Corona, Chipmangel, Ukraine-Krieg und Rohstoffmangel. Die Automobilindustrie und mit ihr die Zulieferindustrie kommt seit mehr als zwei Jahren nicht mehr zur Ruhe. Zwar ist die von vielen befürchtete Insolvenzwelle vor allem bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen dank staatlicher Unterstützungsmaßnahmen bislang ausgeblieben, aber je länger die Krisen andauern, desto mehr zeigen sich die Spannungen im Verhältnis zwischen Zulieferern und Fahrzeugherstellern.
"Das Verhältnis zwischen Fahrzeugherstellern und Zulieferern ist noch nie so intensiv gewesen wie derzeit. Die Diskrepanz zwischen partnerschaftlichem Anspruch und täglicher Wirklichkeit ist auf einem Allzeitabstand“, erklärt Ralf Göttel, CEO des Zulieferers Benteler im Gespräch mit Automobilwoche. Auf der einen Seite würden die Hersteller, der VDA und die Zulieferer ein Partnerschaftsabkommen verhandeln. Im Tagesgeschäft auf Arbeitsebene sei es jedoch so hart und intensiv wie selten zuvor. "Zwar gibt auch wirklich tolle Beispiele in der Zusammenarbeit, aber das Grundcredo ‚Survival of the fittest‘ ist in dieser Krise besonders ausgeprägt. Die öffentlichen Bekundungen einer partnerschaftlicheren Ausrichtung ist noch nicht auf jeder Ebene angekommen", bedauert der Benteler-Chef.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Automobilbranche kommt seit zwei Jahren nicht mehr aus dem Krisenmodus. Das wirkt sich auch auf das Verhältnis zwischen Fahrzeugherstellern und Zulieferern aus.
Der Vertriebschef eines Mittelständlers macht auf eine Entwicklung im Verlauf der Krisen aufmerksam. "Bis zum Ukraine-Krieg und der Energiepreisexplosion hat das Verhältnis zwischen Fahrzeugherstellern und Zulieferern relativ gut funktioniert. Wir haben mit den Kunden nur darüber diskutiert, wie stark sie uns entgegenkommen und nicht, ob sie uns entgegenkommen.“
Ein freundliches Fazit hatte auch Schaeffler-Vorstandschef Klaus Rosenfeld vor vier Wochen gezogen, als er die Zahlen des Geschäftsjahr 2021 präsentierte. "Wenn es irgend etwas Positives aus der Coronakrise gibt, dann kann man sagen, dass der Schulterschluss gerade in der deutschen Automobilindustrie zwischen Herstellern, Zulieferern und auch unseren Zulieferern sehr gut funktioniert.“
Doch im Verlauf der jüngsten Krisen sei das Verhältnis wieder schlechter geworden, bedauert der Vertriebschef. Er bemängelt häufig fehlendes Verständnis für die Zulieferer. So habe sein Unternehmen beispielsweise einen Fahrzeughersteller als Kunden, der keine Energiepreiserhöhungen mittragen will. Der Manager geht davon aus, dass die Fahrzeughersteller derzeit stark damit beschäftigt sind, die auf der Kippe stehenden Lieferanten irgendwie zu retten und sie gar keine Zeit und Lust haben, sich mit den Gesunden noch auseinanderzusetzen. "Im Gegenteil, die Gesunden sollen das tragen, was sie an den ‚Kranken‘ verlieren." Die Kunden würden weiterhin auf Savings und verlängerte Zahlungsziele bestehen. "Nicht nur die großen Fahrzeughersteller, sondern insbesondere auch große Tier 1 drängen auf Zahlungsziele von 90 Tagen.“
Zudem seien die Einkaufsstrukturen und das administrative Vorgehen bei den Kunden so behäbig, dass sie die schnelllebigen Volatilitäten gar nicht mehr abbilden könnten. "Das heißt, der Lieferant muss vorfinanzieren und ihm bleibt dann nur noch die Hoffnung, dass er irgendwann nochmal nachverhandeln kann. Bei uns sind das deutliche zweistellige Millionenbeiträge. Anders gesagt: drei bis fünf Prozent vom Umsatz müssen zum Teil vorfinanziert werden.“
Doch er bringt auch ein gewisses Verständnis für die Fahrzeughersteller auf: "Ich verstehe, dass das für die Fahrzeughersteller derzeit nicht so einfach ist. Jeder Lieferant kommt mit seinen Energiekosten, hat einen anderen Energiekostenanteil und jeder kauft Energie zu unterschiedlichen Konditionen ein.“
Positive Aspekte sieht auch Sonceboz-CEO Pierre Gandel im Verhältnis zu seinen Kunden. Das vergangene Jahr sei wegen der verschiedenen Engpässe bei Materialien ein schwieriges Jahr gewesen, aber die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten hat sich verstärkt. "Wir sprechen mehr miteinander. Es gibt sogar eine gewisse Gesprächsbereitschaft über höhere Preise.“ Zudem hätten die Krisen zu einer gewissen Annäherung zwischen den Unternehmen und Menschen in den jeweiligen Kontinenten geführt haben. Andererseits: "Für uns ist es beispielsweise schwieriger geworden, mit einem Kunden oder Lieferanten in Japan zu sprechen. Aber ich hoffe, dass sich die Situation wieder normalisiert.“
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