BMW-Händler entwickelt ein Betriebssystem für E-Mobilität

„Energiewende und Verkehrswende sind zwei Seiten der gleichen Medaille“, betont Peter Vogel. Der 51-Jährige, der mit seinem Bruder Marco (48) drei BMW-Autohäuser in Landau, Zwingenberg und Germersheim in vierter Generation betreibt, entschied sich früh, nicht nur auf die Elektromobilität reagieren, sondern Energie- und Verkehrswende mitzugestalten und neue Geschäftsmodelle auch für Autohäuser zu entwickeln. Dafür hat er 2016 mit Ole Langniß das Start-up Oli Systems in Stuttgart gegründet.

Im Kern geht es Oli Systems darum, Energieangebot und Energieverbrauch optimal unter einen Hut zu bringen und die Erzeugungskapazitäten für Solar- und Windstrom bestmöglich zu nutzen. So sollen Stromanbieter und -verbraucher Kosten sparen und die Kunden bei jeder einzelnen Kilowattstunde wissen, wie sie erzeugt wurde. Das setzt Oli Systems auf der Ebene von Wohnquartieren ebenso um wie in der Elektromobilität.

In der Elektromobilität soll die Technologie auf der einen Seite das Problem der begrenzten Netzkapazität lösen oder wenigstens deutlich entschärfen. Ein Rechenbeispiel von Oli-Systems-CTO Thomas Brenner: Wenn etwa in der Tiefgarage eines Wohnhauses zehn Ladepunkte mit jeweils 22 Kilowatt Leistung eingerichtet werden sollen, müsste der Stromnetzbetreiber eigentlich allein dafür die Anschlussleistung des Hauses um 220 Kilowatt aufstocken. Das erfordert in der Regel neue, dickere Kabel und weitere Technik. Oli Systems will nun die nötige Aufstockung auf 110 Kilowatt halbieren – und den Besitzern des Wohnhauses so einmalig rund 5500 Euro für die Verstärkung des Anschlusses und jährlich rund 2400 Euro laufende Kosten ersparen.

Leisten soll das die App Oli move für E-Auto-Besitzer und Ladestromanbieter, die schon in Reutlingen, Ludwigsburg und beim größten chinesischen Ladesäulenhersteller Starcharge im Testbetrieb ist. Die Idee dahinter: Es wird praktisch nie nötig sein, dass alle zehn Ladepunkte gleichzeitig je 22 Kilowatt abgeben müssen. Man muss nur dafür sorgen, dass die Elektrofahrzeuge nicht alle gleichzeitig laden. In der App können die E-Auto-Besitzer eingeben, wann ihre Batterie einen bestimmten Ladestand erreicht haben soll. Mit diesen Daten errechnet der Optimierungsalgorithmus im Backend, wie die Fahrzeuge optimal zeitversetzt so geladen werden, dass alle Ansprüche erfüllt werden und er trotzdem die maximale Gesamtleistung möglichst niedrig halten kann. „Mit unserer Lösung ersetzen wir den Ausbau der Stromnetze durch Software“, erläutert Brenner. Das funktioniert prinzipiell bei öffentlichen Ladestationen ebenso wie in der beschriebenen privaten Tiefgarage.

Um die Bedeutung einer solchen Lösung richtig einzuschätzen, muss man wissen, dass die Bewältigung von Lastspitzen für Energieversorger und Stromnetzbetreiber sehr teuer sind – und es ihnen entsprechend viel wert ist, wenn solche Peaks vermieden werden.

Warum sollten Autofahrer die App nutzen? Dafür, dass Sie nicht auf der sofortigen Komplettaufladung ihres Fahrzeugs bestehen, sondern hier Flexibilität anbieten, erhalten Sie Nachlässe auf den Strompreis. Letztlich werden dabei die Vorteile, die Ladesäulenbetreiber mit der Vergleichmäßigung des Strombedarfs bekommen aufgeteilt zwischen ihnen, den Autofahrern und natürlich Oli Systems. Kundenumfragen haben Brenner zufolge ergeben, dass für einen Preisnachlass von 30 Prozent die meisten Autofahrer bereit wären, beim Laden ihres Fahrzeugs flexibel zu sein. In Simulationen sei man zum Ergebnis gekommen, dass E-Autofahrer durch die Rabatte jährlich 300 bis 500 Euro einsparen könnten, betont Oli-Systems-Geschäftsführer Ole Langniß.

Für Ladesäulenbetreiber ergeben sich Vorteile, weil sie vom Netzbetreiber nur eine geringere Anschlussleistung brauchen. Die einmaligen Anschlusskosten liegen Ole Langniß zufolge bei rund 50 Euro pro Kilowattstunde. Zudem sinkt der monatlich zu zahlende sogenannte Leistungspreis, auch bei den Netzentgelten ergeben sich Vorteile.

Oli Systems seine App will sowohl als White-Label-Lösung anbieten wie auch selbst als Anbieter für Endkunden auftreten. Noch für den Herbst ist der Marktstart vorgesehen. In der Oli Move App sieht Peter Vogel auch Potenzial für das Autohausgeschäft. Eine passende Variante der App sei gerade in Arbeit, die Autohäuser zusammen mit den E-Fahrzeugen anbieten können. Denn denjenigen, die Elektrofahrzeuge kaufen, sei neben einem Preisnachlass für Strom „auch der Community-Gedanke und der Nachweis wichtig, stets Grünstrom zu tanken“. Genau diese Verifizierung der Stromquelle ermöglicht die App. Eine weitere Variante wäre für Vogel, die App mit einer digitalen Kundenkarte und einer Art Wallet zu verbinden. Dann könne der Kunde Strompreisnachlässe in Form von Guthaben in der App sammeln – etwa in einem Token-System – und sie beispielsweise für Serviceleistungen im Autohaus einlösen.

Auch in der Blockchain-Technologie, die für digitales Bezahlen immer wieder ins Spiel gebracht wird, steckt Oli Systems schon tief drin. Denn zum Backend der App gehört auch eine Blockchain-Plattform, auf der sichergestellt wird, dass etwa ein Ladesäulenbetreiber, der die Flexibilität eines E-Autofahrers beim Laden in Anspruch nimmt, dem Kunden dafür auch tatsächlich eine Vergütung gewährt. Diese Art der Validierung von Energietransaktionen ist für Oli Systems auch ein eigenes Geschäftsfeld. Denn die Energy Web Foundation, die ein weltweites Bockchain-System für die Energieversorgung aufbaut hat Oli Systems als einen von rund 30 Validatoren weltweit ausgewählt.

Was das Wachstum von Oli Systems angeht, sind die beiden Geschäftsführer – unterschiedlich – optimistisch. Peter Vogel erwartet, dass sich die Mitarbeiterzahl von derzeit 16 in den nächsten zwei Jahren etwa verdoppeln dürfte. Ole Lagniß legt die Latte höher: „Ich würde 50 bis 100 Mitarbeiter erwarten, wenn wir wirklich den Durchbruch schaffen.“

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Aus dem Datencenter:

Entwicklung der Zulassungen von reinen E-Autos in Deutschland Januar 2018 bis Juli 2020