Innovativer als gedacht

Bei Start-Ups denken die meisten Menschen klischeemäßig an junge motivierte Menschen an Laptops zwischen Kickerkästen in hippen Backstein-Industriehallen. Autohändler oder auch Banken und Behörden wirken hierzu wie das natürliche Gegenbild. Ihnen haftet – vorsichtig ausgedrückt – ein eher angestaubtes, konservatives Image an.

Zumindest ersteren tut man damit aber Unrecht, findet Mathias Albert, Geschäftsführer der Autohaus-Gruppe Domicil: "Autohändler sind tagtäglich mit Problemen und Prozessen konfrontiert, die nicht funktionieren. Das macht sie zu den idealen Impulsgebern für neue Geschäftsmodelle.“

Zumindest in seinem Fall war das so. Denn aus der Domicil Gruppe heraus entstand die Idee, den Auto-Abo-Anbieter ViveLaCar zu gründen, dessen Chef Albert heute ist. "Wir hatten damals hohe Bestände an Peugeot 208, die wir aufgrund schlechter Restwerte nur mit Verlust losbekommen hätten. Der Gedanke war dann, eine Art Airbnb für Autos aufzubauen, um mit den Autos Erträge zu generieren, bis wir sie wieder zu vernünftigen Preisen verkaufen konnten“, sagt Albert. Zusammen mit Investoren entwickelte er aus dieser Idee ViveLaCar. Ohne Partner von außen gehe es nicht, findet er: "Jedes Start-Up braucht fremde Investoren, die das Konzept mit Geld und Knowhow unterstützen. Dazu muss die Idee raus aus dem Autohaus und rein in ein Start-Up.“

ViveLaCar ist nicht das einzige Start-Up, dessen Geschichte eng mit einem Autohaus verwoben ist. Auch die Gründer des Auto-Abo-Anbieters Cluno, Christina und Nico Poletti haben eine Autohaus-Historie. Die beiden waren zunächst im Porsche Zentrum Passau beschäftigt (Nico Poletti als Geschäftsführer) und gründeten 2011 zuerst den Online-Händler Easyautosale und 2017 dann Cluno. Ersteren kaufte 2015 Autoscout24 und zweiteren 2021 der Online-Gebrauchtwagenhändler Cazoo – seinerseits selbst ein Start-Up. Über die Kaufsummen ist nichts bekannt, Verluste dürften die beiden aber nicht gemacht haben.

Gute Erfahrungen mit einem Auto-Abo-Start-Up hat auch Timm Moll, Chef der gleichnamigen Moll Gruppe gemacht. Er hat 2019 den Abo-Anbieter Flexxdrive gegründet und damit bereits im vergangenen Jahr den Break-even-Point erreicht. "2022 rechnen wir mit einem Vermietumsatz von drei Millionen Euro, einem Bruttogewinn von 45 Prozent und einer Umsatzrendite von zehn Prozent. Im Vergleich zu anderen Autohaus-Bereichen ist das hochprofitabel“, sagt er.

Sein Erfolgsrezept ist, explizit nicht den Wettbewerb mit großen Anbietern wie Cluno oder ViveLaCar zu suchen. "Als Händler kann ich nicht in Konkurrenz mit Anbietern wie Cluno gehen, deren Geschäftsmodell ist, das Abo möglichst stark zu skalieren“, sagt Moll. Stattdessen konzentriere er sich auf Firmenkunden, die Lieferzeiten überbrücken müssen oder ausdrücklich nicht leasen wollen, beispielsweise weil sie eine hohe Mitarbeiterfluktuation haben, stark wachsen oder sehr flexibel sein wollen.  Dabei ist die Abo-Sparte Flexxdrive fest ins Autohaus-Geschäftsmodell integriert: "Die Moll Gruppe ist Lieferant und Vermarkter der Abo-Flotte von Flexxdrive. Wir verdienen also sowohl am Verkauf als auch später am Remarketing“, sagt Moll.

Die Liste von Händler-Engagements in der Start-Up-Szene ließe sich noch eine Weile fortsetzen: Die Autohaus Kunzmann Gruppe aus Aschaffenburg etwa ist bei Lead4Car, einer Plattform für Werkstattaufträge aktiv, die Seitz-Gruppe aus Kempten wiederum beim Neuwagenportal Carfellows.

Natürlich ist dabei nicht jede Idee erfolgreich. So manches Projekt wurde auch still und leise eingestellt. Die Spindler-Gruppe etwa hat 2018 eine Kooperation mit dem damals neuen Auto-Abo-Anbieter Faaren geschlossen und 2020 wieder beendet. Zu den Gründen wollte sich die Gruppe nicht äußern. Bereut hat man das Engagement aber offenbar nicht. "Wir sind vor allem im Hinblick auf die neuen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit zufrieden. Die Kooperation mit dem Start-Up hat uns gezeigt, wie wichtig es in der aktuellen Zeit ist, offen zu sein für Neues! Nur so können wir wachsen, mögliche neue Geschäftsfelder entwickeln und bereit sein für die sich schnell wandelnde Zukunft“, sagt Spindler-Digitalvertriebsleiter Ralf Englert. Weitere Engagements sind bereits in Vorbereitung – aktuell arbeitet die Gruppe mit einem Berliner Start-Up an einem Schulungsmanagement-Portal für Mitarbeiter.

Auch die Wellergruppe hat bereits einen Schlussstrich unter ein Engagement gezogen und sich neu orientiert. Die Gruppe hatte 2018 in den Carsharing-Anbieter Miles investiert. "Wir wollten gern dabei sein, wenn sich evtl. ein neues Mobilitätskonzept entwickelt. Aber wie viele andere haben auch wir erkannt, dass das eben kein neues Konzept der Zukunft ist, sondern eine schlecht gemachte Autovermietung mit zusätzlicher Parkraumvergeudung. Somit haben wir unser Engagement weitergereicht“, sagt Unternehmenschef Burkhard Weller unumwunden. Bei anderen Mobilitätskonzepten wie etwa Auto-Abos setze man nun auf "eigene Küche“.

Die Möglichkeit, einen Schlussstrich zu ziehen ist aus Sicht von Mathias Albert entscheidend. Denn ein neues Geschäftsmodell aufzuziehen sei immer ein Risiko, das darum am besten in ein vom "Hauptunternehmen“ getrenntes Unternehmen ausgelagert werden sollte. "Scheitert die Idee, kann das Start-Up nicht die ganze Autohausgruppe in den Abgrund reißen. Support aus dem Autohaus ist natürlich ok, grundsätzlich sollte das Start-Up aber als Standalone funktionieren“, sagt er.

Aus dem Datencenter:

Umfrage zur Akzeptanz von Sharing- und Abo-Angeboten