Herr Popp, wann erwarten Sie das Ende der Halbleiterkrise?
Der kurzfristige Krisenmodus ist längst vorbei. Wir bewegen uns in einer neuen Wirklichkeit, in einem ganz erheblich veränderten Markt- und Angebotsumfeld, auf das wir uns einstellen müssen. Die direkten Auswirkungen, beispielsweise die Einbrüche in der Produktion aufgrund der Covid-Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns oder die Naturkatastrophen und die dadurch ausgelösten akuten Einschränkungen, sind vorbei. Allerdings dauern die Nachwirkungen dieser Krisen weiter an. Lieferketten sind leergefahren worden und Produktionsverbünde durch Schnellproduktionen belastet worden. Noch ist nicht wieder der Normalzustand bei allen für die Automobilindustrie relevanten Chipfamilien erreicht. Zudem befinden sich die neu geplanten Halbleiterfertigungsanlagen noch im Aufbau. 2022 hatten wir deswegen, trotz leichter Besserung der Gesamtsituation, noch Lieferrückstände und deutlich verlängerte Lieferzeiten für Halbleiter.
Und wann wird es wieder eine Art Normalität geben?
Nach Gesprächen mit den Chipherstellern erwarten wir bei einigen der für uns relevanten Halbleiterfamilien eine nachhaltige Beruhigung der Lage nicht vor dem Jahr 2025. Vorher werden wir mit partiellen Engpässen leben müssen.
Wie sieht die neue Normalität aus?
Das ist ein Umfeld, in dem nicht mehr die Nachfrage der Endkunden, sondern das externe Umfeld in Form der verfügbaren Kapazitäten der Halbleiterindustrie die Produktion bestimmt. Alle Akteure, vom Fahrzeughersteller über die Tier-1-Zulieferer, die Elektronikhersteller bis hin zum Halbleiterhersteller müssen gemeinsam einen langfristigen strategischen Ansatz entwickeln.
Was bedeutet das?
Weg von eher kurzfristigen Aktionen, hin zu einem langfristigen proaktiven Vorbeugen bei potenziellen Engpässen. Aufgrund dieses Wechsels darf es kein Zurück zum Vorher geben. Der Grund dafür liegt primär im technologischen Wandel. Megatrends wie autonomes Fahren, E-Mobilität, Telematik oder Konnektivität führen dazu, dass der Elektronikanteil in den Fahrzeugen massiv zunimmt. Dadurch wird die Nachfrage nach Halbleitern in der Automobilindustrie unabhängig von der Fahrzeugproduktion rasant ansteigen. Es gilt heute schon die Weichen zu stellen, um uns vor künftigen Engpässen zu schützen und die richtigen Technologien für die Automobilindustrie zur Verfügung zu stellen. Seit den 1980er Jahren, als die ersten Halbleiter im Motormanagement von Fahrzeugen eingesetzt wurden, ist die Chipnachfrage massiv angewachsen. Wir sehen eine Nachfrage-Explosion, die sich von der Automobilproduktion entkoppelt hat. Die Treiber waren vor allem neue elektronische Features im Bereich Vernetzung oder automatisiertes Fahren.
Welche Entwicklung erwarten Sie?
Noch vor wenigen Jahren lag der Anteil der Automobilindustrie an der gesamten Halbleiterproduktion bei weniger als zehn Prozent. 2026 wird Studien zufolge unsere Industrie das zweitgrößte Halbleitersegment stellen. Danach wird nur noch Wireless Communication größer sein. Wir gehen derzeit von einem jährlichen Wachstum von zwölf Prozent durch die Automobilelektronik in der Halbleiternachfrage aus. Alle anderen Industrien, inklusive Mobile Kommunikation, erreichen zusammen ein durchschnittliches Wachstum von drei Prozent. In der Vergangenheit hat die Automobilindustrie eher mit ausgereiften, man kann auch sagen älteren Technologien gearbeitet. Im Gegensatz zur Mobilfunk- oder Telekommunikationsbranche wird die Automobilindustrie auch 2026 noch weitestgehend mit Strukturen größer 55 Nanometer arbeiten. Den Schwerpunkt bilden Strukturen größer 100 Nanometer.