"Überbietungswettbewerb in der EU"

Frau Müller, welche Folgen haben aus Ihrer Sicht die neuen CO2-Grenzwerte, die mit diesem Jahr 2021 europaweit gelten, für die deutsche Automobilindustrie, sowohl für Hersteller als auch Zulieferer?

Die 95g/km CO2 sind die ambitioniertesten CO2-Flottenziele der Welt. Sie bedeuten einen EU-weiten Verbrauch der Neuwagenflotte im Jahr 2021 von rund 4 Liter. Für die Automobilindustrie heißt das: massive Investitionen in effizientere Verbrennungsmotoren, Hybridisierung und die volle Elektrifizierung. Allein bis zum Jahr 2025 investieren unsere Mitgliedsunternehmen rund 150 Milliarden Euro in Zukunftstechnologien. Dazu erweitern sie ihr Angebot an E-Fahrzeugen bis Ende 2023 auf 150 Modelle. Wir bringen die auch von uns unterstützten Klimaziele also auf die Straße. Aber es gibt Grenzen des technisch Machbaren.

Die künftige EURO7-Norm steht noch nicht fest, doch sicher ist, dass die Emissions-Anforderungen nochmals deutlich steigen. Ist dies aus Ihrer Sicht eine weitere Etappe, die die Branche mit entsprechenden Investitionen und technologischen Entwicklungen bewältigen kann, oder wird Euro 7 letztlich das Ende des Verbrennungsmotors bedeuten?

Wir stellen schon heute fest, dass mit der zunehmenden Marktdurchdringung von Euro-6-Pkw und der steigenden Zahl von E-Fahrzeugen die Luft messbar deutlich sauberer wird. Wenn man nun allerdings durch eine überambitionierte Euro-7-Norm unter anderem die NOX-Grenzwerte weiter absenken und erstmals für jede Fahrsituation, also auch für Anfahren am Berg mit Anhänger bei Minusgraden, festlegen will, kommt das einem Verbot für den Kolbenmotor durch die Hintertür gleich. Wir brauchen den Kolbenmotor auch in Zukunft, weil die Menschen in ganz Europa allein mit Strom nicht fahren können. So viel Öko-Strom gibt es derzeit nicht und ein Ladenetz ist in vielen Teilen Europas kaum vorhanden. Die Potentiale zur CO2-Reduktion durch die Dekarbonisierung der Kraftstoffe werden von der Kommission vernachlässigt - ich halte das für falsch.

Sie haben wiederholt kritisiert, dass die EU-Kommission die Autobranche besonders stark in die Verantwortung nimmt, wenn es um die Senkung von CO2 in Europa geht. Was läuft aus Ihrer Sicht beim langfristigen „Green Deal" der EU falsch?

Der Fokus liegt dabei sehr stark auf ambitionierten Zielen und zu wenig auf ihrer konkreten Umsetzung. Da gibt es einen politischen Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Wer fordert die höhere Zahl. Schon die aktuellen CO2-Flottenziele für 2030 können wir nur erfüllen, wenn der Ausbau der Infrastruktur für E-Fahrzeuge parallel Schritt hält und die Menschen die Verkehrswende auch annehmen. Das ist bisher nicht der Fall. Ich erwarte daher, dass die Mitgliedsstaaten sich selber für den Ausbau der Ladeinfrastruktur und deren Versorgung mit Öko-Strom ambitionierte Ziele setzen. Das gehört zu einer wachstumsorientierten und dem Klimaschutz verpflichteten Industriepolitik. Diese ist Voraussetzung dafür, dass auch in Zukunft Wohlstand für die Menschen in Europa erreichbar ist.

Thema Glaubwürdigkeit: Umweltverbände kritisieren, dass die Autobauer auch unter WLTP-Bedingungen weiterhin viele Schlupflöcher suchen und finden, um die realen CO2-Emissionen ihrer Fahrzeuge kleinzurechnen. Sie halten beispielsweise die CO2-mindernde Anrechnung von Plug-in-Hybriden für überzogen, verweisen aber auch auf die Art und Weise, wie künftige Minderungsziele berechnet werden. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Der Plug-in-Hybrid ist die Technologie für ein Straßennetz, dass zu wenig Ladeinfrastruktur hat. Mit dem Hybrid gelingt vielen der Einstieg in die E-Mobilität. Erste Plug-in-Modelle mit Reichweiten von 80 bis 100 Kilometern sind bereits verfügbar oder angekündigt, sie werden also auch immer leistungsfähiger und tragen so erheblich zum Klimaschutz bei. Das Nutzungsverhalten ist aber bei jedem Auto etwas anders, abhängig von den Fahrzielen und Einsatzarten. Deshalb ist einheitlicher Testzyklus nötig, um Vergleichbarkeit und Transparenz herzustellen. Dafür ist der WLTP ein geeignetes Instrument. Da er auf empirisch erhobenen realen Fahrdaten basiert, ermöglicht er deutlich realistischere Werte als bisher. Das ist für die Kunden wichtig, denn nur dann können sie tatsächlich die Effizienz von Fahrzeugen vergleichen.

Wie beurteilen Sie die Entscheidungen der Bundesregierung zur Treibhausgasminderungsquote (THG)? Welche Entwicklungen wird dies in der Automobilbranche anstoßen oder beschleunigen?

Sie sprechen hier einen wichtigen Baustein zur Erreichung der Klimaziele an. Es ist Konsens in Deutschland, dass wir die CO2-Ziele im Verkehrssektor nur erreichen, wenn wir Elektrifizierung und Dekarbonisierung der Kraftstoffe zusammen betrachten. Von daher freuen wir uns, dass sich die Bundesregierung zu einem ambitionierten Vorgehen bei der Umsetzung entschließen konnte. Damit wird ein wichtiger Anreiz gesetzt, Investitionen in die Produktion von E-Fuels und Wasserstoff zu fördern. Sie tragen dazu bei, dass auch Fahrzeuge im Bestand klimaneutral betrieben werden können. Ich bin daher der festen Auffassung, dass wir nur mit Technologieoffenheit die Klimaziele erreichen können.

Bei allem Verständnis für die Grenzen des technisch und wirtschaftlich Machbaren - wird die deutsche und europäische Automobilindustrie durch die immer schärfere Regulierung nicht letztlich international noch wettbewerbsfähiger? Oder befürchten Sie, dass im Gegenteil andere Hersteller aus Asien und Amerika den Platz von europäischen Unternehmen einnehmen werden, die diesen Wettlauf um das saubere Auto nicht mehr mitlaufen können?

Am Ende muss das gemeinsame Ziel von Industrie und Politik in der EU sein, bei allen Technologien im globalen Wettbewerb die beste Lösung anbieten zu können und Vorreiter beim Klimaschutz zu sein. Das gelingt nicht allein über Regulierungen – sie sind vor allem wichtig, um einheitliche Standards und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen. In diesem Wettbewerb hat die deutsche Automobilindustrie sich über Jahrzehnte bewiesen und wird das auch in Zukunft tun. So sind die deutschen Hersteller z.B. Europameister bei der E-Mobilität – sie haben auf dem europäischen E-Pkw-Markt also den höchsten Marktanteil. Daher mache ich mir um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie keine Sorgen. Wir wollen Wettbewerb, gerade er hat uns so erfolgreich gemacht.

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