Ford hat in Europa die Weichen für eine 100-prozentige Elektrifizierung seiner Modellpalette gestellt. Ohne die Anfang 2020 angekündigte enge Kooperation mit Volkswagen und die vereinbarte Nutzung des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) der Wolfsburger sind diese Pläne zum Scheitern verurteilt. Doch nun wird immer deutlicher: Ford will seine Abhängigkeit von VW nicht weiter steigern, sondern mittelfristig wieder senken.
Ford will von VW unabhängiger werden
Ford ist in den nächsten Jahren auf seine enge Partnerschaft mit Volkswagen angewiesen, doch mittelfristig wollen die Kölner diese Abhängigkeit überwinden. Der Elektrobaukasten MEB soll nur für eine Übergangszeit genutzt werden, bevor Ford seine eigene Elektro-Plattform an den Start bringt und im Software-Bereich sieht Ford keinen Grund für eine engere Kooperation.
Ford hat seine Elektrostrategie sehr spät angekündigt und will dennoch zu den schnellsten Autobauern beim Rennen um das E-Auto dabeisein. Schon 2024 sollen in Europa drei rein elektrische PKW zur Verfügung stehen sowie vier neue rein elektrische leichte Nutzfahrzeuge. Ab dem Jahr 2026 will der Hersteller in Europa dann bereits 600.000 rein elektrische Fahrzeuge pro Jahr verkaufen. Im derzeit entstehenden "Electrification Center" am europäischen Hauptsitz in Köln sollen bis 2028 allein rund 1,2 Millionen E-Autos gebaut werden - und zwar auf Grundlage des elektrischen Antriebsbaukastens von VW.
Doch Ford will nicht ad infinitum von der Technik aus Wolfsburg abhängig bleiben und ist bestrebt, die hohe Wertschöpfung, die in den elektrischen Plattformen steckt, mittelfristig wieder im eigenen Haus zu bauen. Fords europäischer Topmanager Martin Sander weiß, was auf dem Spiel steht. Deshalb betont er: "Die Kooperation mit Volkswagen ist klasse und funktioniert. Durch die Nutzung des MEB haben wir mindestens zwei Jahre an Entwicklungszeit gespart."
Während das Kölner Werk zunächst einmal voll ausgelastet sein wird mit dem Bau von Ford-Modellen "powered by Volkswagen", soll im spanischen Werk Valencia kein MEB mehr zum Einsatz kommen. "Wir werden in Valencia eine rein elektrische Plattform nutzen. Derzeit ist aber noch offen, ab wann das geschieht und welche Modelle wir dort bauen werden", berichtet Sander.
Während die Amerikaner dankbar sind über die Kooperation mit VW im Plattformbereich, erwarten sie aus Wolfsburg keinen großen Beitrag im Bereich Software Defined Vehicle. "Wir brauchen vermutlich keine externe Hilfe im Softwarebereich", lässt sich Sander dazu entlocken. Ford habe trotz des jüngsten Aus beim gemeinsam mit VW angeschobenen Roboterauto-Entwickler Argo AI alle notwendigen Fähigkeiten, um beim autonomen Fahren ganz vorne dabeizusein, betont Sander. "Wir sind sehr zuversichtlich, unsere Ziele zu erreichen", sagt Sander dazu. Ford könne auch ohne Argo AI die nächsten Schritte beim autonomen Fahren umsetzen.
"Dieses Unternehmen bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung Hightech-Company", sagte Sander jüngst im Gespräch mit der Automobilwoche. Der ehemalige Audi-Manager hat eine Doppelfunktion. Sander ist General Manager Ford Model e in Europa und gleichzeitig Vorsitzender der deutschen Geschäftsführung in Köln. Seine Hauptaufgabe: die Elektrifizierung der Modellpalette voranzutreiben.
Auf dem Weg dieser Transformation wirft Ford jede Menge Ballast ab. Dazu gehören für die Amerikaner fast alle bisherigen Verbrenner-Pkw. Die neuen Pkw werden nur noch vollelektrisch angetrieben. Die unrentablen kleinen Modelle müssen als Erste von Bord. Auch im Stil schwenkt Ford radikal um: Das Unternehmen will und kann es sich nicht mehr leisten, in jeder europäischen Nische mitzumischen. "Wir sind in Europa unter den Großen eher ein Kleiner und können nicht alles parallel entwickeln", sagt Sander.Ford-CEO Jim Farley akzeptiert dafür in Europa eine dauerhafte Schrumpfung der Verkaufszahlen und des Marktanteils. Tausende Mitarbeiter werden wegen des geringeren Produktionsvolumens nicht mehr benötigt.
Zu den größten Verlierern der Neuaufstellung in Europa gehört das traditionsreiche Werk in Saarlouis. Es wird nach dem Auslaufen der Focus-Fertigung 2025 aufgegeben. "Die Kapazitäten unserer Werke in Köln, Valencia und Craiova für die Pkw-Fertigung decken unseren Bedarf für Europa", sagt Sander.
In Saarlouis stehe man mit allen Beteiligten in intensiven Gesprächen, um Arbeitsplätze zu sichern. Autohersteller haben sich in den vergangenen Monaten den Standort im Saarland angeschaut. Im Dezember nannte Sander die Zahl von 15 potenziellen Investoren, die schon zu Besuch waren. Doch einen Abschluss gibt es nicht. Das Land erhält in diesem Jahr Zugriff – per Kaufvertrag. Der nächste Investor kann, muss aber nicht zwangsläufig aus der Autoindustrie kommen.
Auch die Händler erwartet eine deutliche Umstellung. Weniger Volumen heißt weniger Geschäft. Ford muss viel Überzeugungsarbeit leisten und hat 2022 insgesamt 27 Veranstaltungen mit den Partnern durchgezogen. Das bedeutet auch, dass Ford sein flächendeckendes Händlernetz stark verkleinern wird. Das Handelsgeschäft in Europa wird nach und nach auf das Agenturmodell umgestellt. In Deutschland beginnt das 2025, die Niederlande sollen bereits 2024 starten.
Fords Strategiechef Jörg Ullrich sagte Ende Oktober auf dem Automobilwoche Kongress, dass ein Einheitspreis für jedes Modell das System deutlich vereinfachen werde. Und das Agenturmodell senke die Kosten. Dazu müsse man etwa die Flächen im Handel zurückschrauben und das Standortnetz verkleinern. Deutschland-Chef Sander nennt beim Thema Händlernetz keine Zielvorgaben, sagt aber: "Für uns ist entscheidend, dass unser Netz langfristig profitabel ist. Die notwendigen Anpassungen dazu werden wir nicht per Hauruck-Methode umsetzen, sondern uns dafür fünf bis acht Jahre Zeit geben."