheimat sind.
Die hierzulande meist völlig unbekannten Marken aus Fernost glauben offenbar, dass "Made in China" kein Malus mehr ist. Doch sie werden noch erfahren, dass für die allermeisten Autokäufer in Europa das Vertrauen in die Marke zählt – und damit einhergehend die Erfahrung einer automobilen Historie.
Nun zum Thema Suventionierung generell: Hier ist die Lage in China äußerst intransparent. Es geht dabei keineswegs nur um eine geringe steuerliche Abschöpfung der Hersteller im Heimatland. Die Regierung fördert nämlich ganze Lieferketten, sie unterstützt beispielsweise die Rohstoff-Sicherung und -Verwertung durch langjährige Kooperationsabkommen mit afrikanischen Staaten. Auch das muss zum langen Katalog der Fördermaßnahmen gerechnet werden.
Doch ist das unfair oder gar unlauter? Die Europäer sollten da besser still halten, denn sie sitzen selber im Glashaus. Die EU fördert die Batterieproduktion (und nicht nur die Batterieforschung) mit hohen Milliardenbeträgen, sie versucht dem Beispiel Chinas zu folgen und strebt eine neue "Rohstoff-Außenpolitik" an, sie erlaubt es nationalen Regierungen, die lokale Automobilproduktion durch hohe Milliardenförderungen anzuziehen (Stichwort Grünheide) und sie genehmigt laufend neue Ausnahmen von ihrem eigenen Beihilferecht.
Schließlich sollte purer Eigennutz die Europäer davon abhalten, die Chinesen mit Strafzöllen einzuhegen: Alle historische Erfahrung lehrt, dass dies eine Spirale von Gegenzöllen in Gang setzt, aus der keine Seite als Gewinner hervorgeht.
Haupt-Leidtragender einer solchen Spirale wäre natürlich die deutsche Automobilindustrie, die bereits rund ein Drittel ihres Absatzes (und noch mehr vom Gewinn) in China verbucht.
Auch viele Komponenten für die deutschen Hersteller kommen längst aus China – insbesondere Batterien. Sollte also China mit Gegenmaßnahmen auf europäische Strafzölle reagieren, würde dies sehr schnell die europäischen Fahrzeuge noch mehr verteuern – und den Preisabstand zu den chinesischen Modellen nochmals ausweiten. Daran kann nun wirklich niemand Interesse haben.
Eine richtige Reaktion auf die preisliche, technologische und strategische Herausforderung durch China besteht darin, die eigene Technologie und Produktionseffizienz laufend zu verbessern, die Rohstoff-Basis auf viel mehr Beine zu stellen und für die deutschen Premiumhersteller vor allem: runter kommen von der einseitig hohen Abhängigkeit vom chinesischen Markt.
Es wäre sträflich, wenn BMW, Audi und Co. kein Szenario in der Schublade hätten für den Tag X, an dem China womöglich Taiwan angreift und damit eine massive Sanktionswelle der westlichen Welt auslösen würde.