Agenturmodell - "Love it or leave it"

Im Autohandel vollzieht sich derzeit eine Zeitenwende: Immer mehr Autohersteller wenden sich vom seit mehr als 100 Jahren etablierten Vertragshändlersystem ab und führen Agenturmodelle ein. Ob das eine kluge Entscheidung ist, war Thema der jüngsten Ausgabe von „Automobilwoche Talks Business“ mit der Leitfrage "Agenturmodell: Wirklich eine gute Idee?"

Dabei zeigte sich streckenweise ein zweigeteiltes Bild: Während Franco Barletta, Geschäftsführer der Sternpartner Gruppe und Jörg vom Hofe, Partner bei Deloitte, den Umstieg auf den Agenturvertrieb für eine gute Idee halten, hatte Rechtsexperte Prof. Christian Genzow noch große Bedenken. Der Agenturvertrieb sei nur theoretisch eine gute Idee, so Genzow. In der Praxis dagegen habe er große Zweifel.

Die unterschiedlichen Perspektiven zeigten sich unter anderem beim Thema Rabatte. So hegt etwa Barletta große Hoffnung, dass die Rabattschlachten im Handel ein Ende haben, wenn Mercedes-Benz hierzulande im Mai 2023 das echte Agenturmodell einführt und damit absolute Preiskontrolle erringt. Dann seien Absurditäten nicht mehr möglich, wie etwa einen A250e für monatlich 19 Euro zu verleasen. "Wir haben künftig keine Möglichkeit mehr, einen so genannten Margeneingriff vorzunehmen um Geschäfte zu realisieren. Darin liegt aus meiner Sicht der große Vorteil", so Barletta. Künftig sei dann nicht mehr der beste Preis, sondern die beste Kundenerfahrung entscheidend. Das sah Jörg vom Hofe, der etliche Hersteller zum Agenturvertrieb berät, genauso: "Ich glaube der Differenzierungsfaktor für den Kauf bei einem Agenten A oder B wird zukünftig nicht mehr der Preis sein wie das heute der Fall ist, sondern wo ich als Kunde am besten bedient werde." Christian Genzow wies allerdings darauf hin, dass das vor dem Hintergrund möglicher Re-Importe nur eintreten könne, wenn das echte Agenturmodell europaweit eingeführt werde und nicht nur ein einzelnen Märkten. Zudem könne durch das Ausschalten des Intrabrand-Wettbewerbs der Interbrand-Wettbewerb angeheizt werden.

Auch bei der Frage, ob es gelingen könne, dass Mercedes-Benz – wie im echten Agenturmodell zwingend erforderlich – alle unternehmerischen Risiken der Händler übernimmt, zeigte sich Genzow skeptisch: "Es ist etwas anderes, wenn man als Handelsvertreter einen Staubsauger vermitteln soll als wenn man ein Fahrzeug vermitteln soll und dafür ein Riesen-Autohaus vorhalten muss – und alles was damit zusammenhängt. Da gibt es schon große Unterschiede und vor allem auch hohe Investitionslasten. Die soll künftig der Hersteller tragen. Ich bin gespannt, ob das gelingt."

Relativ einig waren sich die Teilnehmer hingegen in ihrem tendenziell skeptischen Blick auf die unechte Agentur. Anders als beim echten Agenturmodell tragen die Händler hier noch unternehmerische Risiken. Deshalb dürfen die Hersteller die Preise in dieser Konstruktion nicht verbindlich vorschreiben. Die Folge: Der Intrabrandwettbewerb besteht weiter. "Bei den meisten OEM mit denen wir sprechen ist mittlerweile die Entscheidung gefallen, in ein echtes Agenturmodell zu gehen. Wir haben momentan keinen im Portfolio, der auf eine unechte Agentur setzt" sagte vom Hofe. Das Zusammenspiel der verschiedenen Vertriebskanäle funktioniere zudem in der echten Agentur besser als in der unechten. Auch juristisch gebe es hier noch viel Konfliktpotential. "Ich fürchte, dass gerade das Thema unechter Handelsvertreter noch zu unglaublich vielen Streitigkeiten führen wird", sagte Genzow.

Intensiv diskutiert wurden auch die Verdienstmöglichkeiten der Händler im Agenturmodell. Es sei vorab kaum möglich, mit Sicherheit zu sagen, ob die mit dem Hersteller vereinbarten Verdienstmöglichkeiten am Ende ausreichen, betonte Barletta. "Wir müssen darauf vertrauen, dass sich die Parameter für uns am Ende des Tages rechnen", so der Geschäftsführer. Ein Selbstläufer werde das neue Modell nicht, meinte Christian Genzow: "Die ersten Berechnungen die ich kenne von einigen Vertretern, die lassen befürchten, dass das nicht ganz so einfach wird, wie man sich das mal vorgestellt hat." Eine wirkliche Wahl hatten Barletta und seine Händlerkollegen aber nicht: "Wenn der Vorstand der Mercedes-Benz AG sich dazu entscheidet, dieses Agenturmodell europa- bzw. sogar weltweit einzuführen, dann muss man realistisch sein, dass es für uns als Vertreter nur die Möglichkeit gibt: Love it or leave it."

Den Herstellern sei aber durchaus klar, dass sich das Agenturmodell für die Händler rechnen müsse, betonte vom Hofe: "Das Modell wird nicht funktionieren, wenn ich keine Händler habe, die in einen Agenturvertrag mit mir wechseln wollen und das Geschäft auch weiterhin für mich betreiben." Seiner Ansicht nach sollte sich die Agenturprovision für Händler im Bereich von fünf bis acht Prozent bewegen. Dabei seien klare Regeln wichtig, damit Händler den Business Case transparent für sich berechnen können.

Sparmaßnahmen – etwa in Form von Standortschließungen – seien im Agenturvertrieb aber unausweichlich. "Der klassische Betrieb wie wir ihn heute kennen mit einer großen Verkaufsfläche: Den brauche ich zukünftig vielleicht nicht mehr in der Ausprägung oder nicht mehr überall in dieser Ausprägung", sagte vom Hofe. Das sah auch Franco Barletta so: "Wir müssen Kosten senken im Vertrieb. Das ist die Losung der Stunde. Dazu müssen zuallererst auch einmal Standorte überprüft werden." Denn am Personal sparen sei ausgeschlossen. Wenn künftig nicht mehr über den Preis verkauft werden könne, komme es vor allem auf die Mitarbeiter an. "Wir werden die Chancen die dieses neue System bietet in jedem Fall nutzen."