"Die Autofinanzierung wird teurer werden"

Nach jahrelanger Abstinenz sind sie wieder da: Zinsen. Konnten sich Bauherren zu Jahresbeginn noch für rund ein Prozent zehn Jahre lang Geld leihen, sind es mittlerweile fast drei. Und die Immobilienkredite sind nicht allein. Auch Ratenkredite ziehen mit etwas Verzögerung mittlerweile an. Laut einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox von Ende Mai, sind Ratenkredite seit Quartalsbeginn im Schnitt um 12 Prozent teurer geworden. Das hat auch für die Autobranche deutliche Folgen. Welche das sind und wie es zu dem Anstieg kam, erklärt Prof. Hans-Peter Burghof, Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim im Interview mit der Automobilwoche.

Herr Prof. Burghof, seit Jahresbeginn ist zu beobachten, dass die Zinsen für Immobilienkredite das erste Mal seit langer Zeit kräftig steigen. Wie sieht es bei Konsumkrediten wie Autofinanzierungen aus?

Auch die Zinsen für Konsumkredite werden steigen. Längerfristige Kredite mit langer Zinsbindung steigen immer als erstes, weil es für Banken ein erhebliches Risiko ist, diese zu billig herauszugeben.

Inwiefern?

Wenn Sie einen zehnjährigen Immobilienkredit mit einem Prozent Zinsen herausgeben und ihre Refinanzierungskosten nach einem Jahr auf drei Prozent steigen, dann machen Sie neun Jahre lang zwei Prozent Verlust. Das kann sich keine Bank leisten. Aus diesem Grund steigen die Zinsen bei langfristigen Krediten schon jetzt an. Bei einem Konsumkredit, der nur ein oder zwei Jahre läuft, ist das Risiko ihn zu billig herauszugeben wegen der kurzen Laufzeit dagegen überschaubar.
 

Worauf ist es zurückzuführen, dass die Zinsen nach jahrelanger Flaute überhaupt nach oben gehen?

Wir hatten jahrelang eine zurückgestaute Inflation. Die Europäische Zentralbank EZB hat zur Bekämpfung der verschiedenen Krisen seit 2009 Geld sehr billig gemacht, unter anderem durch sehr niedrige Leitzinsen. Das billige Geld ist aber tendenziell in Asset Bubbles geflossen. Also nicht in den Konsum, sondern in langfristige Geldanlagen. Aus diesem Grund sind Aktien und Immobilien sehr teuer geworden. Bei den konkreten Lebenshaltungskosten hat sich das nicht bemerkbar gemacht. Darum war die Inflation weiter niedrig. Dieses Prinzip kommt nun angesichts von Krieg und Corona an sein Ende. Deshalb steigt seit einem Jahr die Inflation kontinuierlich an. Um gegen die Inflation anzukämpfen und die Stabilität des Euro zu sichern, muss die EZB nun dringend die Leitzinsen erhöhen. Dass sie das erst im Juli tun will, ist eigentlich schon zu spät. Aber sie tut es. In den steigenden Kreditzinsen preisen die Banken darum jetzt ein, dass die EZB in mehreren Schritten die Zinsen anhebt und ihre Refinanzierungskosten steigen werden.

Wenn die Banken erwarten, dass die EZB die Zinsen in mehreren Schritten anheben will, bedeutet das, dass ein Ende der Zinssteigerungen noch nicht erreicht ist?

Genau. Allerdings sind hier genaue Prognosen nicht möglich. Niemand weiß, was noch alles passiert. Aufgrund des kräftigen Inflationsschubs kann die EZB aber gar nicht anders als die Leitzinsen zu erhöhen und so die Stabilität des Euro zu verteidigen. Andernfalls würde der Euro zu einer Weichwährung werden und das würde den Euro als verlässliche Basis für Wirtschaft und Geldanlage gefährden.

Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Zinswende?

Banken haben kurzfristig erst einmal ein großes Problem. Denn diese leihen sich – zum Beispiel über Spareinlagen oder die EZB – kurzfristig Geld, um es langfristig weiter zu verleihen. Dies wird nun relativ rasch teurer. Gleichzeitig haben die Banken bei vielen ihrer eigenen langfristigen Anlagen, zum Beispiel bei Immobilienkrediten, auch lange Zinsbindungen. Aus dieser Differenz zwischen dem vereinbarten Zinsniveau und der teurer werdenden Refinanzierung ergeben sich für die Banken bei bestehenden Krediten kurzfristig Verluste. Aber: Mittelfristig profitieren die Banken dann davon, weil sie auf Dauer bei neuen Krediten eine bessere Zinsmarge erzielen können.

Könnte dieser Effekt Banken in eine Schieflage bringen?

Da mache ich mir keine allzu großen Sorgen. Erstens haben die Banken durch die harte Regulierung der Branche große Eigenkapitalpuffer aufgebaut und zweitens ist das ja nur vorübergehend. Spätestens wenn sich die Zinsen konstant auf einem höheren Niveau einpendeln, werden sie wieder ordentlich verdienen. Die wirklichen Risiken der Banken liegen woanders. Der Ukraine-Krieg etwa ist in seiner weiteren Entwicklung und den damit einhergehenden Konsequenzen in keiner Weise berechenbar. Daher ist es auch schwer zu beurteilen, wie stark deutsche Unternehmen noch getroffen werden und wie sich das wiederum auf die Banken auswirkt.

Welche Folgen haben die steigenden Kreditzinsen für Unternehmen – beispielsweise für Autohändler, die Kunden kreditfinanzierte Autos verkaufen wollen? Wenn es auf einmal keine Null-Prozent-Finanzierungen mehr gibt, wird das ja deutlich unattraktiver…

Sicher, der Werbeeffekt wird reduziert. Dieses Gefühl, dass der Kredit mich als Kunden nichts kostet, der verschwindet. Andererseits kann man über die Kalkulation aus Zins und Verkaufspreis viel kaschieren und das Vertriebsinstrument Kreditfinanzierung anpassen. Selbst wenn die Zinsen für Konsumkredite bei fünf Prozent lägen, können die Hersteller und ihre Banken zwei Prozent anbieten, Werbung mit ihren niedrigen Zinsen machen und das Geld wieder über den Preis hereinholen. Und wer möchte, kann auch weiterhin Null-Prozent-Finanzierungen anbieten. Es wird nur zunehmend teurer, das darzustellen. Deswegen werden das wohl nicht viele tun.

Werden die Kunden den Autokauf hintanstellen, wenn die Kreditzinsen steigen?

Die Autofinanzierung wird für Kunden teurer werden. Das gilt übrigens auch für das Leasing. Denn ob Sie leasen oder einen Kredit nehmen ist ökonomisch gesehen kein großer Unterschied. Und für viele ist das Auto nach dem Haus die zweitwichtigste Finanzierung. Ob die zusätzlichen Zinsen die Haushalte wirklich effektiv belasten, hängt aber davon ab, wie sich die Löhne entwickeln. Wenn die nicht als Reaktion auf die wachsende Inflation zu wachsen beginnen, wird das Leben für die Konsumenten teurer und sie werden weniger konsumieren – vor allem auf Kredit.

Erwarten Sie, dass es Lohnsteigerungen geben wird?

Ich denke schon. Wir hatten im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr Jahr eine Lohnsteigerung von durchschnittlich vier Prozent und eine Inflation von 5,8 Prozent. Die Menschen haben also im vergangenen Jahr effektiv 1,8 Prozent ihres Einkommens und, bei einem Zins nahe Null, sogar mehr als fünf Prozent ihres Geldvermögens verloren.  Mittlerweile liegt die Inflation bei fast acht Prozent. Viele Bürger merken bereits, dass es knapp wird. Und so geht es weiter. Das schürt Unzufriedenheit. Die Gewerkschaften dürften daher schon bald hohe Lohnforderungen auf den Tisch legen. Ich erwarte, dass der private Konsum dennoch leiden wird.

Sollten sich Händler egal welcher Branche auf sinkende Umsätze einstellen?

Zumindest werden sie nicht mehr so dynamisch wachsen wie in der Vergangenheit. Mit genauen Prognosen sollte man aber vorsichtig sein. Es kann zu viel passieren, was Prognosen konterkariert.

Werden die Menschen wieder mehr sofort bezahlen?

Das steht zu vermuten. Als Kunde habe ich die Wahl, Geld zu behalten und damit Zinsen zu verdienen oder es in den Konsum zu stecken. Nachdem die Zinsen nur sehr langsam steigen und der Realzins daher negativ ausfällt, kann ich mir vorstellen, dass viele ihr Geld lieber ausgeben, wenn eine größere Anschaffung ansteht, anstatt es als Reserve zu behalten und einen Kredit aufzunehmen.

Gibt es bei bereits laufenden Konsumkrediten ein steigendes Ausfallrisiko?

Wir müssen im Durchschnitt mit höheren Ausfallraten rechnen. Durch die Inflation steigen die Konsumausgaben, während die Gehälter nur langsam nachziehen. Und in dieser zeitlichen Differenz werden viele Leute, bei denen das Einkommen nicht so üppig ist, in Schwierigkeiten kommen. Bei neuen Krediten müssen die Banken bei der Kreditwürdigkeitsprüfung nun nachschärfen und künftig genauer hinsehen, wie groß der finanzielle Spielraum eines Kunden wirklich ist.

Wo erwarten Sie, dass sich die Zinsen mittelfristig bis langfristig einpendeln werden?

Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Wer im Moment versucht, Zinsen in einem oder zwei Jahren zu prognostizieren, muss schon sehr mutig sein. Ich bin das nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!