Dieser Standort hat die besten Chancen

Die Nachricht hat in der vergangenen Woche aufhorchen lassen. Mercedes und das amerikanische Start-up Rivian wollen in Osteuropa in einer gemeinsamen Fabrik Elektro-Transporter bauen. Dafür solle an einem bestehenden Mercedes-Standort eine neue Fabrik gebaut werden. Wo dies genau sein soll, ließen beide Unternehmen bisher offen. Doch viele Möglichkeiten gibt es ohnehin nicht. Nach Informationen der Automobilwoche dürfte ein Standort derzeit die besten Karten haben, auch wenn eine abschließende Entscheidung wohl noch nicht gefallen ist. 

Beide Unternehmen planen dort die Produktion von großen Transportern. Die Fahrzeuge von Mercedes sollen auf der neuen Plattform Vans.EA stehen, die ab 2025 eingeführt werden soll. Diese Generation ist auf rein elektrischen Antrieb ausgelegt, Verbrennermotoren sind nicht mehr vorgesehen. Die Vans von Rivian stehen auf der Rivian-Light-Van-Plattform (RLV). Das Start-up hat in den USA bereits mit der Produktion seiner Transporter begonnen, die vor allem auf die Paketauslieferung zugeschnitten sind. Der Handelsriese Amazon hat 100.000 Transporter bestellt und ist auch selbst an Rivian beteiligt, um die Paketauslieferung unter eigener Regie weiter zu optimieren.

Obwohl es sich um zwei völlig unterschiedliche Fahrzeuge handeln wird, ist die Produktion laut Mercedes auf einer gemeinsamen Linie vorgesehen. Dafür planten beide Unternehmen "produktionsoptimierte Fahrzeugkonzepte". Die Zusammenarbeit ermögliche es, operative Synergien zu heben und die Kosteneffizienz erheblich zu steigern, heißt es in der Mitteilung. Damit sollen auch die Anschaffungs- und Betriebskosten der Fahrzeuge gesenkt und konkurrenzfähig gemacht werden. Vor allem wegen der teuren Batterie gelten Elektrofahrzeuge bisher als deutlich kostenintensiver in der Herstellung. Es ist übrigens nicht die erste Kooperation von Mercedes. So hat das Unternehmen beispielsweise in seinem Düsseldorfer Werk über viele Jahre im Auftrag von VW Karosserien für den Crafter gebaut. "Damit hat man gute Erfahrungen gemacht", sagte ein Branchenkenner der Automobilwoche. 

Schaut man auf die Landkarte der Produktionsstätten von Mercedes in Osteuropa, sind es die drei großen Mercedes-Standorte in Polen, Ungarn und Rumänien, die für den Neubau einer Fabrik grundsätzlich geeignet wären. Die längste Tradition hat dabei das Pkw-Werk im ungarischen Kecskemet. Der Standort wurde als erstes europäisches Mercedes-Benz Pkw-Werk außerhalb Deutschlands im März 2012 eröffnet. Hier lässt Mercedes vor allem Kompaktmodelle wie die A-Klasse oder den CLA vom Band laufen. Das Werk hat fast 5000 Beschäftigte. Erst kürzlich kündigte Produktionschef Jörg Burzer an, dass hier ab 2024 neben E-Modellen der Kompaktklasse auf der neuen Plattform MMA auch ein Modell auf C-Klasse-Niveau auf der Plattform MB.EA hinzukommt.

Allerdings sprechen einige Argumente gegen Kecskemet als Standort für die Van-Fertigung. Zum einen ist bereits der Ausbau als Pkw-Standort beschlossen, der in den kommenden Jahren erhebliche Ressourcen binden wird. Dazu kommt die Vielzahl der Produktionsstätten in dem Land, die vor allem eine Verknappung der zur Verfügung stehenden Fachkräfte zur Folge hat. "Ungarn ist abgegrast", so der Branchenkenner. BMW investiert zum Beispiel rund eine Milliarde Euro in ein neues Werk in Debrecen, in dem 2025 die Serienproduktion für ein vollelektrisches Fahrzeug der "Neuen Klasse" starten soll. Zudem hatte kürzlich der chinesische Zellfabrikant CATL den Bau einer Gigafabrik in Ungarn angekündigt, von dem aus europäische Werke mit Zellen beliefert werden sollen.

In Rumänien wiederum produziert Mercedes über Tochtergesellschaften an den Standorten Sebes und Cugir Automatikgetriebe. Erst Ende 2021 hatte Mercedes entschieden, einen Teil der Fertigung an den Zulieferer Magna zu verlagern. Dort soll die neue Generation von Getrieben für die Kompaktwagenplattform MMA ab 2024 anlaufen. Da die rumänischen Standorte mit ihrer Fokussierung auf Getriebe von der Transformation stark betroffen sind, würde ein Einstieg in die Elektromobilität durchaus Sinn ergeben. Dazu kommen Kostenvorteile gegenüber den anderen Standorten. Gegen Rumänien spricht allerdings die Randlage und die relativ simple Fertigung mit weniger qualifizierten Beschäftigten, die mit einer Montagefabrik für Elektrofahrzeuge nicht vergleichbar wäre.

Im polnischen Jawor hat Mercedes im Jahr 2019 die Produktion für Vierzylinder-Motoren begonnen, die unter anderem nach Ungarn ins Pkw-Werk geliefert werden. Die Kapazitäten sind auf bis zu 500.000 Aggregate pro Jahr ausgelegt. Nur zwei Jahre später wurde das Werk um eine Batteriefertigung erweitert, deren erste Linie bereits in Betrieb gegangen ist. Das zeigt, dass Jawor als Standort einen hohen Stellenwert genießt. Inzwischen arbeiten hier rund 1300 Beschäftigte.  Die Akkus sind für die EQ-Modelle des Herstellers vorgesehen und sollen die Elektroffensive der kommenden Jahre absichern. Die Kapazität soll hier bei bis zu 100.000 Einheiten pro Jahr liegen. Das Werk bezieht Strom aus regenerativen Quellen und ist CO2-neutral.

Es ist sind vor allem die bereits vorhandene Batteriefabrik, die Elektrokompetenz und die steuerlichen Vorteile für Investoren, die Polen als Standort für die Transporter-Fabrik attraktiv machen. "Dazu kommen Logistik-Vorteile beim In- und Outbound", so der Branchenkenner. Damit dürfte Polen der Favorit für die Entscheidung für eine Van-Fabrik sein. Die endgültige Wahl hängt aber auch von den Subventionen und sonstigen Vergünstigungen ab, die die in Betracht kommenden Länder gewähren. Überraschungen sind daher nicht ausgeschlossen.

Aus dem Datencenter:

Globales Produktionssnetzwerk EQ 2022