München. „Multi-Channel Retail“ heißt diese Strategie. Autohersteller suchen neue Vertriebswege, um dem veränderten Käuferverhalten Rechnung zu tragen. „Früher ging der potenzielle Kunde zum Händler ins Gewerbegebiet. Jetzt kommt der Vertrieb zum Kunden“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management. Die Folge: Der klassische Handel bekommt zunehmend Konkurrenz. „Die Autohersteller ziehen den Vertrieb wieder stärker an sich.“ Vorreiter sind BMW und Mercedes. Beide haben ihre Vertriebssysteme der Zukunft bereits vorgestellt. „Future Retail“ heißt es bei den Münchnern, „Best Customer Experience“ rufen die Stuttgarter aus. Ihr Ziel ist dasselbe: Sie wollen über verschiedene Kanäle möglichst viele Zielgruppen ansprechen, zum Kauf bewegen und langfristig an die Marke binden. Ihr Konzept: mehr herstellergebundene Markenshops in Metropolen getreu dem Apple-Vorbild, Besuche bei Kunden zu Hause oder im Büro und ein Vertrieb übers Web. Dass die Bedeutung des Internets für den Neuwagenverkauf in den kommenden Jahren deutlich steigen wird, belegt eine Studie des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA): Heute werden weniger als fünf Prozent der Neufahrzeuge in Deutschland direkt im Internet gekauft – aber rund zehn Prozent der Kunden wären grundsätzlich bereit, ein Auto online nicht nur zu konfigurieren, sondern auch zu kaufen und zu bezahlen. Allerdings wollen die Internetkunden vor allem das eine: „Sie erwarten das große Schnäppchen mit Nachlässen von über 20 Prozent“, sagt Studienleiter Willi Diez. Solche Nachlässe plant BMW jedoch nicht. Wenn der Hersteller am 16. November den i3 auf den Markt bringt, kostet dieser in der Basisversion 34.950 Euro – auch im Web. Mercedes zieht es ebenfalls ins Netz: „Wir werden noch in diesem Jahr in den Niederlassungen Hamburg und Warschau mit dem Onlinevertrieb beginnen“, kündigt Vertriebschef Joachim Schmidt an. „Wir starten mit einem Leasingangebot für vorkonfigurierte Fahrzeuge.“ Mercedes plant zudem, die Zahl der Markenshops von weltweit 20 bis zum Jahr 2020 zu verdoppeln.
Auch Audi will mit Markentempeln in Innenstädten mehr Laufkundschaft anlocken. Der Hersteller hat in London und Peking den virtuellen Shop „Audi City“ eröffnet, ein weiterer folgt Anfang 2014 in Berlin. Die Ingolstädter setzen dort auf digitale Produktwelten statt auf Schauräume – teils aus Platzmangel, teils um junge Kunden für die Marke zu begeistern. Mit Online-Offerten halten sich hierzulande nicht nur Audi, sondern auch VW, Škoda oder Nissan zurück. Toyota-Deutschland- Chef Ulrich Selzer plädiert für den klassischen Handel: „Wer das Äquivalent eines Jahresgehalts für ein neues Auto auf den Tisch legt, der bestellt es nicht mit einem Mausklick im Internet.“ Škodas Vertriebsvorstand Werner Eichhorn ist überzeugt, dass auch „in sechs, sieben Jahren die individuelle und persönliche Beratung am Handelsplatz durch nichts zu ersetzen sein wird“. Laut Autoexperte Bratzel brauchen die Autohersteller aber ein Angebot für junge Kunden, die mit dem Internet aufgewachsen sind: „Die ,Digital Natives‘ werden künftig auch Premiumprodukte im Web kaufen.“ Das glaubt auch BMW und bietet den entsprechenden Kanal an. Kunden können voraussichtlich Ende 2014 per Mausklick ihre i-Modelle bestellen und bezahlen. Bisher meldet sich bei der Geschäftsanbahnung via Internet noch ein Callcenter-Mitarbeiter für den Vertragsabschluss. Mithilfe eines Sondermodells tastet sich der Volumenanbieter Ford an den Verkauf im Internet heran. „Die 500 Einheiten des limitierten Sondermodells des neuen EcoSport sind auf Facebook innerhalb weniger Tage restlos reserviert worden“, jubelt Deutschland- Chef Bernhard Mattes. Er betont aber, dass Ford nur die Reservierung online organisiert, die Bestellung läuft ausschließlich über die lokalen Vertriebspartner. Ford testet den Direktvertrieb schon in verschiedenen Märkten, in Deutschland ist er laut Mattes aber nicht geplant. „Dazu müssen alle Beteiligten bereit sein. Wir werden nur gemeinsam mit dem Handel solche grundlegenden Veränderungen im Vertrieb vornehmen.“ Auch die Manager anderer Marken werden nicht müde zu betonen, dass der Handel das Rückgrat des Vertriebs sei. Dass Händler künftig gebraucht werden, steht außer Frage – fragt sich nur, wie viele und wofür. „In zehn, 20 Jahren wird es deutlich weniger Händler geben, die dann aber größere Stückzahlen vertreiben“, sagt Bratzel mit Blick auf die USA.Wichtig bleiben die Partner für die Auslieferung und die Reparatur. Die Beratungsleistung werde aber in den kommenden Jahren verstärkt von den Autoherstellern übernommen. Der Onlineverkauf bietet den Händlern aber auch Chancen, zum Beispiel, ihr Marktgebiet zu erweitern. Peter Ritter, Sprecher des Mercedes-Händlerverbands, sieht im Internet „einen komplementären Vertriebskanal, den man in der heutigen Zeit wahrscheinlich braucht“. Auch die BMW-Händler wurden nach kurzer Gegenwehr zufriedengestellt. Die neuen Elektromodelle werden über ein Agentursystem vertrieben: Die Partner müssen nicht in Vorleistung gehen, sondern erhalten bei Verkaufsabschluss eine Provision. Burkhard Weller, geschäftsführender Gesellschafter der Wellergruppe, hält neue Vertriebsansätze nicht nur für notwendig, sondern sieht sie auch als Chance: „Alle Hersteller und Händler haben doch über diesen Weg nun endlich die Möglichkeit, die Internet- Parasiten Neuwagenbörsen außen vor zu lassen.“ Mitarbeit: Michael Knauer/ Henning Krogh/Christof RührmairMaus statt Autohaus
„Guten Tag, ich komme von BMW und möchte Ihnen den neuen i3 zeigen.“ Klingelt es an der Haustür, könnte da nicht nur der Staubsauger-Anbieter oder die Avon-Vertreterin stehen, sondern künftig auch ein Abgesandter des Autobauers. Ran an den Kunden, heißt es bei BMW. Vertriebschef Ian Robertson hat eine klare Parole ausgegeben: Die Bayern wollen die Zahl der Kundenkontakte deutlich erhöhen – im Autohaus, der Niederlassung, im Internet und an der Haustür, wenn der BMW-Vertreter kommt.