Wie die deutschen Hersteller die Kurve gekriegt haben

Daimler-Entwicklungschef Markus Schäfer ist eher der rationale Managertyp. Doch vor einigen Wochen wurde er ungewohnt pathetisch. Von einem Meilenstein, gar einer "geglückten Mondlandung" schwärmte er angesichts der behördlichen Freigabe für den Drive Pilot der S-Klasse.

Es ist das erste Fahrzeug, das eine international anerkannte Zertifizierung für ein Fahrerassistenzsystem auf Stufe 3 des automatisierten Fahrens erhalten hat. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel. Im Falle eines Unfalls haftet erstmals der Hersteller. Mit der Studie EQXX schob Mercedes nur wenig später das weltweit erste Elektrofahrzeug nach, das im realen Betrieb mit einer einzigen Ladung über 1000 Kilometer weit kommt.

Endlich katapultieren sich die deutschen Autobauer bei den Zukunftsthemen der Mobilität an die Spitze der Bewegung. Sowohl der Mercedes Drive Pilot als auch der EQXX erregten international große Aufmerksamkeit. Gleiches gilt für den iVision Circular, mit dem BMW die Kreislaufwirtschaft der Zukunft vorwegnimmt, oder das Grandsphere Concept von Audi, mit der sich der Volkswagen-Konzern wieder Vorsprung durch Technik zurückerobern will.

"Die deutschen Automobilkonzerne besitzen allen Unkenrufen zum Trotz derzeit eine sehr hohe Innovationsstärke und decken mit ihren Neuerungen eine hohe Breite an Technologien ab", sagt Autoexperte Stefan Bratzel, der mit seinem CAM-Institut ein Innovations-Ranking erstellt. Unter den ersten vier Plätzen sind mit Volkswagen, Daimler und BMW drei deutsche Autobauer zu finden.

Diese Aufholjagd war keinesfalls selbstverständlich. Der Dieselskandal mit seinen millionenfachen Rückrufen, Software-Updates und endlosen Debatten um Nachrüstungen hielten die Entwickler lange Zeit davon ab, sich mit voller Kraft der Transformation zu widmen. In dieser bleiernen Zeit gelang es Tesla-Chef Elon Musk, bei der Elektromobilität ein paar Jahre Vorsprung herauszufahren. Auch bei der Software und dem Vertriebsmodell ohne klassische Händler ließ Tesla die etablierten Autobauer aus Europa alt aussehen.

Doch die haben nun umgeschaltet. Vor allem Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess, selbst bekennender Musk-Bewunderer, gibt mit seinem radikalen Elektrokurs den Takt vor. 2025 will VW bei elektrischen Antrieben führend sein. Die ID-Familie hat bereits in vielen Märkten die Spitzenposition erobert. Auch Mercedes hat seine Fächerstrategie mit möglichst allen Antrieben aufgegeben und bringt ab Mitte des Jahrzehnts nur noch neue Elektro-Architekturen auf die Straße. Der Mercedes EQS mit 770 Kilometer Reichweite oder auch ein Porsche Taycan zählen schon zu den Flaggschiffen der E-Mobilität.

Dazu kommt, dass sowohl der Volkswagen-Konzern als auch Mercedes und BMW inzwischen Tausende von Entwicklern beschäftigen, um eigene Betriebssysteme in die Autos zu bekommen. Auf keinen Fall wollen sie das Geschäft mit den Daten Google, Apple und den anderen Tech-Giganten überlassen.

Ob dieAlleingänge zielführend sind, muss sich allerdings noch zeigen. Denn der Aufwand, diese Betriebssysteme auch aktuell zu halten, ist enorm. "Die Entwicklung von geeigneter Fahrzeugsoftware ist sehr entwicklungs- und damit kostenintensiv – und dies kontinuierlich. Dies könnte einerseits dazu führen, dass Hersteller verstärkt mit anderen Herstellern oder branchenfremden Softwareentwicklern kooperieren oder andererseits komplett auf externe Dienstleister setzen", sagt IfA-Chef Stefan Reindl.

Eher leise hat sich die Revolution im Vertrieb vollzogen. Während die Autohäuser viele Jahre als unabhängige Unternehmen agieren konnten, werden sie mit dem Agenturmodell und zunehmendem Direktvertrieb auf die Rolle von Auslieferungszentren mit Werkstatt und Gebrauchtwagenverkauf gestutzt. Das ist für viele Händler schmerzhaft, hat aber für die Hersteller große Vorteile. Sie können den Absatz viel besser als bisher steuern und regional unterschiedliche Preise und Rabattschlachten beenden. Daimler-Chef Ola Källenius zeigte sich auf dem Automobilwoche Kongress im November in Ludwigsburg davon überzeugt, dass am Ende beide Seiten profitieren.

Die Erfahrungen in der Pandemie-Zeit geben Volkswagen, Daimler und BMW Auftrieb. Denn trotz Chipmangels und langer Lieferzeiten liegen die Gewinne der Unternehmen auf einem Rekordniveau, weil sie klare Prioritäten auf margenstarke Modelle setzen und allgemein höhere Preise durchsetzen konnten. Diese Entwicklung dürfte auch mit Ende der Halbleiter-Krise anhalten.

Die hohen Renditen werden benötigt, um im internationalen Verteilungswettbewerb vorne mitzuspielen. Allein bei Daimler sollen nach der Abspaltung der Truck-Sparte in den nächsten fünf Jahren mehr als 60 Milliarden Euro in die Elektrifizierung, Digitalisierung sowie das automatisierte Fahren fließen. Beim Volkswagen-Konzern sind es sogar 90 Milliarden Euro.

Die Unternehmen sind in den vergangenen zwei Jahren deutlich robuster geworden. Damit stehen die Chancen gut, gestärkt aus der Transformation zu kommen. Reindl: "Ich bin überzeugt, dass deutsche Automobilhersteller – also der Volkswagen-Konzern, Mercedes-Benz und BMW – auch künftig eine Rolle im Oberhaus der Automobilwirtschaft einnehmen werden."

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