Herr Draeger, nimmt die Komplexität im Einkauf zu?
Ja, die Komplexität steigt, weil wir unsere Produkte ausgewogen in den Märkten Europa, Amerika und Asien fertigen wollen. Das bedeutet, dass wir Komponenten, die wir in Europa brauchen, auch in Asien und in Amerika benötigen. Aber wir haben eine Strategie entwickelt, um diese Herausforderung zu bewältigen.
Welche denn?
Wir haben in Genf den Zweier Gran Tourer gezeigt. Dieses Modell baut auf der Frontantriebsstruktur auf. Das heißt, viele Komponenten des Fahrzeugs finden sich auch im Zweier Active Tourer und in den MINI Produkten wieder. Wir fahren hier also eine konsequente Gleichteilestrategie. Sie bietet uns die Chance, Komponenten aus Europa beispielsweise nach Amerika oder nach China zu exportieren. Gleichzeitig können wir Teile in den USA oder in Mexiko einkaufen und diese dann wiederum nach Europa exportieren.
Hat sich durch das Thema autonomes Fahren ihre Lieferantenlandschaft geändert?
Abgesehen von Spezialthemen, etwa in der Sensorik, arbeiten wir mit den aus der Vergangenheit bekannten Namen aus der Zulieferindustrie zusammen, die die Automotive-Anforderungen kennen und damit umgehen können. Im Wesentlichen geht es um die vier Disziplinen Innovationen, Qualität, Flexibilität und Kosten. Da gibt es kein entweder oder, alle vier Disziplinen gehören zusammen.
Was passiert eigentlich, wenn ein Lieferant eine technische Lösung nicht zu dem Preis liefern kann, den sich BMW vorstellt?
Dann ist die Entwicklungsfreude des Lieferanten gefragt. Die Frage ist, was sind die wichtigen Eigenschaften, über die das Produkt verfügen muss. Da sollte uns der Lieferant sagen können wie eine Komponente beschaffen ist, die alle Anforderungen von BMW erfüllt. Wichtig ist beispielsweise die Information, dass sich der Preis verdoppelt, wenn wir eine Leistung darüber hinaus bekommen wollen. Da übernimmt unser Einkauf eine ganz wichtige Mittlerfunktion in Richtung Fahrzeugentwicklung. Wir müssen den Kollegen aus unserer Entwicklung dann klarmachen, dass wir vom Zulieferer eine fantastische technische Lösung zum halben Preis bekommen können, die den Kundenwünschen voll entspricht. Man kann also Innovationen und Kosten nicht voneinander trennen. Eines ist auch ganz wichtig: Wenn wir erfolgreiche Lieferanten haben wollen, dann müssen diese auch Gewinn machen. Denn jeder Lieferant, der keinen Gewinn macht, ist nach kurzer Zeit ein toter Lieferant.
Was unternehmen Sie, um neue Lieferanten für BMW zu finden?
Zum einen sind unsere Einkäufer mit offenen Augen auf Lieferantentagen unterwegs. Wir laden auch ganz gezielt Zulieferer zu Entwicklungstagen zu uns im Forschungs- und Innovationszentrum FIZ ein. Und es kommen auch viele Lieferanten aktiv auf uns zu, um uns ihre Innovationen zu präsentieren.
Sehen Sie sich für die Globalisierung gut gerüstet?
Ja, wir sind mit unseren weltweiten Einkaufsbüros in den wichtigsten Regionen sehr gut gerüstet. Darüber hinaus haben wir eine in der Automobilindustrie einzigartige Aufstellung. Wir sind beispielsweise das einzige Unternehmen, in dem der Einkauf auch für die eigene Komponentenfertigung verantwortlich ist.
Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Der Einkauf verfügt über eine eigene Gießerei sowie eine Achsgetriebe- und Gelenkwellenfertigung. Der Bereich Interieur und Elektronik kauft selbst ein und fertigt auch für dieses Segment. Das hat große Vorteile. Zum einen lernen unsere Einkäufer technologische Zusammenhänge und wie Fertigungs- und Warenströme laufen. Und die Kostenanalytiker können zeigen, dass ihre Berechnungen nicht nur Theorie sind. Zum anderen muss sich die eigene Fertigung in gewisser Weise auch dem Wettbewerb stellen. Und wir können den Zulieferern auch mal zeigen, wo wir bei BMW Benchmark sind.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Ich habe beispielsweise mal dem Vorstandschef eines Zulieferers bei mir gehabt und ihm gezeigt, dass ein Werkzeugwechsel nicht 30 Minuten dauert wie seine Mitarbeiter behauptet haben, sondern dass das auch in weniger als 20 Minuten geht.
In welchen Bereichen sehen Sie sich führend?
In den Fertigungsbereichen sind wir sehr gut und wettbewerbsfähig. Bei Zeiten und Ausschussquoten sind wir in unserer Lackiererei teilweise sogar Benchmark. Wenn ich aber beispielsweise die Kosten pro lackiertem Stoßfänger berechne, dann gibt es Zulieferer die das günstiger können. Aber die haben auch nicht einen BMW-Tarifvertrag mit übertariflichen Leistungen zu erfüllen. Ein weiterer Aspekt sind die Logistikkosten. Wenn wir im eigenen Werk fertigen, sind wir natürlich günstiger als ein Zulieferer. Das macht einen Teil des Kostennachteils wieder wett.
Wie stellen Sie sich im Einkauf auf neue Technologien ein?
Das Thema Kohlefaser sind wir beispielsweise sehr konsequent angegangen. Wir bekommen die Kohlefaser aus Moses Lake. Wir haben mit der SGL Group das Joint Venture SGL ACF, das aus den Kohlefasern die Matten fertigt. Und wir haben eine Eigenfertigung, in der wir aus den Gelegen die Bauteile herstellen und dann aus den Bauteilen entsprechend die Karossen für die Modelle i3 und i8 oder jetzt Komponenten für den neuen Siebener fertigen. Weil die Technologien für die benötigten Stückzahlen auf dem Markt nicht verfügbar waren, wollten wir das lernen.
BMW will ab 2019 auch in Mexiko produzieren. Welchen Lokalisierungsgrad erwarten Sie für ihr neues Werk?
Wir liegen bei unseren Lokalisierungen in der Regel bei rund 60 Prozent. Das ist ein Wert, den ich auch für das Werk in Mexiko als realistisch einschätze.
Mercedes und BMW kooperieren im Einkauf. Wo können Sie sich eine Zusammenarbeit in Nordamerika vorstellen?
Wir prüfen gemeinsam verschiedene Bereiche. Beispielsweise gibt es keinen geeigneten Aluminium-Druckgussanbieter im Süden der USA. Nicht nur BMW und Mercedes, sondern auch der ein oder andere Zulieferer könnte an solchen Druckgusskomponenten interessiert sein. Insofern könnte es da Synergiepotenziale geben. Auch Dinge wie Prüfspezifikationen sind häufig nicht wettbewerbsdifferenzierend. Da könnten BMW und Mercedes, aber auch Zulieferer Kosten sparen.
Alle Autohersteller machen sich derzeit für die Einführung des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP stark. Wie hoch wären die Kosteneinsparungen bei BMW, wenn es eingeführt wird?
Das lässt sich nicht so einfach beziffern. Aber ich sehe da erhebliche Potenziale. Beispiel Scheinwerfer: In den USA wie in Europa dienen Scheinwerfer eigentlich nur zu einem – Nachts die Straße möglichst gut auszuleuchten. Warum es dafür zwei unterschiedliche gesetzliche Vorschriften gibt mit zwei verschiedenen Scheinwerfern, die viel Geld im Werkzeugbau kosten, und die eine separate Ersatzteilhaltung noch 15 Jahre nach Ende der Produktion bedeuten, ist nur schwer nachvollziehbar. Oder die unterschiedlichen Anforderungen bei Crashtests. Da wird vieles doppelt gemacht und bedeutet riesige finanzielle Aufwendungen. Das ist nichts, was dem Verbraucher weiterhilft.
Wollen Sie ihre Lieferanten künftig noch früher in ihre Entwicklungszyklen einbinden?
Wir beziehen unsere Zulieferer bereits in der Konzeptphase mit ein. Ab dem Zeitpunkt, an dem es die ersten Ideen für das Auto gibt, startet die Einbindung der Lieferanten. Da pflegen wir mit unseren Zulieferern eine sehr partnerschaftliche Zusammenarbeit und die Unternehmen spiegeln uns das auch wieder zurück.