Welche Lösungen Diess dem VW-Aufsichtsrat präsentiert

Wenn am Freitag der VW-Aufsichtsrat zusammentritt, steht das spannendste Thema nicht einmal auf der Tagesordnung: Cariad. Unter dem Punkt "Bericht des Vorstandes" wird Konzernchef Herbert Diess dann erklären, wie er die Probleme bei der Software-Tochter in den Griff bekommen will. Schon jetzt steht fest: Die Lösung wird teuer und bedeutet einen Rückschlag für die ambitionierten Software-Pläne des Konzernchefs.

Die Frist bis Anfang Juli hatte ihm der Aufsichtsrat vor einem Monat gesetzt. Denn bei Cariad hatten sich zuletzt die Hiobsbotschaften gehäuft. Die Entwicklung des neuen Betriebssystems für künftige Fahrzeuge aller Konzernmarken, das dann autonomes Fahren nach Level 4 ermöglichen soll, laufe schleppend, hieß es. VW und Audi sollen sich gegenseitig im Weg stehen. Zur Juli-Sitzung des Kontrollgremiums solle Diess nun eine Lösung präsentieren, so die Ansage.

Wie die Lösung aussehen soll, hatte Diess bereits vergangene Woche auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg umrissen. Seither wirbt er in einem Interviewmarathon für den Strategieschwenk, mit dem er die stockenden Software-Projekte für Audi, Porsche und Volkswagen retten will.

Wichtigster Punkt: Beim der gemeinsamen Softwareentwicklung, die eigentlich der Kern von Cariad werden sollte, zieht der Konzern die Notbremse. VW und Audi entwickeln jetzt wieder getrennt – zwar weiter unter dem Dach von Cariad, aber voneinander getrennt. Das sei aber nur übergangsweise, wie Diess hinzufügte. Am Ziel einer einheitlichen Software für alle Modelle und Konzernmarken ändere sich nichts. Es wird nun aber deutlich später erreicht.

Audi soll zusammen mit Cariad die Entwicklung der Software 1.2 übernehmen, die eigentlich nur als Übergangslösung gedacht war. Sie soll bei Audi und Porsche zum Einsatz kommen und liegt weit hinter dem Zeitplan zurück. Geplanter Ersteinsatz: 2023 beim E-Macan von Porsche und dem Audi-Schwestermodell Q6 e-etron.

Die Entwicklung der neuen Einheitssoftware 2.0, die Audi zusammen mit Cariad eigentlich für alle Konzernmarken entwickeln sollte, übernimmt nun - ebenfalls zusammen mit Cariad - die Kernmarke Volkswagen selbst. Erstmals zum Einsatz kommen soll sie nun 2026 beim VW Trinity, statt wie ursprünglich geplant schon 2024 bei Artemis von Audi.

Am Konzernsitz kam das gut an. "Hier hat Wolfsburg jetzt eine ganz entscheidende Rolle für die Zukunft des Konzerns", sagte Diess selbst. "Wolfsburg wird zur Tech-Speerspitze!" In Stuttgart und Ingolstadt sorgte das dagegen für neue Verstimmung. Vor allem Porsche will sich nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen.

Sonderwünsche von Porsche und Audi, die angeblich die Entwicklung verzögerten, habe es nie gegeben, hieß es dort. Und auch von einer Vernachlässigung der Arbeit an der Einheitssoftware 2.0 zugunsten der eigenen Übergangslösung 1.2 könne keine Rede sein. Schließlich habe man mit 1.2 bereits lange vor der Cariad-Gründung 2020 begonnen und das Projekt dann in die neue Konzerntochter eingebracht. Jetzt müsse die Software endlich fertig werden.

Diess hatte erst Anfang 2022 von Audi-Chef Markus Duesmann die Verantwortung für die Software-Tochter übernommen. Zuletzt hatte es immer mehr Berichte über Verzögerungen bei der Software-Entwicklung gegeben. Vor allem die parallele Entwicklung von 2.0 und 1.2 soll die Ressourcen der Softwaresparte überfordert haben. Daher, so heißt es in Wolfsburg, nehme VW Audi diese Arbeit nun lieber ab.

"Wir werden ein paar Jahre parallel bei den Fahrassistenzsystemen entwickeln bei Audi und VW", sagte Diess. "Das kostet ein paar Ressourcen, ändert aber nichts am Ziel: Wir wollen einen einheitlichen Software-Stack für den ganzen Konzern, über alle Marken.“ Die Mehrkosten durch die Parallelentwicklung bezifferte Diess auf rund eine halbe Milliarde Euro. "Aber entscheidend ist, dass unsere Kundinnen und Kunden das bestmögliche Produkt erhalten. Ab Mitte, Ende des Jahrzehnts führen wir die Entwicklungen dann in der 2.0 zusammen."

Diess räumte ein, dass dies ein Rückschlag sei für die hohen Software-Ambitionen des Konzern. Aber: "Cariad ist kein Sprint, Rückschläge in einzelnen Projekten gehören dazu" fügte er hinzu. "Das heißt aber nicht, dass die Cariad gescheitert ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wir lernen Software, wir werden besser." Denn: "Wir müssen Software-Kultur noch lernen, dazu gehört auch Flexibilität und Tempo."

Mit einem Eklat im Aufsichtsrat ist am Freitag aber nicht zu rechnen. Zu dem Punkt ist nicht einmal eine Abstimmung vorgesehen. Und in der Sache gibt es kaum Widerspruch. Selbst Betriebsratschefin Daniela Cavallo nahm Diess bereits indirekt in Schutz: „Es ist nicht so, dass Cariad überfordert wäre. Oder, auch das war schon zu lesen, gleich ganz aufgelöst werden soll, weil sie es eh nicht hinkriegt“, sagte sie. "Wahr ist dagegen: Unsere Kolleginnen und Kollegen bei Cariad machen einen Top-Job." Das ging zwar vor allem in Richtung der Mitarbeiter dort, dürfte aber auch Diess als deren obersten Chef den Rücken stärken.