Herr Göttel, Ihr Restrukturierungsvorstand Michael Baur hat Benteler verlassen und die Finanzierung des Unternehmens ist vorzeitig bis 2028 gesichert. An welchen Baustellen arbeiten Sie noch?
Erstmal freuen wir uns über die Refinanzierung, die uns knapp zwei Jahre früher gelungen ist als ursprünglich geplant. Und damit über das formelle Ende der Restrukturierung. All dies bestätigt unsere erfolgreiche Strategie. Dennoch: Wir wollen und müssen uns kontinuierlich weiter verbessern. Wir sehen nach wie vor große Veränderungen in unserer Branche. Sei es die Transformation zur E-Mobilität oder die Verlagerung von Produktionsstätten unserer Kunden. Wir müssen daher immer wieder Akzente setzen, sowohl intern als auch am Markt. Um mit unseren Produkten und Serviceangeboten Mobilität sicherer und nachhaltiger zu machen. Es wird uns also auch jetzt nicht langweilig.
Was waren die Treiber für den Restrukturierungsprozess?
Eine Kombination mehrerer Faktoren. Zum einen das Vertrauen, das Investoren in uns gewonnen haben, weil wir drei Jahre hintereinander unsere Ziele erreicht beziehungsweise sogar übererfüllt haben. Zum anderen die Einschätzung unserer Kunden und der Finanzierer, dass unsere Produkte, unsere Prozesse sowie unser breiter internationaler Footprint absolut zukunftsfähig sind.
Was meinen Sie damit genau?
Unser Produktportfolio bedient die Bereiche Mobilität, Industrie und Energie gleichermaßen – damit sind wir optimal aufgestellt in einem dynamischen Marktumfeld. Darüber hinaus arbeiten wir mit nachhaltigen Materialien, die sich für die Kreislaufwirtschaft eignen. Und wir haben unseren Stahl-Rohr-Bereich. Dieser hat sich extrem gut entwickelt und trägt rund 20 Prozent zum Umsatz bei.
Wie entwickelt sich das laufende Geschäftsjahr?
Wir werden im Rahmen unserer Prognosen bleiben und wieder ein gutes Jahr abliefern. Ich rechne allerdings nicht damit, dass sich im zweiten Halbjahr die Situation am Markt grundsätzlich verbessert. Wir sehen eher, dass sich die Konjunktur und die Volumen leicht eintrüben aufgrund der bekannten Themenfelder rund um Inflation und Rezession. Durch unser Portfolio und unsere Strategie sind wir aber balanciert aufgestellt. Das heißt konkret: Wir hängen nicht von einem einzelnen Markt ab. Hier zahlt sich aus, dass wir mit unseren Produkten in E-Autos ebenso wie in konventionell angetriebenen Fahrzeugen vertreten sind. Wir sind zu 90 Prozent antriebsunabhängig.
Denken Sie über Zukäufe nach?
Mittelfristig sind keine M&A-Aktivitäten geplant. Wir sind global wettbewerbsfähig aufgestellt, benötigen Akquisitionen also weder für eine Internationalisierung noch für eine Technologieanreicherung. Wir sehen aber, dass sich die Automobilbranche langfristig neu sortieren muss. Und da sind wir natürlich offen für sinnvolle Lösungen.
Meinen Sie Konsolidierungen?
Ja. In den vergangenen Jahren gab es Zusammenschlüsse von Automobilzulieferern zu größeren Konzernen. Das wird auch in Zukunft der Fall sein. Die Geschäftsmodelle in der Branche verändern sich. In der Vergangenheit ließen sich beispielsweise Kostenthemen dank eines allgemeinen Marktwachstums und moderater Inflation kompensieren. Heute gibt es nicht mehr die Möglichkeit, Inflation durch Produktivität auszugleichen. Das heißt, die Zuliefererwelt muss das umsetzen, was ihre Automobilkunden bereits gemacht haben, nämlich einen Teil dieser Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben. Andernfalls geht das zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit. Benteler ist an 87 Standorten in 26 Ländern vertreten. Diese Internationalität ist wichtig, denn häufig lässt sich ein Muster beobachten, wenn Zulieferer in die Insolvenz gehen.
Wie sieht das aus?
Die Unternehmen sind vergleichsweise klein und meistens auf eine Region spezialisiert – vorzugsweise Europa. Für solche Zulieferer wird es zunehmend herausfordernder. Sie haben Schwierigkeiten, zu internationalisieren und den wachsenden Nachhaltigkeitsanforderungen nachzukommen. Das Ganze wird flankiert von steigenden Zinsen. Für viele Firmen ist der Zugang zu Kapital anspruchsvoller geworden. Diese Unternehmen müssen sich zusammenschließen. Um als Branche die Transformations- und Innovationsherausforderungen zu bewältigen, muss es also eine stärkere Zusammenarbeit geben.
Ist Benteler auf Partnersuche?
Mit der neuen Marke Holon verfügen wir über eine fantastische Marktopportunität. Holon beschäftigt sich mit vollelektrischen und autonom fahrenden Movern. Vor 20 Jahren hätten wir als Unternehmen vielleicht noch versucht, das Thema alleine umzusetzen. Doch heute geht es nicht nur um Innovationskraft, sondern auch um Geschwindigkeit. Mit großen Partnern kommen wir gemeinsam viel schneller voran. Wir sind also offen für Partnerschaften und Beteiligungen in jeder Form.
ZF sucht Investoren für sein People-Mover-Geschäft. Wäre das nicht ein guter Partner für Sie?
Das ist sicher eine Option, die bei einem Blick von außen ins Auge springt. Wir haben dazu aber keine Pläne oder gar konkrete Verhandlungen geführt.
Sie hatten angekündigt, in Wachstumsmärkte, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Innovationen investieren zu wollen. Was sind die nächsten Schritte?
Im Fokus steht der gesamte Bereich der E-Mobilität, beispielsweise in Form von sicherheitsrelevanten, leichten Bauteilen wie unseren Batteriewannen. Für einen großen deutschen Kunden haben wir jetzt zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre unser Werk im bayerischen Schwandorf vergrößert. Wir werden diese Marktpotenziale weiter nutzen und projektieren Produkte für die E-Mobilität beispielsweise auch in Amerika. Dort haben wir große Aufträge gewonnen und setzen Akzente bei der Erschließung neuer Produktfelder.
Sie plädieren dafür, die Zulieferindustrie in ein Modell zu überführen, bei dem man sich mit den Kunden jährlich über die großen Kostentreiber verständigt, wie das bereits in Südamerika der Fall ist. Erkennen Sie dafür eine Bereitschaft?
In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres war dafür eine gewisse Grundakzeptanz vorhanden. Es gibt einige Kunden, die interessanterweise international auch sehr erfolgreich sind, bei denen dieses Verständnis weiterhin zu sehen ist. Allgemein beobachten wir in diesem Jahr aber eher wieder einen Rückschritt. Das hängt wahrscheinlich auch mit dem Ergebnisdruck zusammen, unter dem die Fahrzeughersteller stehen.
Wie hat sich die Stabilität ihrer Lieferkette entwickelt?
Wir haben nach wie vor einige gefährdete Lieferanten. Die Schwierigkeiten dieser Unternehmen sind vor allem auf die gestiegenen Kapitalmarktkosten zurückzuführen. Einige der Firmen haben sich hoch verschuldet und sehen sich jetzt mit Zinssteigerungen konfrontiert. Einige agieren lokal begrenzt zum Teil nur mit einem oder zwei Kunden. Speziell in Deutschland funktioniert ein solches Geschäftsmodell nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren.
Welche Unternehmen sind vor allem von den hohen Kapitalkosten betroffen?
Das Problem mit hohen Kapitalkosten betrifft kleine Firmen sowie vor allem Unternehmen, die derzeit nicht als ‚risikoarm‘ erachtet werden. Da spielen Aspekte wie Präsenz in der E-Mobilität oder eine internationale Ausrichtung eine Rolle. In der Regel haben die Risikovorstände sowohl bei den Fahrzeugherstellern wie auch bei Banken ein Gefühl dafür, welches Unternehmen mittelfristig überlebensfähig ist und welches weniger. Eine komplette Transformation wird deshalb so anstrengend und teuer für die Unternehmen, dass nicht jeder Zulieferer die Substanz hat, das durchzustehen. Bei Benteler sind wir hier im Vorteil. Wie erwähnt erwirtschaften wir rund 90 Prozent unseres Automotive-Umsatzes mit antriebs- und technologieoffenen Produkten; darüber hinaus sind wir weltweit vertreten.
Müssten Weichenstellungen von Seiten der Politik erfolgen, um die Situation für den Standort Deutschland zu verbessern?
Grundsätzlich sind stabile Rahmenbedingungen immer hilfreich. Unsere Branche hat in den vergangenen Jahren besonders das Thema Mitarbeiter beschäftigt. Sowohl was deren Verfügbarkeit betrifft als auch die Qualifikation. Speziell Arbeitsplätze in der Fertigung haben nicht mehr die gleiche Attraktivität wie noch in den vergangenen Jahren. Deshalb setzen wir bei Benteler stark auf das Thema Ausbildung.
Fehlendes Personal oder eine hohe Fluktuation gehören im Übrigen auch zu den größten Ausfallgründen in den Lieferketten. Das ist in Amerika der Fall, aber mittlerweile auch in Osteuropa, wo Vollbeschäftigung herrscht. Darüber hinaus ist natürlich auch das Thema Energie eine Herausforderung für uns.
Können Sie das konkretisieren?
Ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes, das sich nicht auf eine mittel- und langfristige Energieplanbarkeit verlassen kann, hat ein Problem. Kein Unternehmen kann das für sich alleine lösen. Das Thema Energie muss als gesellschaftliche Herausforderung gesehen werden.
Dazu aus dem Datencenter: