Eine Frage des Kapitals

Mit dem Verkauf seiner Niederlassungen schließt der Mercedes-Konzerne einen Prozess ab, der schon seit vielen Jahren läuft. In Wellen trennte sich das Unternehmen in den vergangenen Jahren von den eigenen Autohäusern. Nach den ausländischen Märkten sollen nun auch die letzten verbliebenen mehr als 60 Standorte in Deutschland an private Investoren gehen. Schon heute gibt es im Osten mit Ausnahme Berlins keine Niederlassungen mehr.

Hinter dem Schritt steckt die strategische Überlegung, das Geld im Unternehmen möglichst sinnvoll einzusetzen. Trotz stattlicher Gewinne ist auch im Mercedes-Konzern das Kapital nicht unbegrenzt vorhanden. Früher brauchte ein Hersteller eigene Autohäuser, um zumindest auf einen Teil seiner Kunden direkten Zugriff zu haben und den Vertrieb nach deren Bedürfnissen ausrichten zu können. Nicht zuletzt sicherte sich das Unternehmen auf diese Weise wichtige Daten.

Dafür gibt es heute andere Mittel. Über das eingeführte Agentursystem kann die Zentrale in Stuttgart die Preispolitik steuern. Unkontrollierte Rabattschlachten zwischen einzelnen Regionen gehören der Vergangenheit an. Die Händler sind heute weitestgehend an die Kette gelegt, die unternehmerische Freiheit eng begrenzt.

Mit dem digitalen Ökosystem Mercedes me weiß der Vertrieb zudem genau über seine Kundschaft Bescheid, kennt Werkstattzeiten und Ausstattung der Fahrzeuge. Über den Aufbau eines eigenen Ladenetzes kommen weitere Informationen hinzu. So lassen sich in Zukunft passgenau Updates aufspielen oder zusätzliche Funktionen anbieten. Eigene Autohäuser sind dafür nicht mehr nötig.

Die bisher für den Vertrieb aufgewendeten Milliarden steckt der Konzern in Zukunft lieber in die Entwicklung. Dort wird das Geld dringender gebraucht, zumal die Produktivität in den eigenen Autohäusern oft zu wünschen übrig ließ. Die Umstellung auf Elektroantrieb ist aufwendiger als gedacht. Prestigeprojekte wie die elektrische G-Klasse, die zudem noch einen eigenen Bruder erhalten soll, verschlingen Unsummen. Das gleiche gilt für das eigene Betriebssystem MB.OS. Deshalb zieht Konzernchef Ola Källenius nun die Notbremse und verkauft sein Tafelsilber.

Für den Handel kommt die Ankündigung offenbar nicht überraschend. „Viele haben damit gerechnet, dass es weitergeht“, sagt ein Mercedes-Partner der Automobilwoche. Nur das Ausmaß der Reform ist neu. „Wir hätten erwartet, dass die Grenze bei den Metropolen liegt“, so die einhellige Aussage. Schlägt ein Investor zu, dann dürften die Kostenstrukturen die größte Herausforderung sein. Denn die orientieren sich wegen der geltenden Jobgarantie bis 2029 nicht am Autohandel, sondern am großen Konzern.