"Gehe nicht davon aus, dass die Preise sinken"

Seit dem 1. April ist Gerald Holzmann Chef von BMW Financial Services. Der Automobilwoche gibt er sein erstes Interview.

AUTOMOBILWOCHE: Herr Holzmann, die Preise für Neuwagen sind hoch, die Rabatte niedrig, die Auftragsbücher voll. Sie müssten aktuell den schönsten Job bei BMW haben…

Gerald Holzmann: Das könnte man meinen (lacht). Es ist aber tatsächlich so, dass wir als Finanzdienstleister durch die geopolitische Lage aktuell viele Spannungsfelder zu bewältigen haben. Fahrzeuge sind knapp auf dem Markt, dazu verwalten wir für unsere Kunden ein rollierendes Kundenportfolio, was in der Regel aus Dreijahresverträgen besteht. Wir haben sicher ein gutes und gesundes Portfolio aufgebaut , aber es beschäftigt mich eigentlich noch etwas anderes…

Ja, bitte?

Ich schaue immer gerne ein paar Jahre voraus. Seit 28 Jahren bin ich im Finanzdienstleistungsgeschäft, also schon zu Zeiten als Leasing noch gar kein etabliertes Geschäftsmodell war – anders als heute. Und da frage ich mich natürlich schon, wie sich unsere Branche in diesem Bereich verändern wird. Die steigenden Inflationsraten werden Auswirkungen auf die Finanzierung von Fahrzeugen haben. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Wenn wir uns anschauen, wie die Zinsen steigen, werden auch die Banken teilweise ihre Preise anpassen müssen.

Schauen wir konkret in den Markt hinein. Werden neue Geschäftsmodelle wie Auto-Abos perspektivisch den klassischen Kauf und die Finanzierung ablösen?

Da vertrete ich eine relativ nüchterne Sichtweise. Auch in den letzten Jahren noch sind rund die Hälfte unserer Fahrzeuge in den direkten Verkauf gegangen und die andere Hälfte über Leasing oder Finanzierung in unsere Bücher. Denn auch bei jüngeren Kunden hängt die Frage nach einem Auto-Abo ja ganz stark davon ab, wo sie überhaupt wohnen. Kunden, die in Großstädten schnell von A nach B wollen, werden sicher relativ pragmatisch das für sie günstigste, direkte Angebot für Mobilität wählen. Aber vermutlich reicht es schon, außerhalb des Autobahnrings hier in München zu schauen und schon werden die jungen Leute dort auch eher weiter ein eigenes Auto fahren und besitzen wollen – idealerweise ist das dann ein BMW.

Also ist keine Reaktion auf den Trend zu Auto-Abos oder Carsharing-Diensten notwendig?

Der Bedarf ist aber für uns bei Financial Services tatsächlich überschaubar. Dazu kommt: Wir stellen nach wie vor ein sehr verlässliches Kundenverhalten fest, wenn es um die Frage geht, wie lange jemand sein Auto behalten möchte. In der Regel sind das zweieinhalb bis drei Jahre. Es gibt aber natürlich auch Situationen, in denen der Kunde früher aus seinem Vertrag bei uns aussteigen möchte. Deswegen orientieren wir uns ebenso im Bereich der flexibleren Ausstiegsmöglichkeiten unserer Kundenverträge.

Was sagt Ihnen das über die Kunden?

Es zeigt, dass unsere Kunden gar nicht so oft ihr Fahrzeug wechseln wollen. Es gibt eine kleine Gruppe, die das mag, aber in der Regel wollen die Kunden in ihren Fahrzeugen sitzen bleiben.

Blicken wir auf die andere Seite des Marktes: Zu den Händlern. Das Agenturmodell soll ab 2023 bei BMW kommen. Wie verändert das Ihr Geschäft?

Wir sind aktuell im Austausch, um die bestmöglichen Lösungen zu finden. Klar ist aber bereits: Das Agenturmodell wird zu einer noch engeren Zusammenarbeit mit unserer Vertriebsorganisation führen. Wir finanzieren ja schon jetzt unsere Händler im Zuge von deren Einkaufsfinanzierung, so haben wir vielfach einen Hausbank-Status. Was wir aus der Einführung des Agenturmodells in einem Pilotmarkt aber bereits gelernt haben: Der Anteil an Leasingverträgen und Finanzierungsverträgen über uns bei BMW Financial Services ist angestiegen. Wir gehen also auch für Deutschland von einem höheren Anteil am Retail-Geschäft aus.

Gibt es weitere Erkenntnisse?

Ja, wir sind in den gesamten Verkaufsprozess stärker eingebunden. Der Prozess für den Kunden wird transparenter und schlanker. Aber die Prozesse hier für Deutschland sind alle noch in der Ausarbeitung. Das müssen wir uns genau anschauen, wie es dann hier im Detail aussehen wird.

Was bedeuten die aktuell steigenden Zinsen für die Fahrzeugfinanzierung?

Die einfache Antwort wäre jetzt: Sie führen zu höheren Finanzierungskosten. Bei einem Premium-Fahrzeug erwarte ich aber auch ein entsprechendes Produkt und bezahle dafür einen adäquaten Preis. Deswegen bin ich kein Freund von der 0-Prozent, oder 1-Prozent-Finanzierung. Wir bieten bei BMW ein werthaltiges Produkt zu einem vernünftigen Preis. Dieser kann bedingt durch die Zinsen natürlich steigen.  Ziel muss aber ein fairer Preis sein.

Und wie sieht der aus?

Ich kann mich gut an Zeiten vor 15, oder 20 Jahren erinnern, wo die Zinsen bei fast zehn Prozent waren. Da haben wir als Finanzdienstleister natürlich nicht in dem Ausmaß finanziert, wie wir es heute tun. Der Kunde heute prüft seine Optionen sehr genau und wir helfen ihm dabei an unseren Schnittstellen.

Schauen wir auf weitere Markttrends. Eine Option könnte für Kunden zukünftig die Möglichkeit sein, bidirektional zu laden, also den Strom ihres Elektroautos auch ins Netz einzuspeisen und so Geld zu verdienen. Wächst da ein neues Geschäftsfeld heran?

Um das wirklich bewerten zu können, ist es viel zu früh. Da könnte ich jetzt nur falsch liegen. Aktuell ist erst mal wichtig, den Kunden für das elektrische Fahren zu begeistern und für eine flächendeckende Ladeinfrastruktur zu sorgen.

Stichwort elektrisches Fahren: Der neue Hersteller VinFast aus Vietnam bietet separate Leasingraten für die Batterien in seinen Fahrzeugen an. Was halten Sie davon?

Heute ist aus meiner Sicht erst mal wichtig, dem Kunden Stabilität Vertrauen in die Elektromobilität zu geben. Zum einen bei der Reichweite, zum anderen bei der Langlebigkeit. Wir betrachten die Batterie nicht als Verschleißteil, sondern haben sie auf die Fahrzeuglebensdauer ausgelegt, so wie zum Beispiel den Motor bei konventionellen Fahrzeugen. Die Erfahrungen aus 10 Jahren BMW Elektromobilität bestätigen diese Ausrichtung. Diese Angst kann man dem Kunden eigentlich also jetzt schon nehmen. Wir denken als Finanzdienstleister aber im Bereich Elektromobilität an einen ganz anderen Bereich…

…Sie meinen die angesprochene Ladeinfrastruktur?

Genau. Für uns stellt sich die Frage, wie wir an der Wertschöpfung bei BMW Charging noch stärker partizipieren können. Der Kunde will einen schlanken, zuverlässigen und komfortablen Prozess beim Ladevorgang haben. Das bieten wir schon heute.

Also eine Absage an das Konzept von VinFast?

Ich kann aus unserer Sicht nur sagen, dass die Batterie ein integraler Bestandteil der Fahrzeugarchitektur ist. In Anbetracht der Lebensdauer der heutigen Batterien ist für uns kein Leasing in diesem Bereich notwendig.

Tesla bietet seit Februar eigene KfZ-Versicherungen, Mercedes hat mit Movinx ein Joint Venture gegründet, das eigene Versicherungsmodelle entwickelt. Ist das auch eine Option für BMW Financial Services?

Wir arbeiten ja schon seit langem mit Versicherern zusammen. In unserem Portfolio haben wir auch einen sehr hohen Anteil dieser Verträge.  Manche im Eigentragungsprinzip, manche durch den Versicherer entsprechend abgesichert. Ich halte das für ein wichtiges Geschäftsfeld, aber eben als Teil des Gesamtangebots, was wir den Kunden machen wollen. Da sehen wir übrigens einen generellen Trend zu umfassenden Angeboten.

Wie lautet der?

Wir haben verstärkt Privatkunden, die jetzt immer mehr auf Wartungspakete schauen, Reifen dazu kaufen wollen und eben möglicherweise gleich auch eine Versicherung bei uns abschließen. Hier schauen wir bewusst je nach Land und Markt, welcher Partner für uns die besten Lösungen anbietet.

Wie verändert sich dadurch das Geschäft?

Wir beobachten den Trend, dass Kunden verstärkt eine sorglose Mobilitätslösung wollen. Sie zahlen einen gewissen Betrag dafür, dass dann eben auch wirklich alles abgedeckt ist. Darauf werden wir uns als Finanzdienstleister noch stärker einstellen.

Die Mercedes-Benz-Bank steigt bis 2024 aus dem Einlagengeschäft für Privatkunden aus. Droht das auch bei BMW?

Wir haben keine Intentionen auszusteigen, um das ganz deutlich zu sagen. Aber durch die steigende Inflation werden auch wir uns anschauen müssen, wie sich die Geldpolitik entwickelt. Um die Stabilität des Geldes zu sichern, erwarte ich schon, dass die Zentralbanken die Zinsen Stück für Stück anheben werden. Deswegen ist ein Ausstieg aus dem Einlagengeschäft keine Option für uns.

Blicken wir abschließend auf die Entwicklung des Marktes. Für wann rechnen Sie mit sinkenden Neuwagenpreisen?

Ich gehe nicht davon aus, dass sie die Preise in absehbarer Zeit sinken. Die Verteuerungen bei den Rohstoffen, die wir erleben, werden vermutlich bleiben. Dazu kommt die hohe Inflation. Jetzt fragen Sie mich sicher gleich nach dem Gebrauchtwagenmarkt…

Exakt.

Es gab in der Vergangenheit sicher mal Situationen, in denen Märkte schnell eingebrochen sind. Aber auch das sehe ich nicht. Wir haben weiterhin eine hohe Nachfrage nach individueller Mobilität. Ich sehe auf dem Gebrauchtwagenmarkt maximal einen Seitwärtstrend bei den Preisen. Einen abrupten Trend mit sinkenden Preisen können wir auch hier aus meiner Sicht kurzfristig nicht erwarten.

Wie sehen Sie die Entwicklungen im Flottengeschäft?

Natürlich haben auch wir einen verstärkten Trend zur nachhaltigen Ausrichtung des Flottengeschäfts registriert. Viele Unternehmen achten jetzt stärker auf einen möglichst kleinen CO2-Footprint und integrieren daher vermehrt elektrifizierte Modelle in ihre Fuhrparks. Um Kunden bestmöglich bei diesem Schritt zu begleiten, bieten wir mit unserem Tochterunternehmen Alphabet jetzt auch vermehrt Beratungen zur CO2-Optimierung an. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen.

Letzte Frage: Sie sind erst knapp zehn Wochen im Amt. Welche Ziele haben Sie sich persönlich noch für dieses Jahr gesetzt?

Das Unternehmen so stabil weiterzufahren, wie wir es trotz turbulenter Zeiten in den letzten Jahren getan haben. Dazu möchte ich den Fokus darauflegen, die Kundenschnittstelle weiter zu digitalisieren und unseren Kunden das Gefühl bieten, von BMW einen ganz eleganten, klaren Prozess zu bekommen. Das werden wir auch intern weiter vorantreiben. Dazu erwarten uns bei der Zinsentwicklung viele Herausforderungen, die aber in unserem Geschäft normal sind. Wir sind über die letzten Jahre sehr erfolgreich gewesen, aber das heißt natürlich nicht, dass wir uns jetzt zurücklehnen dürfen.

Aus dem Datencenter:

Wer liefert was für den BMW i4 (2020)?