Herr Overbeek, wie würden Sie das Jahr 2021 einordnen?
Ich würde es als solides Jahr beschreiben, auch wenn wir unsere Ziele mit Here nicht ganz erreicht haben. Trotz des Chipmangels, der uns über die geringeren Stückzahlen der Hersteller trifft, konnten wir ganz gut durch diese schwierige Zeit navigieren. Das hängt auch mit der Strategie zur Diversifikation zusammen. Wir wachsen weiter mit der Automobilindustrie, bieten aber zunehmend Produkte für Logistik und Transport an. Das hat die Rückschläge deutlich abgefedert.
Sie haben für 2021 erstmals Profitabilität versprochen. Haben Sie das geschafft?
Das weiß ich erst mit den endgültigen Zahlen in den nächsten Wochen. Wir haben angesichts der Corona-Krise mit ihren Auswirkungen auf der Kostenseite hart gearbeitet. Ob es gereicht hat, steht noch nicht fest. Wir gehen aber davon aus, dass 2022 wieder deutlich besser wird und wir wieder stärker wachsen. Die Covid-Pandemie hat nicht zuletzt dazu geführt, dass Auslieferungen auf der letzten Meile enorm an Bedeutung gewonnen haben. Dazu sind hochpräzise Positionsdaten notwendig. Von diesem Trend konnten wir profitieren.
Irgendwann müssen Sie Geld verdienen. Wächst der Druck der Investoren?
Ich sehe keine Ungeduld. Die Investoren sind breit gestreut. Auch die Automobilindustrie schätzt, dass Unternehmen wie Intel, die Mitsubishi Corporation oder NTT dabei sind. Umgekehrt ist dies auch der Fall. Wir haben Daten von 30 Millionen Fahrzeugen, die für viele Bereiche äußerst wertvoll sind. Ich bekomme die Rückmeldung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich spüre keinen Druck, nur Verantwortung für das, was wir tun. Die Aufträge für ISA, den in Europa für 2022 vorgeschriebenen Geschwindigkeitsassistenten, zeigen, dass wir in das Terrain unserer Wettbewerber vordringen und auf einem guten Weg sind.
Wie wichtig ist das ISA-Projekt für Here?
Das ist ein großer Deal für uns. Wir reden hier über einen Umsatz von bis zu 150 Millionen Euro über die nächsten Jahre. Noch wichtiger ist, dass wir die Technologie neben dem Premiumsegment auch für das Volumensegment anbieten können. Es zeigt, dass wir den Herstellern eine Art Baustein-Lösung anbieten können, die sich in eine Karte von uns, eine Navigation oder aber in ein bestehendes System integrieren lässt. Diese Flexibilität war sicher ein Grund dafür, warum wir hier so viele Kunden gewonnen haben. Wir erwarten zudem, dass solche Geschwindigkeitsassistenten auch in Asien und den USA kommen werden.
Trotzdem wollen Sie in Zukunft weniger abhängig von der Automobilindustrie sein, oder?
Wir wollen weiter mit der Automobilindustrie wachsen. Das ist für uns das Kerngeschäft. Hier sind wir auch erfolgreich. Das zeigt das Beispiel ISA. Wir haben nicht die Hälfte der Hersteller gewonnen, sondern acht von neun. Wir liefern die Karte für den Drive Pilot der S-Klasse von Mercedes. Aber wir wollen nicht mehr so abhängig sein. Wir waren bei einem Verhältnis von 90 zu zehn, jetzt sind wir bei zwei Drittel Automobil, der Rest sind andere Kunden. 2023 soll es jeweils die Hälfte sein.
Welche Rolle spielt die Karte für das automatisierte Fahren?
Vor einigen Jahren gab es neben Tesla auch einige andere Hersteller, die gesagt haben, Kameras würden für das automatisierte Fahren ausreichen. Jetzt kommen viele zu dem Schluss, dass hochpräzise Karten wahrscheinlich der Kern aller autonom funktionierenden Dinge sind, etwa auch von Robotern. Die wichtigste Zutat dafür sind Karten, die Sensor daten mit Positionsdaten fusionieren und autonome Bewegungen so erst möglich machen. Der Drive Pilot von Mercedes als erstes behördlich genehmigtes Assistenzsystem auf Stufe 3 des automatisierten Fahrens ist dafür sicher ein gutes Beispiel.
Erstmals übernimmt das Fahrzeug die Verantwortung. Spüren Sie dadurch einen Schub?
Wir sehen eine massive Steigerung der Nachfrage nach hochpräzisen Karten. Wir sind in vielen Projekten mit diversen Autobauern involviert. Aber der Schritt zu den nächsten Stufen 4 und 5 ist immer noch sehr komplex. Autobahnabschnitte und die größeren Nationalstraßen können relativ leicht in Karten integriert werden. Das könnten wir für 200 Länder machen.
Aber?
Es handelt sich nicht mehr um statische Karten, sondern um Echtzeitkarten. Also brauchen wir Zugang zu viel mehr Daten. Deshalb ist es so wichtig, dass wir inzwischen 30 Millionen Fahrzeuge mit Sensoren auf der Straße haben, die diese sammeln. So viele übrigens wie kein anderer. In der Stadt müssen wir aber zudem noch um die Ecke schauen können, um zu wissen, ob jemand aus der Einfahrt kommt. Das wird sicher noch einige Jahre dauern.
Wissen Sie schon, welche Stadt als erstes in diesem Sinn vermessen sein wird?
Das werden sicher Stuttgart, München und Ingolstadt sein. Nein, Scherz beiseite. Wir konzentrieren uns auf 40 bis 50 Städte weltweit, um das eben beschriebene Niveau zu kommen. Noch wichtiger ist, dass wir das entsprechende Instrumentarium für die Erfassung der Daten haben. Wenn also heute ein Autohersteller kommt und sagt, dass er von Südamerika eine hochpräzise Karte braucht, dann können wir sofort loslegen.
Hat die klassische Karte ausgedient?
Klassische Kartendienste mit den üblichen Update-Intervallen sind immer noch ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Aber wir definieren uns längst als Big-Data-Unternehmen für ortsbezogene Technologie und leiten daraus unsere Produkte ab wie Karten, Flottenmanagement oder auch Netzwerkplanung. Wir wollen mehr zu einer Plattform werden, die von vielen Kunden genutzt werden kann. Als Beispiel mögen Ladestationen für die Elektromobilität dienen, die wir nun in unsere Dienste integrieren können. Oder ganze Parkhäuser samt Stellplätzen im Innern.
Ein Ziel bei der Gründung war es, ein Gegengewicht zu Google zu schaffen. Sind Sie schon so weit?
Wir sind sicher noch nicht so bekannt wie Google, da muss man realistisch sein. Aber mit dem Team und den Investitionen in die Technologie haben wir es geschafft, bei den Daten zur Standortbestimmung in internationalen Analystenrankings an Google vorbeizuziehen. Google investiert Milliarden in eine Karte für die Verbraucher, ist aber bei Geschäftskunden nicht so stark. Da hat Here seine Stärken. 2021 haben wir über 200 komplett neue Kunden gewonnen. Das zeigt, dass die Dynamik auf jeden Fall da ist.
Immer wieder gab es in der Vergangenheit Gerüchte über einen Börsengang. Wie konkret sind die Pläne?
Als Chef des Unternehmens ist es meine Pflicht, ständig die Märkte und Möglichkeiten zu überprüfen, um unsere Ziele bestmöglich zu erreichen. Als logische Konsequenz schauen wir jedes Quartal die verschiedenen Optionen genau an. Unsere strategischen Investoren sind offen dafür. Im Moment gibt es keine konkreten Pläne für einen Börsengang oder neue Investoren. Aber das kann sich jederzeit ändern.
Sie sind von Beginn an dabei bei Here. Haben Sie mal überlegt, etwas anderes zu machen?
Nein, überhaupt nicht. Mir macht es sehr viel Spaß. Here ist ein absoluter Diamant, der nur noch geschliffen werden muss. Wir sind eines der wenigen großen Tech-Unternehmen in Europa, sonst gibt es nicht mehr viele. Und wir sind technologisch ganz weit vorne. Solange die Investoren das auch so sehen, mache ich gerne weiter.
Lesen Sie auch:
Mitsubishi und NTT investieren in Here
5G als Zukunftstechnologie: Here wird Teil der 5G Automotive Association
Kartendienst Here: Das Geschäft mit der Vermessung der Welt
Karten- und Datenmanagement: Here gründet den Dienst Here XYZ
Aus dem Datencenter:
Bereitschaft deutscher Autofahrer zur Verwendung von Connected-Car-Anwendungen