Wie neue Verfahren für nachhaltigen Stahl sorgen

Er ist Kernbestandteil fast jedes heute gebauten Autos und gleichzeitig der größte CO2-Emittent innerhalb der gesamten Lieferkette: Stahl. Bei allen Autoherstellern weltweit gehört die Suche nach umweltschonenderem oder künftig gar CO2-neutral produziertem Stahl zu den Kernauf­gaben jeder Einkaufsabteilung. Dabei steht die Branche inmitten einer Entwicklung, wie die Automobilwoche in einem großen Report zeigt.

Ford beispielsweise wurde für seine europä­ischen Standorte bei Tata Steel in den Niederlanden fündig. Der indische Konzern betreibt in IJmuiden an der Nordsee eines der größten Stahlwerke Europas. Für Ford und auch den Stoßdämpferhersteller Bilstein liefert Tata Steel seit diesem Jahr Stahl der Sorte Zeremis Carbon Lite, der wahlweise 30, 70 oder sogar 100 Prozent weniger CO2 bei der Produktion emittiert.

Wilfred Geerlings, Senior Manager Commercial Sustainable Development bei Tata, sagt: „Es muss ungefähr 2015 oder 2016 gewesen sein, als uns Kunden erstmals auf die Produk­tion von CO2-ärmerem Stahl angesprochen haben. Es brauchte wohl einen Weckruf für die Branche. Rückblickend fragen wir uns natürlich, ob wir in der Stahlproduktion nicht sogar etwas spät dran waren. Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie ist ja nicht erst 2015 aufgekommen.“

Die Antwort von Tata auf diese zunehmenden Kundenanfragen lautet Zeremis. „Dies ist die Marke, die wir für unsere Reise in die CO2-Neutralität im Jahr 2045 neu ent­wickelt haben“, sagt Geerlings. Der Konzern plant dafür im Werk IJmuiden in drei Schritten, die im sogenannten STAR-Maßnahmenpaket (steht für Strategic Asset Roadmap) zusammengefasst sind.

Der CO2-arm produzierte Stahl aus den Niederlanden soll das ­Europa-Geschäft in den kommenden sieben Jahren dominieren. Bis 2030 will Tata seine Hochöfen im in IJmuiden durch Direktreduk­tionsanlagen ersetzt haben. Hier wird Stahl anders als in heutigen Hochöfen ohne Koks­kohle erzeugt. In Hochöfen wird Eisen geschmolzen und per ­Abstich unten abgelassen. In der Direktreduktion hingegen ist das Eisen nie flüssig. Die ­Direktreduktionsanlage ist dabei wie ein gewaltiger Ofenschacht aufgebaut. Oben wird Eisenerz eingefüllt, gleich­zeitig strömen Kohlenmonoxid und Wasserstoff den Ofen ­hinauf. Das Gas entzieht dem Eisen die Sauerstoffatome. Das daraus entstehende reduzierte Eisen wird dem Ofen unten entnommen und anschließend im Stahlwerk zu Stahl legiert.

In einer Übergangsphase zwischen 2030 und 2045 kann dem Wasserstoff laut Geerlings auch noch Erdgas für die Direktreduk­tion beigemischt werden. „Wir sind in der Lage, das immer wieder je nach Verfügbarkeiten anzupassen“, sagt der Manager. Das Direktreduktionsverfahren an sich ist nicht neu, wurde bisher aber nur dort eingesetzt, wo ausreichend Erdgas für das energieintensive Verfahren verfügbar war. Etwa im arabischen Raum, in Russland und Nordamerika.

In Deutschland ­betreibt ArcelorMittal in seinem Werk im Hamburger Hafen eine Direktreduktionsanlage. Für die Automobilindustrie ­bedeutet dieses neue, grünere Herstellungsverfahren in jedem Fall höhere Kosten. Denn allein der Umbau des Tata-Stahlwerks in IJmuiden geht in die Milliarden. In der Stahlindustrie wird pauschal so gerechnet: Je eine Million Tonnen Roheisenkapazität im Hochofen fallen etwa eine Milliarde Euro Umbaukosten für das Reduktionsverfahren an.

Ein erstes Entwicklungspaket für die wasserstoffbasierte Stahl­erzeugung im niederländischen Werk belief sich bereits auf 65 Millionen Euro. Summen, die Stahlproduzenten wie Tata an die Fahrzeughersteller weitergeben. Immerhin profitieren die Autobauer von einer deutlich CO2-­ärmeren Lieferkette in der Produktion. Geerlings: „Die Akzeptanz dafür in der Branche wird sich ­einstellen. Grüner Stahl ist teurer als grauer Stahl, das ist schon jetzt ­jedem klar.“

Nicht nur das Tata-Stahlwerk in den Niederlanden beliefert die Branche mit CO2-arm gefertigtem Stahl. Für seine Elektrofahrzeuge der Neuen Klasse schloss BMW einen Vertrag mit dem schwedischen Stahlproduzenten H2 Green Steel aus Norrbotten im Norden des skandinavischen Landes. Das ­Unternehmen wird für die Produktion der neuen BMW-Fahrzeuge Stahl mit 95 Prozent weniger CO2-Emissionen als bisher liefern.

Die dafür benötigte Energie wird ausschließlich aus Wasserstoff und erneuerbaren Energien gewonnen. Zwischen BMW und den Schweden besteht ­zudem ein geschlossener Materialkreislauf. Das bedeutet: H2 Green Steel nimmt Stahlreste aus der Produktion ­direkt von BMW zurück und bereitet sie so auf, dass sie als neue Stahl-Coils wieder an die Produktionswerke der Neuen Klasse in (zunächst) München und ­Debrecen geliefert werden. Dies reduziert laut BMW die CO2-Emissionen um 50 bis 80 Prozent gegenüber dem Primärmaterial. Ein weiterer Materialkreislauf besteht zwischen dem Stahlwerk im niedersächsischen Salzgitter und dem BMW-Werk in Leipzig. Die Presswerke von BMW in Europa ver­arbeiten nach Herstellerangaben pro Jahr mehr als eine halbe Million Tonnen Stahl.

Zudem forscht BMW selbst in einem Konsortialprojekt an neuen Stahlsorten, bei deren Herstellung weniger CO2-Emissionen entstehen. Im Rahmen des Projekts „Future Sustainable Car Materials“ arbeiten Experten von BMW und dem deutschen Stahlgiganten Thyssenkrupp an potenziellen neuen Stahl- und Aluminiumsorten, die leichter und gleichzeitig haltbarer sind, höhere ­Sekundärrohstoff-Anteile enthalten oder leichter zu demontieren sind, um die ­Recycling-Potenziale zu erhöhen. Das Bundeswirtschaftsministerium ­fördert das Projekt. Erste Ergebnisse soll es in zwei Jahren geben.

Die Stahlproduktion der Zukunft soll für die Autoindustrie jedoch nicht nur grün, sondern auch weitaus automatisierter ablaufen als heute. Gegenwärtig hat Tata Steel rund 65.000 Beschäftigte – künftig werden es wohl weniger sein. David Busstra, bei Tata verantwortlich für Marketing Sustaina­bility & Digitalisation Automotive: „Die Automatisierung der Werke wird ein großes Thema der Zukunft werden. Es gibt bei der Stahlproduktion nun mal Bereiche, in denen es ­sicherer ist, wenn keine Menschen darin tätig sind. Natürlich werden wir immer Menschen brauchen, die Systeme überwachen und Kontakt zu den Kunden halten, aber der Automatisierungsgrad bei der Stahlerzeugung wird zunehmen.“

Einen weiteren Trend in der Stahlindustrie sieht Tata im sich dem Nachhaltigkeitsgedanken ­anpassenden Fahrzeugdesign. „Das Thema ‚Design for Circularity‘ wird immer wichtiger“, sagt Geerlings. Das bedeutet, bestimmte Stahl­sorten und daraus gestanzte Bleche für Fahrzeuge gleich unter dem ­Aspekt einer besseren Recycling-Tauglichkeit zu entwickeln und für die einfachere Demontage des Fahrzeugs im Produktkreislauf zu verbauen. BMW und Thyssenkrupp sind da schon dran.

Aus dem Datencenter:

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