Ökobilanz-Studie schlägt hohe Wellen

Automobil- und Batterieexperten in Deutschland diskutieren kontrovers über die Mitte Dezember veröffentlichte Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zur Ökobilanz von E-Autos (die Automobilwoche berichtete). Im Kern geht es dabei um die Frage, ob sich der VDI voreingenommen zeigt gegenüber der E-Mobiltiät und im Gegenzug unrealistisch positive Annahmen macht bei den Emissionen von Verbrennerfahrzeugen.

In seiner Studie "Wann wird Autofahren grün" kommt der VDI zu dem Ergebnis, dass E-Autos und Plug-in-Hybride insgesamt den geringsten "CO2-Rucksack" erzeugen. Allerdings müssen sie dafür sehr viele Kilometer fahren: Reine Stromer sind erst dann klimaschonender als Verbrennerautos, wenn sie mindestens 65.000 Kilometer hinter sich haben.

Dies setzt zudem voraus, dass das Fahrzeug mit Ökostrom geladen wird. Wird es hingegen mit dem üblichen Energiemix geladen, also auch mit Kohlestrom, so steigt diese Schwelle laut VDI sogar auf mehr als 90.000 Kilometer.

Durchgeführt wurde die Studie vom interdisziplinären Expertengremium "Antriebe" des VDI-Fachbereichs Kraftfahrzeugtechnik in der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik, unterstützt wurde sie durch das Karlsruhe Institute of Technologie (KIT).

Belastend für die CO2-Bilanz des E-Autos ist vor allem die energieintensive Produktion der Batterien in Asien und der Betrieb der Elektrofahrzeuge mit einem Strom-Mix, in dem auch fossile Energieträger eine größere Rolle spielen. Deshalb rechnet sich aus Umweltsicht laut VDI ein E-Auto erst auf lange Sicht - frühestens eben ab 65.000 Kilometern.

Bereits 2020 hatte der VDI eine ähnliche Studie angestellt, damals war er aber noch optimistischer gewesen in Bezug auf die Ökobilanz der Stromer. In der neuen Studie werden nun auch Plug-in-Hybride mit Verbrennermotor berücksichtigt, nicht mehr jedoch Fahrzeuge mit Brennstoffzelle. Dieser Effekt zahlt ebenfalls auf das Öko-Konto der Stromer ein.

Die eher kritische Sicht des VDI auf das E-Auto teilen viele Fachleute aus der Autobranche jedoch nicht. Sie kritisieren dabei weniger die Berechnungen an sich, sondern die grundlegenden Annahmen der Autoren.

Zunächst einmal rechnet die VDI-Studie bei der Berechnung der Emissionen für die Batterien mit einem Wert von 105 kg CO2 pro kWh. Dies halten die Kritiker für deutlich überhöht. Die meisten bisherigen Studien rechnen dafür bislang mit Werten zwischen 61 und 106 kg/CO2 pro kWh.

Die VDI-Studie legt somit eine der höchsten CO2-Belastungen bei der Batterieproduktion zugrunde, die bislang theoretisch errechnet wurde. Zudem bleibt für viele Batterie-Experten unberücksichtigt, dass die Batterie-Forschung nahezu im Monatsrhythmus Fortschritte macht und die Fertigung der Akkus deutlich energie-sparsamer geworden ist im Vergleich zu 2020, als der VDI seine erste Studie dazu veröffentlichte.

Auf der anderen Seite halten viele Experten die vom VDI genutzten Verbrauchs-Werte für die für den Vergleich herangezogenen kompakten Verbrennerfahrzeuge für zu optimistisch. So wird für einen VW Golf 2.0 TDI mit Dieselmotor ein Verbrauch von 3,6 Litern auf 100 Kilometern angenommen.

Ein weiterer Punkt der Kritiker betrifft den zugrunde gelegten Strom-Mix. So verwendet die VDI-Studie dabei den sogenannten "Marginal-Mix." Danach nimmt der Anteil des Kohlestroms am Gesamtstromangebot zu, je mehr E-Autos an die Ladesäule fahren.

Der VDI rechnet vor diesem Hintergrund in Deutschland mit einer CO2-Belastung pro erzeugtem Kilowatt Strom von 750 Gramm. 2022 lag dieser Wert allerdings nur bei 498 Gramm CO2/kWh, 2023 nach jüngsten Angaben bei 370 g CO2-/kWh.

Der wachsende Anteil von fossiler Energie bei insgesamt steigendem Stromverbrauch ist ein nicht zu leugnender Effekt, der allerdings auf alle Stromverbraucher zutrifft, nicht nur auf E-Autos. In Zeiten mit geringer industrieller Produktion, etwa während der Weihnachts-Urlaubszeit, nimmt der Anteil regenerativer Energien am Strommix stets zu. So kam es am 25. Dezember in Deutschland sogar zu einer längeren Phase negativer Strompreise, weil die regenerativen Energien (Wind, Sonne, Wasserkraft) bis zu 124 Prozent des Strombedarfs deckten.

Kritiker der Marginal-Mix-Betrachtung sehen allerdings einen ganz anderen Effekt der E-Autos auf die Zusammensetzung des Strom-Mixes. Für die Besitzer von E-Autos sei es schließlich lohnend, ihr Fahrzeug in nachfragearmen Zeiten zu laden, was dann überwiegend mit regenerativer Energie geschehe. Somit sorge der E-Auto-Bestand sogar im Gegenteil dafür, den Anteil des CO2-frei erzeugten Stroms zu erhöhen, rechnen sie vor.

Wenn zudem künftig der Anteil von bi-direktional nutzbaren E-Autos noch zunehme, können E-Autos zu einer wichtigen Säule der Energiewende werden. Noch allerdings ist dies regulatorisch in der Regel nicht möglich.

Die VDI-Studie erwähnt - wenn auch nur am Rande - eine Möglichkeit, die Umweltbilanz von E-Autos künftig deutlich zu verbessern: Wenn die Fahrbatterien am Ende der Lebenszeit des Autos in anderen, stationären Anwendungen weiter verwendet werden können, dann wird die Ökobilanz des Gesamtsystems E-Auto deutlich günstiger ausfallen. Neben der Wiederverwertung ist auch ein Recycling der Batterie-Komponeten grundsätzlich positiv für die Umweltbilanz. Zudem, betonen auch die VDI-Autoren, würde es der Umwelt helfen, die Batterien künftig so weit wie möglich in Europa zu produzieren und später auch zu recyceln.

Fest steht somit, dass die VDI-Studie nur einen Zwischenstand beim Ringen zwischen E-Mobilität und Verbrennerwelt darstellt.

Ein knackiges Fazit zu der streibaren und zugleich kritisierbaren VDI-Studie zieht Jan Hegenberg, Gründer des Umwelt-Blogs "Graslutscher.de": "Wenn Batterien viel klimaschädlicher wären als sie sind, der Strommix viel schmutziger wäre als er ist und Verbrenner viel sparsamer gefahren würden als es der Fall ist, dann wären beide Antriebsarten etwa gleich gut."

Aus dem Datencenter:

Entwicklung der reinen Elektroautos in Deutschland bis November 2023