Stellantis verliert Überblick bei Agentureinführung

Jüngst besuchte Stellantis-Chef Carlos Tavares gemeinsam mit dem Europa-Verantwortlichen Uwe Hochgeschurtz einen niederländischen Händler. Die beiden informierten sich vor Ort über die Umstellung auf das Agentursystem, das in den Beneluxstaaten sowie in Österreich Anfang September eingeführt wurde.

Am Rechner konnte Tavares dann die Systeme selbst testen. Zunächst wurde es im Raum ganz ruhig, dann richtig laut. Denn es lief nichts. Gar nichts. Tavares entschuldigte sich bei den Vertriebspartnern. Laut Händler habe er vom tatsächlichen Zustand nichts gewusst. Sonst hätte der Konzern die Umstellung wohl verschoben.

"Die ersten Wochen im neuen System waren ein riesiges Chaos. Es funktioniert einfach gar nichts", sagte ein Partner aus Österreich der Automobilwoche. "Jeder normale Unternehmer hätte den Einführungstermin nach hinten verschoben. Jetzt wird fieberhaft versucht, die Probleme im laufenden Betrieb zu lösen."

Nach Einschätzung der Partner hätten viele Problem vermieden werden können. Aber der Hersteller setzte die Umstellung in Eigenregie um. Ohne Expertise der Händler. Während Wettbewerber aufgrund der Komplexität in vergleichsweise kleinen Schritten vorangingen, arbeitete Stellantis gleich am großen Wurf.

Ziel war ein europaweit einheitlicher Ansatz und zugleich die Einführung neuer IT-Systeme. Das Ergebnis: Jedes IT-System einzeln funktioniert, zusammen passt es nicht. Ein Händler kritisiert: "Stellantis hat die Systeme wohl nur einzeln getestet, aber nicht im Zusammenspiel."

Stellantis Austria äußerte sich auf eine Anfrage der Automobilwoche nur schriftlich. Statt Antworten auf konkrete Fragen schickte der Hersteller eine allgemein gehaltene Einschätzung und den Verweis auf eine Branchenveranstaltung. "Wir sind noch nicht dort, wo alles perfekt funktioniert, wir haben eine riesige Umstellung zu bewältigen", so Österreich-Chef Markus Wildeis. "Es geht hier um jahrzehntelang gelernte Prozesse, die angepasst werden müssen."

Dagegen werden die Vertriebspartner konkreter. Nach ihrer Einschätzung hat Stellantis den Überblick völlig verloren. Das gilt sowohl für das Netz als auch für das Alltagsgeschäft.

Einige Beispiele:

• Ein vom Hersteller beauftragter Dienstleister spricht Servicepartner auf fehlende Unterschriften im Zusammenhang mit dem Retailer-Vertrag an. Dabei hat der Partner seinen Vertriebsvertrag verloren.
• Ein Servicebetrieb hat Kennzeichen und Zulassungsscheine für mehr als zehn Fahrzeuge erhalten, obwohl er als Werkstatt keine bekommt. Das war vor Monaten. Er hat seither nicht reagiert, Stellantis auch nicht.
• Ein Handelsbetrieb hat im Vorfeld der Umstellung die Kennzeichen und Zulassungsscheine für mehr als 30 Fahrzeuge erhalten. Aber die Fahrzeuge sind nie angekommen und werden mittlerweile seit Juli vermisst.

Damit ist das eingetroffen, wovor die Stellantis-Partner seit Monaten warnten. Mehr noch: Während Mercedes zur Agentureinführung in Deutschland Hunderte Stellen aufbaute, hat Stellantis in Österreich sein Team verkleinert. Laut Händlern wurden im ersten Halbjahr 40 Stellen gestrichen.

Damit ging auch Knowhow verloren. "Es gibt einfach keine Ansprechpartner mehr, wir können niemanden fragen", sagt ein Partner resigniert. Nach dem katastrophalen Agenturstart werden 30 neue Mitarbeiter gesucht.

Auch die Zahl der Vertriebspartner hat Stellantis im Rahmen der Umstellung zusammengestrichen. Jeder vierte Händler erhielt keinen Agenturvertrag. Laut Hersteller gibt es derzeit noch 343 Retailer in Österreich. Anfang September jubelte der Konzern, dass in zehn europäischen Ländern mehr als 8000 Vertriebsmandate unterzeichnet worden seien.

Doch die Realität sieht anders aus: Die bereits mehrfach verschobene Einführung des Agenturmodells für Nutzfahrzeuge und die Premiummarken wurde erneut vertagt. Mittlerweile will man Europa nicht mehr in einem Zuge umstellen, sondern schrittweise.

Für Deutschland ist nunmehr die Einführung für den 1. April 2024 geplant. Doch laut Händlern dürfte auch der Termin nicht zu halten sein. Ein Grund: Die Verträge sind noch nicht fertig. Hersteller und Händler verhandeln noch.

Aus dem Datencenter:

Zeitplan von Stellantis für das Agenturmodell in Deutschland 2021 bis 2027

Stellantis-Vertriebsnetz in Deutschland

Anzahl der Haupthändler von Stellantis in Europa