Herr Gollewski, war Ihre Shuttle-Vorstellung in Schweinfurt eine Art vertrauensbildende Maßnahme für die neue Technik?
Vertrauen ist die Basis – für uns und mögliche Shuttle-Kunden. Wir haben gezeigt, wo wir derzeit beim autonomen Fahren stehen, um urbane Mobilität neu zu gestalten und ins öffentliche Bewusstsein zu rufen. Deutschland verfügt über das einzige Level-4-Gesetz weltweit das ermöglicht, autonome Shuttles auf die Straßen zu bringen. Jetzt sprechen wir mit Städten und Gemeinden über das autonome Fahren und unterbreiten ihnen ein Angebot, urbane Mobilität neu zu gestalten. Wir haben alle Voraussetzungen dazu: ZF hat ein gutes Produkt, die Gesetzeslage ist klar, nur die politischen Wege sind etwas langwierig. Aber wir haben eine große Chance und wollen sie nutzen. Zu unserer Strategie Next Generation Mobility gehört nicht nur das Thema emissionsfreier Antrieb, sondern auch die autonome Mobilität. Das betrifft neben den Shuttles auch den Lkw und industrielle Anwendungen. Die Logistikketten der Zukunft lassen sich ohne autonomes Fahren gar nicht beherrschen. Beim autonomen Shuttle sehen wir ein Alleinstellungsmerkmal für uns.
Wie reagieren die Kommunen?
Bei den Gemeinden oder den Betreibern im öffentlichen Personen-Nahverkehr spüren wir anfangs oft eine gewisse Unsicherheit in der neuen Thematik autonomes Fahren. Sie fragen sich, was es bedeutet, solche Shuttles zu betreiben, welche Investitionen notwendig sind und wie sicher ihre Investitionen sein werden. Es ist schön zu sehen, wie die Unsicherheit dann über die Beschäftigung mit den Shuttles meist in Begehrlichkeit umschlägt.
Welches Paket bieten Sie den Kommunen?
Wir wollen den ÖPNV-Betreibern und den Gemeinden ein autonomes Transportsystem zur Verfügung stellen. Dazu gehören über das autonome Shuttle hinaus Lademöglichkeiten an den Haltestellen, die Überwachung der Strecke und des Shuttle-Innenraums oder das Ticketing. Über die ZF Aftermarket-Organisation können wir auch Service und Wartung über eine Laufzeit von 15 Jahren bieten. Das heißt, wir bieten den Gemeinden ein umfassendes Produkt an, um über autonome Technologien Mobilität neu zu gestalten, verbunden mit der entsprechenden Produktqualität, für die ein großes, seit vielen Jahren erfolgreiches Unternehmen bürgt.
Bieten Sie auch Partnerschaften im Bereich Finanzierung oder Leasing?
Wir sind mit Versicherungen und Leasingpartnern im Gespräch, um auch diese Leistungen anzubieten. Im Moment unterstützen wir über Partner noch sehr auftragsbezogen. Bei ZF arbeiten wir generell in einem Eco-System, weil wir fest davon überzeugt sind, dass uns bei hochdynamischen und anspruchsvollen Märkten ein gut funktionierendes Eco-System stärker macht.
Wie war die Resonanz der potenziellen Kunden?
Das Feedback war sehr gut. Es ist wichtig, dass es Gemeinden gibt, die voranschreiten und mit uns gemeinsam Pilotprojekte starten. Wir hatten im Vorfeld des Events sechs konkrete Anfragen aus der Region, zwölf aus Bayern insgesamt. Darunter jetzt auch der Auftrag für die erste Machbarkeitsstudie durch die Stadt Kitzingen. Das sehen wir als Grundvoraussetzung, um mit einen Shuttle-Projekt zu starten. Die Schweinfurter Shuttle-Tage haben sehr geholfen, mit den Gemeinden in Kontakt zu kommen. Kritisch sehen wir, dass die deutschen Genehmigungsverfahren sehr lang sind. Die Gemeinden und Städte müssen unterstützt werden, die Infrastruktur auf die autonom fahrenden Shuttles vorzubereiten.
Welche Themen beschäftigen Sie derzeit?
Ein Thema ist die Anbindung an den ländlichen Raum. Dort bieten autonome Shuttles einen Riesenvorteil. Weil die öffentliche Anbindung über den ÖPNV üblicherweise dann attraktiver wird, wenn die Taktfrequenz steigt. Aber in der Diskussion zeigt sich, dass wir dann andere Rahmenbedingungen für das Shuttle brauchen. Die Fahrzeuge müssen schneller werden. Das heißt, die nächste Shuttle-Generation kann 80 km/h fahren und nicht 40 km/h wie die jetzige. Auch die Batterieleistung muss zulegen. Wir arbeiten auch an flexibleren Interieurkonzepten. Für den Einsatz in Innenstädten benötigen wir beispielsweise mehr Steh- als Sitzplätze. Für die Anbindung des ländlichen Raums brauchen wir wegen der längeren Strecken wiederum mehr Sitzplätze. Das sind alles Dinge, die wir in der nächsten Shuttle-Generation berücksichtigen.
Welche Technologien und Komponenten steuert ZF zum Shuttle bei?
Im Shuttle setzen wir unseren High-Performance-Computer ProAI ein, den wir auch im Pkw verwenden. Das gilt auch für Aktuatoren wie Lenkung und Bremse, künftig auch unsere Kameras und Radar- sowie Lidar-Sensoren oder etwa unsere eigenen Stoßdämpfer zur Komfortverbesserung. Die im Shuttleverkehr gesammelten Erfahrungen bringen wir zudem in andere Marktsegmente ein. Das gewonnene Know-how kommt also nicht nur unseren Pkw-Kunden zugute, sondern auch unseren Partnern bei den Nutzfahrzeugen und in der Industrietechnik.
Welche Rolle spielt die Aftermarket-Organisation von ZF bei Ihren Shuttleplänen?
Für uns ist die Aftermarket-Organisation ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Wir können auf eine Organisation zurückgreifen, die 16.000 Mitarbeiter beschäftigt und über eine weltweite Präsenz verfügt. Die Kollegen sind es auch gewohnt, Prozesse des ÖPNV zu betreuen, weil ZF schon in Stadtbusse Komponenten und Systeme liefert. Es ist von unschätzbarem Wert, auf eine eingespielte Organisation zurückgreifen zu können, die schnell bei Störungen helfen kann und dem Kunden Sicherheit gibt, ihn beim Betrieb des Shuttles jederzeit verlässlich zu unterstützen.
Wie groß ist der Shuttle-Markt mittelfristig?
Wir sehen einen weltweiten Markt von über 200 Milliarden Euro im Bereich der People Mover. Der Markt im Bereich der Cargo Mover ist sogar noch größer. Wir adressieren beide Märkte. Die Fahraufgaben sind prinzipiell die gleichen, Unterschiede gibt es im Interieur oder bei den Sicherheitsanforderungen. Abhängig sind wir von den jeweiligen Gesetzgebungen. Wir haben in Deutschland eine Vorreiterrolle mit der Zulassung von Level-4-Systemen und es gibt intensive Bestrebungen, auf EU-Ebene die Gesetze zusammenzuführen. Es wäre wichtig, dass es ein gemeinsames EU-Gesetz gibt und nicht einen Flickteppich aus Landesgesetzen. Wir schlagen uns hier in Deutschland unter Wert und sollten aufpassen, den Vorteil nicht aus der Hand zu geben. Denn Mobilität ist eine Schlüsseltechnologie und wir lernen gerade an vielen anderen Stellen, dass es wichtig ist, Schlüsseltechnologien in europäischer Hand zu haben.
Bislang benötigen autonome Shuttles eine separate Fahrspur. Wann werden die Shuttles im Mischverkehr fahren können?
Natürlich werden die Fahrzeuge irgendwann frei fahren können. Wir gehen bei ZF derzeit über separierte Strecken, um früh in den Markt zu kommen und auch, um die Komplexität zu reduzieren. Es stellt sich aber die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, Shuttles im Mischverkehr mitfahren zu lassen. Denn egal, ob Sie mit einem autonomen Shuttle, Robotaxi oder einem Pkw mit Staupiloten im Mischverkehr fahren – sie stehen immer im Stau. Zeit gewinnen Sie nur, wenn Sie am Stau vorbeifahren können.
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