Herr Daum, zur IAA stellen Sie den neuen Actros vor, der mit teilautomatisierten Fahren aufwartet. Was versprechen Sie sich davon?
Im neuen Actros bieten wir erstmals in einem Serien-Lkw teilautomatisiertes Fahren in allen Geschwindigkeitsbereichen. Neu sind die aktive Querführung und die Verbindung von Längs- und Querführung in allen Geschwindigkeitsbereichen durch die Fusion von Radar- und Kamerainformation. Das hält den Lkw innerhalb der Systemgrenzen bei allen Geschwindigkeiten in der Spur. Der Fahrer wird somit gerade auf langen Strecken spürbar entlastet und wir steigern die Verkehrssicherheit und Verbrauchseffizienz.
Für die Messe in Hannover präsentieren Sie auch den ersten rein elektrischen Stadtbus von Daimler. Mit welchen Stückzahlen ist da zu rechnen?
Das ist sehr schwer vorherzusehen. Auf der einen Seite ist die Nachfrage groß. Wir sehen spürbar mehr Interesse aus der Politik, aber auch von Städten selbst, um die Luftqualität möglichst schnell zu verbessern. Auf der anderen Seite kostet so ein Bus mindestens das Doppelte im Vergleich zu einem konventionell angetriebenen Fahrzeug. Es muss also ins Budget passen und in die Struktur des Verkehrsbetriebes. Außerdem muss die Kommune investieren: in Lademöglichkeiten in den Betriebshöfen und gegebenenfalls auf der Strecke.
Also reden wir am Anfang eher über kleineren Absatz pro Jahr?
Ja, wir rechnen mit einem Produktionsumfang im mittleren dreistelligen Bereich für das Jahr 2019. Der gesamte europäische Stadtbus-Markt ist ohnehin nicht so groß. Wir reden hier in guten Jahren über eine niedrige fünfstellige Zahle pro Jahr in ganz Europa.
Ist es also nicht so schlimm, dass Daimler mit seinem E-Bus vergleichsweise spät dran ist?
Wir sind genau rechtzeitig am Markt und keineswegs zu spät. Es ist leicht, zwischen vier Räder eine Batterie zu packen. Aber das System gegen Korrosion zu schützen, alle Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, mit Temperaturschwankungen umzugehen, die Konnektivität abzustimmen und den Einstieg behindertengerecht und für hohe Frequenzen auszulegen, all das braucht eben Zeit. Dafür haben wir eine Produktion, in der wir relativ schnell von dreistelligen Zahlen auf vierstellige hochfahren können, wenn die Nachfrage da ist.
Aber andere Hersteller wie etwa Sileo haben Busse im Angebot, die bereits eine größere Reichweite schaffen.
Wenn Daimler ein Versprechen macht, dann halten wir es auch. Wichtig ist die Leistungsfähigkeit der Batterie nach zwei bis drei Jahren, bei hoher Heizleistung im Innenraum und kalten Außentemperaturen. Wir wollen nicht den Marktschreier geben, sondern von unseren Kunden ernst genommen werden. Ich will den Verkehrsbetrieben der Städte nicht nur einen Bus verkaufen, sondern im Zweifel 1000. Diesem Wettbewerb stellen wir uns gerne.
Wann hat aus Ihrer Sicht der Verbrennungsmotor beim Stadtbus ausgedient?
Letztlich entscheidet das der Kunde. Es gibt den Faktor der Kosten und der klimatischen Bedingungen. Wenn ich in Nordschweden eine Buslinie betreibe, habe ich den Diesel sicher noch länger. Ich könnte mir vorstellen, dass bis 2030 etwa 75 Prozent der neuen Stadtbusse mit Elektroantrieb verkauft werden. Denn wenn es einen Markt für die Elektroantriebe gibt, dann im Bereich der Stadtbusse.
Sie haben ja schon eine recht breite Palette an E-Antrieben bei Nutzfahrzeugen vom Kleinlaster bis zum Actros. Welche Anwendungsfälle eignen sich dafür?
Ein Beschaffer in der öffentlichen Hand wird sich derzeit noch vor einem privaten Unternehmen für einen E-Antrieb entscheiden. Das zweite Segment können Firmen sein, die im Lieferverkehr auf einen unbegrenzten Zugang in die Städte angewiesen sind wie etwa viele Supermärkte oder Paketzusteller. Drittes Segment könnte der Punkt-zu-Punkt-Verkehr auf der Mittelstrecke sein, beispielsweise als Tagestour zu einem Werk oder Zentrallager. Dort ist es eine Frage der Wirtschaftlichkeit, etwa die Abwägung von Anschaffungskosten und Wartungskosten.
In den USA haben Sie kürzlich zwei rein elektrische Modelle von Freightliner angekündigt. Spielt da der Druck von Tesla auch eine Rolle?
Nein, da warte ich mit großem Interesse auf den ersten Tesla, der erhältlich ist. Wir bringen über 100 Jahre LKW-Erfahrung mit und nutzen diese für alle unsere Fahrzeuge weltweit. Das geht vom Karosseriebau bis zur Elektronik. Da steckt unser ganzes Wissen drin, das wir erworben haben. Letztlich geht es darum, ob wir es schaffen, ein differenzierendes Angebot zu machen, das der Markt annimmt.
Bei den Pkw rechnet Daimler ja mit einem E-Anteil von 15 bis 25 Prozent bis 2025. Wie sieht das bei den Lkw aus?
Das ist sehr schwierig vorherzusehen, denn es gibt ja nicht den einen Lkw. Im Forstbetrieb oder Feuerwehreinsatz wird es auch noch in zehn Jahren 100 Prozent Verbrenner geben. Oder denken Sie an einen Betonmischer, bei dem die Trommel zuverlässig laufen muss. Wir haben eine Studie über 35 Teilsegmente mit verschiedenen Anwendungen gemacht. Da kommt man, auch je nach Aufbau, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Wichtig wird auch sein, wie sich Diesel- und Energiepreise entwickeln.
Ist die Brennstoffzelle eine Alternative?
Der Wasserstoff ist letztlich nur eine andere Form der Energiequelle für den Elektroantrieb. Ich könnte beispielsweise jederzeit auf dem Dach eines Citaro auch ein Brennstoffzellenmodul installieren. Aktuell ist dies aber nochmals doppelt so teuer wie der Elektroantrieb. Der Erfolg wird auch ganz stark davon abhängen, wie schnell sich in Westeuropa eine Infrastruktur mit H2-Tankstellen entwickelt. Wenn es losgeht, sind wir dabei.
Herr Zetsche sagt immer, Elektroautos sind gut fürs Image, aber nicht für die Rendite. Ist das im Nutzfahrzeugbereich auch so?
Wir haben deutlich kleinere Serien, aber auch die müssen wirtschaftlich sein. Am Ende entscheidet der Kunde. Ein E-Citaro wird im Verhältnis nicht mehr und nicht weniger einbringen als ein vergleichbarer Diesel-Bus.
Sie wollen die Ertragskraft ihrer Sparte steigern. Wo lässt sich da noch was drehen?
Wir bekennen uns ganz klar zu unserer Zielrendite von acht Prozent über die konjunkturellen Zyklen hinweg. Wir haben Jahre mit unterdurchschnittlichen Märkten uns welche mit überdurchschnittlichen. Unser Ziel haben wir noch nicht ganz erreicht, aber da wollen wir hin.
Werden Sie das Ziel in diesem Jahr übertreffen?
Wir werden laut unserer Prognose 2018 beim Gewinn deutlich über Vorjahr, also über zehn Prozent liegen. Ob das dann für die acht Prozent reicht, werden wir sehen. Wir brauchen diese Ertragskraft auch, um die hohen Investitionen der Zukunft in die Elektromobilität, Konnektivität und viele weitere Ideen zu stemmen.
Auf welchen Märkten sehen Sie denn noch Potenzial?
In den USA und Europa sind wir Marktführer, in Südamerika auf Platz zwei. Auch in China sind wir mit unserem Partner Foton gut unterwegs. Wir haben unsere Produktstrategie der Marke Auman neu ausgerichtet. Trotzdem sehen wir hier noch enormes Potenzial, denn mit einer Million Einheiten pro Jahr ist der Markt so groß wie die anderen zusammengenommen. Auch in Indien kommen wir voran. Wir haben innerhalb von acht Jahren mit Bharat Benz einen Marktanteil von knapp zehn Prozent erreicht.
Wie sieht die Strategie für China konkret aus?
Das Transportgewerbe dort entwickelt sich rasant weiter. Daher sehen wir gute Chancen für einen europäisch inspirierten Truck mit Daimler-Technologie und einer entsprechenden Zuverlässigkeit. Bisher haben wir den Actros importiert. Das macht ihn teuer. Ein Problem ist noch die Preisbildung. Denn zwischen dem, was so ein Truck kosten würde und dem, was heute auf dem Markt verkauft wird, besteht noch eine gewisse Differenz.
Ihr Vorgänger hatte sehr ehrgeizige Absatz-Ziele und wollte bis 2020 rund 700.000 Einheiten weltweit verkaufen. 2017 waren es 470.000. Gilt das noch?
Ich bin seit 16 Jahren in leitender Funktion im Truck-Bereich. Ich habe Märkte erlebt, die in einem Jahr 450.000 Stück hatten, im nächsten Jahr nur noch 180.000. Für mich ist wichtig, dass wir über die Zyklen eine gute Rendite erzielen. Wir möchten die dominierende Marke in jedem Markt sein. Das definiert sich nicht nur über den Absatz, sondern vor allem über die Technologieführerschaft. Wenn wir die haben, kommt der Markterfolg von selbst.
Eine dieser Technologien ist das Platooning. Wo wird dies zuerst kommen?
Wir testen bisher im Westen der USA – aus gutem Grund. Beim teilautomatisierten Fahren im Konvoi spare ich nur dann Kraftstoff, wenn lange Zeit mit hoher Geschwindigkeit gefahren wird. Das sehe ich zwischen Seattle und Chicago, aber nicht zwischen Stuttgart und Karlsruhe. Der große Vorteil ist, dass sich nur einer der Fahrer um die Spur und das Bremsen kümmern, muss, die anderen könnten ruhen. Das erhöht die Betriebszeiten und damit die Effizienz.
Wann werden die ersten Fahrzeuge mit dieser Technik unterwegs sein?
Im Moment sammeln wir noch Erfahrung, was im Straßenbetrieb eines solchen Lkw-Verbundes so alles passieren könnte. Wenn Daimler eine solche Technologie auf die Straße bringt, dann muss sie absolut zuverlässig und sicher funktionieren. Eine Prognose ist daher schwierig.
Wie sehr fürchten Sie einen weltweiten Handelskonflikt?
Ich halte dies aktuell für eine der größten Risiken. Bei uns kommen die Komponenten für einen Lkw aus vielen verschiedenen Ländern, unabhängig davon, wo das Fahrzeug letztlich gebaut wird. So können wir Währungsschwankungen ausgleichen. Wir leben und denken durch und durch global. Und unsere Kunden tun das auch. Wenn dieses System gestört wird, dann ist dies zum langfristigen Nachteiler der Bürger in jedem Land.
Macht sich das jetzt schon bemerkbar?
Wir müssen bereits die höheren Aluminium-Preise etwa für die Fahrerkabinen in den USA einkalkulieren. Die Mehrkosten können wir nicht weitergeben, weil wir für das Jahr bereits ausverkauft sind. In diesem Jahr lässt sich dies noch ausgleichen, so dass es sich nicht niederschlägt.
Wie kommt der Konzernumbau voran?
Lkw und Pkw sind bei Daimler im Ausland, etwa in den USA oder Japan, schon lange in komplett eigenständigen Gesellschaften organisiert. Insofern ist das alles nicht ganz neu. Die Fokussierung auf das eigene Geschäft ist aber wichtig. Denken Sie an den Vertrieb. Der ist für einen Pkw in der Stadt sicher gut aufgehoben, aber für einen Lkw brauche ich eher Knotenpunkte in der Nähe von Autobahnen. Wir wollen hier noch kundennäher werden.
Und dann geht es an die Börse wie bei Volkswagen?
Es ist nicht geplant oder beabsichtigt, dass sich die Daimler AG von einzelnen Geschäftsfeldern trennt. Darüber hinaus beteiligen wir uns nicht an Spekulationen.
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