Schnellrechner fürs Auto

Die Quantentechnologie nimmt Fahrt auf. So hat der Zulieferer Bosch am Donnerstag die Gründung eines neuen Produktbereichs bekanntgegeben, um Quantensensoren zu kommerzialisieren. Dazu sollen in einem internen Start-up Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre gebündelt und in Produkte überführt werden, um an dem erwarteten starken Marktwachstum zu partizipieren, wie es beim Zulieferer heißt.

Der Konzern beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit der Quantensensorik und sieht sich weltweit in einer führenden Position. Jens Fabrowsky, als Bereichsvorstand bei Bosch Automotive Electronics zuständig für das Halbleitergeschäft erklärt: "Die Quantentechnologie verschiebt die Grenzen des Machbaren – sowohl im Bereich der Datenverarbeitung als auch der Sensoren. Vor allem geht es darum, den breiten praktischen Nutzen von Quanteneffekten zu erhöhen – von der Entwicklung CO2-neutraler Antriebe bis zur neurologischen Diagnostik." Künftig will der Konzern daraus auch Geschäftsmodelle entwickeln.

Bosch verweist auf Marktexperten, die für Anwendungen im Bereich Quantensensorik in den kommenden Jahren ein starkes Wachstum erwarten. Im Jahr 2021 wurden weltweit 22 Milliarden US-Dollar in Quantentechnologie investiert. Laut McKinsey & Co. soll das Marktvolumen für Quantensensoren auf bis zu sieben Milliarden US-Dollar anwachsen.

Für den ehemaligen Bosch-Chef Volkmar Denner ist die Quantentechnologie ein so spannendes Thema, dass er sich entschieden hatte, nicht als Vorsitzender in den Aufsichtsrat des Stiftungsunternehmens zu wechseln, sondern sich wieder als Wissenschaftler mit der Quantentechnologie zu beschäftigen, und den Zulieferer auf diesem Gebiet zu beraten.

Auch das Quantencomputing zählt zu einem Forschungsfeld, auf das etliche Unternehmen große Hoffnungen setzen. Bei einem Quantencomputer spricht man von einem Prozessor, der die Gesetze der Quantenmechanik nutzt, um Berechnungen auszuführen. Damit ermöglicht er sehr präzise Simulationen von kleinsten physikalischen Teilchen – beispielsweise von Atomen und Molekülen.

Quantencomputer unterscheiden sich von klassischen Computern vor allem in der Berechnungsweise von Daten. Während ein Computer auf Bits als kleinste Recheneinheit basiert, ist dies bei Quantencomputern ein Quantenbit, auch Qubit genannt. Die Eigenschaften von Qubits ermöglichen eine wesentlich leistungsstärkere Berechnung für spezifische Fragestellungen, denn sie sind anders als Bits in der Lage, verschiedene Zustände gleichzeitig anzunehmen. Zudem kann die Rechenleistung eines Quantencomputers mit jedem weiteren Qubit exponentiell gesteigert werden.

Was mit der parallelen Berechnungsweise von großen Datenmengen möglich ist, hat ein Experiment von Google und seinem Quantencomputer "Sycamore" gezeigt. Wofür ihr Quantencomputer mit 53 Qubits nur drei Minuten und 20 Sekunden brauchte, hätte der seinerzeit leistungsstärkste Supercomputer voraussichtlich 10.000 Jahre benötigt.

Bereiche, in denen Quantencomputer ihre Vorteile ausspielen könnten sind beispielsweise Logistik- und Transportprozesse, bei der sich in Echtzeit die beste Option errechnen lässt. Potenzial bietet auch die Simulation und Entwicklung neuer Materialien, um vorausschauend spezifische Eigenschaften und verlässliche Vorhersagen berechnen zu können. Ein weiteres Feld ist der Bereich Künstliche Intelligenz und Machine Learning. Hier ist eine Suche nach Auffälligkeiten sowie Mustern in großen Datenmengen von besonderer Bedeutung.

Laut IBM stellen Quantencomputer vor allem für naturwissenschaftliche Disziplinen mit ihrer Leistung ein enormes Potenzial dar, das heutige Computer beziehungsweise Supercomputer nicht erreichen werden.

Mehr Entwicklungsengagement im Bereich Quantencomputing in Deutschland und Europa zeigt der Halbleiterhersteller Infineon Technologies. Dafür beteiligt sich der Chiphersteller zusätzlich zu bestehenden Initiativen und Kooperationen an sechs weiteren Forschungsprojekten, die im Rahmen des Konjunktur- und Zukunftspakets der Bundesregierung für Quantentechnologien gefördert werden. Der Halbleiterhersteller bringt in die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Industriepartnern seine Expertise in der Mikroelektronik und in der industriellen Fertigung sowie als Anwender künftiger Quantencomputer ein.

"Infineon sieht die Quantentechnologien als große Chance im globalen Wettbewerb, denn hier entsteht etwas vollkommen Neues", sagt Infineon-Chef Reinhard Ploss. "Mit der Beteiligung an den neuen Projekten verbreitern wir unseren Fußabdruck entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Quantentechnologie, von der Hard- und Software über die industrielle Produktion bis hin zur Nutzung."

Ziel der Forschungsprojekte ist es, Hürden für die Nutzung der Quantentechnologie aus dem Weg zu räumen. Hierfür sollen Demonstratoren gebaut, die elektronische Steuerung integriert sowie Software für die Nutzung von Quantencomputern entwickelt werden.

In Ehningen bei Stuttgart ist im vergangenen Jahr das erste kommerzielle europäische Quantencomputer-System von IBM in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Gesellschaft in Betrieb gegangen. Mit Hilfe dieses Systems sollen nun konkrete Anwendungen für die neue Technologie erforscht werden.

Besonders im Automobilsektor birgt die Quantentechnologie laut IBM enormes Potential. Unter anderem eruieren Forscher von IBM und aus der Mobilitätsbranche, welche konkreten Herausforderungen der Automobil- und Transportbranche der Quantencomputer lösen kann und wo Quantentechnologie den größten Effekt hat. Anwendungsmöglichkeiten sind derzeit zum Beispiel die Optimierung von Routen, das Ausbalancieren von dezentralen Stromnetzen mit einer wachsenden Elektrofahrzeugflotte und die Entwicklung neuer verbesserter Batteriematerialien.

Auch die Materialherstellung beinhaltet komplexe Probleme. Derzeit dauert es in der Automobilindustrie zwischen zehn und zwanzig Jahren neue Materialien zu entwickeln. Quantencomputer könnten diese Entwicklung künftig durch Simulation beschleunigen, heißt es bei IBM. Die Automobilindustrie setzt ihre Hoffnung darauf, dass Quantencomputer die Genauigkeit der Simulationen der chemischen Eigenschaften von Materialien verbessern können und damit helfen, Materialien mit gewünschten Eigenschaften gezielt zu entwickeln.

Die Batterietechnologie ist dabei eines der Forschungsfelder für die Quantentechnologie. Denn die Technik kann potenziell simulieren, welche neue Batteriechemie wirkungsvoller und langlebiger ist, welche mit ergiebigeren oder weniger schädlichen Inhaltsstoffen auskommt.

In der Batteriechemie treten sehr komplexe Reaktionen auf. Indem Forscher die chemischen Prozesse, die sich in einer Batterie abspielen, simulieren und somit verstehen, können sie dieses Wissen nutzen, um bessere Batterien zu bauen. Wissenschaftler erforschen wie Quantencomputer genutzt werden können, um das grundlegende Verhalten berechnen und präzise simulieren zu können.

So untersuchen Forscher von IBM und der Fahrzeughersteller Mercedes, wie Quantencomputer ihnen bei der Entwicklung der nächsten Generation von Lithium-Schwefel-Batterien helfen, die leistungsfähiger, langlebiger und preiswerter als die heute weit verbreiteten Lithium-Ionen-Batterien sind.

Quantentechnologie kann ebenfalls dabei helfen, den Aufwand für Design und Tests zu verringern, da technische Simulationen den Bedarf an teuren physischen Prototypen und Labortests – wie beispielsweise in Windkanälen – reduzieren.

So untersucht Bosch beispielsweise Quantencomputer-basierte Simulationsansätze für elektrische Antriebe. Auch BMW erforscht die Reduzierung des Designs von Test-Fahrzeugen durch verbesserte Simulation.

Noch steckt die Quantentechnologie in ihren Anfängen: Die Anzahl der Quantenalgorithmen, die derzeit existieren, ist noch relativ begrenzt. Für viele Probleme gibt es noch keine Algorithmen. Die Suche nach neuen Rechenverfahren geht weiter.

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