Herr Wissmann, die aktuellen Daten zum Nutzfahrzeugabsatz sind recht gut – wird man bei der Nfz-IAA auf Ausstellerseite nur strahlende Gesichter sehen?
Hier ist Vorsicht geboten! Wir dürfen uns bei den sehr positiven Absatzzahlen nicht vom Vorzieh-Effekt aufgrund der Euro-6-Einführung Anfang 2014 täuschen lassen. Der hat nämlich zu starken Monaten Ende 2013 geführt und im Nachlauf auch noch Anfang 2014 Einfluss ausgeübt.
Welche Entwicklung erwarten Sie bis zum Jahresende?
Wir gehen von einer Abschwächung des Wachstums in Westeuropa aus. Recht erfreulich entwickelt sich – nun zum vierten Mal in Folge – der US-amerikanische Markt. Ebenfalls relativ gut läuft der chinesische Markt, während wir 2014 von Brasilien, Russland, Indien keine Impulse erwarten. Wir rechnen damit, dass der westeuropäische Markt noch nicht endgültig über den Berg ist.
Werden sich die prognostizierten Wachstumsraten, die sich auf Einheiten beziehen, auch genauso im Umsatz niederschlagen? Oder drückt eine hohe Zahl von Low-Cost-Trucks das Umsatzwachstum?
In den Schwellenländern werden vom Kunden nicht die gleichen Fahrzeuge erwartet, wie wir sie im europäischen Premiumsegment haben. Es wird erst in den nächsten Jahren zu einer stärkeren Integration des chinesischen Marktes in den Weltmarkt kommen. Dass zeigt sich zum Beispiel daran, dass auf der IAA 2014 Nutzfahrzeuge mit Dong Feng erstmalig ein chinesischer Aussteller vertreten ist. Die chinesischen Hersteller und Zulieferer beginnen, sich für den westeuropäischen Markt zu interessieren.
Ist Dong Feng der einzige chinesische Hersteller auf der IAA?
Neben Dongfeng sind weitere chinesische Hersteller von Lkw und Bussen auf der IAA vertreten – die meisten sind schon zum zweiten oder dritten Mal dabei. Mit Dongfeng kommt allerdings ein ganz großer chinesischer Nutzfahrzeuganbieter zur IAA, übrigens auch mit seiner Zuliefertochter Dongfeng Motor Parts. Je weiter sich die Qualität der chinesischen Produkte dem westlichen Niveau annähert, umso mehr chinesische Hersteller werden sowohl bei der Nfz- wie auch auf der Pkw-IAA ausstellen.
Wo liegen für die Hersteller die größten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Mit den Grenzwerten von Euro 1 bis Euro 6 ist es gelungen, die klassischen Schadstoffe praktisch vollständig zu verbannen. Diese Emissionen wurden um 98 Prozent reduziert. In den kommenden Jahren werden die weitere Reduktion des Kraftstoffverbrauchs und damit der CO2-Emissionen eine zentrale Aufgabe bilden. Darüber hinaus stehen die Themen Sicherheit, Vernetzung und Assistenzsysteme im Fokus der Entwicklungen.
Rechnen Sie mit CO2-Grenzwerten für Nutzfahrzeuge?
Starre CO2-Regulierungen wären kontraproduktiv. Denn aufgrund des harten Wettbewerbsdrucks fordern die Kunden im Nutzfahrzeugsektor ohnehin von den Herstellern die niedrigsten Verbräuche und Emissionen. Daher fließen die Investitionen bereits in effizientere Motoren, in immer bessere Getriebe, etwa Zwölfganggetriebe mit neuen, kraftstoffsparenden Getriebefunktionen.
Was kommt nach Euro 6?
Nach Euro 6 gibt es keinen Spielraum für weitere Verschärfungen. Wenn man bereits 98 Prozent der Schadstoffe eliminiert hat, macht es keinen Sinn, in die restlichen eineinhalb oder zwei Prozent Milliarden Euro zu investieren. Es ist besser, alle Energie in die weitere Verbrauchsreduzierung zu lenken.
Haben Sie die Politik schon davon überzeugt?
Es ist erkennbar, dass das Verständnis in Europa wächst, auch bei den Regulatoren in der europäischen Kommission, dass wir schon enorme Fortschritte erreicht haben und starre Regelungen keinen Sinn machen.
Welche Rolle spielen Fahrerassistenzsysteme und Vernetzung im Lkw, lernen hier Lkw-Bauer von Pkw-Herstellern oder umgekehrt?
Vernetzung ist ein Schlüsselthema für die Mobilität der Zukunft und einer der wichtigsten Innovationstreiber sowohl für die Automobilindustrie – für Pkw und Nutzfahrzeug. Die Fahrzeuge sind miteinander, mit der Infrastruktur und dem Internet vernetzt, um eine möglichst effiziente und sichere Fahrt zu ermöglichen. Für den modernen Logistiker bietet diese Entwicklung großes Potential. Mit vernetzten Fahrzeugen kann er noch besser planen. Klar ist auch, dass wir über intelligente Fahrerassistenzsysteme eine weitere Reduzierung der Unfälle erreichen wollen. Dabei haben wir in der europäischen Automobilindustrie schon große Fortschritte erzielt.
Für wie viel Wachstum sorgen die aus dem Boden schießenden Fernbuslinien bei den deutschen Busherstellern?
Diese Entwicklung bringt zum einen zusätzliche Nachfrage. Die Zahl der Fernbusverbindungen hat sich seit Ende 2012 verdreifacht. Mittlerweile werden über 250 innerdeutsche Verbindungen angeboten. Gleichzeitig wird das Image des Busses gestärkt, denn seine hervorragende Klimaeffizienz spricht für sich. Ein vollbesetzter Reisebus verbraucht nur etwa 0,5 Liter pro 100 km und Fahrgast. Das ist eine einmalige Leistung, die ihn zum CO2-Champion macht.
Sind für Nutzfahrzeuge in nächster Zeit Alternativen zum Dieselantrieb realistisch?
Alternative Antriebe werden gerade bei der IAA in Hannover in einer ganzen Fülle von Fahrzeugen zu sehen sein. Einsatz finden sie zunächst vor allem beim Verteilerverkehr und bei leichteren Nutzfahrzeugen, als Hybridantrieb auch in Bussen. Wegen ihrer guten Emissionswerte spielen auch Erdgasantriebe eine Rolle. Bei schweren Lkw werden wir allerdings noch lange mit dem hoch effizienten und sauberen Dieselmotor unterwegs sein. Er ist aufgrund seines Wirkungsgrads, seiner Reichweite und seiner Sparsamkeit bei Fahrzeugen dieses Gewichts auf längere Zeit wohl kaum zu schlagen.