Herr Wiedmann, welchen Umfang hat das globale Ersatzteil- und Werkstattgeschäft und welche Entwicklung erwarten sie?
Nach Brancheneinschätzungen wird mittelfristig ein globaler Markt von über 500 Milliarden Dollar erwartet. Der Aftermarket zeichnet sich dabei durch ein kontinuierliches Wachstum aus. Während Covid gab es Dip mit Aufholeffekten, wie das bei vielen Industrien der Fall war. Jetzt hat sich die Lage wieder normalisiert.
Haben die freien Werkstätten immer noch einen gewissen Respekt vor der Reparatur von E-Autos?
Ja, denn die Herausforderungen beim E-Fahrzeug sind deutlich komplexer als beim traditionellen Verbrenner. Hinzu kommen die geringeren Stückzahlen. Typischerweise kommen die Technologien erst nach fünf Jahren im Independent Aftermarket an. Jetzt kommen die ersten vollelektrischen E-Autos mit Hochvolttechnik auf den Markt.
Dafür werden nicht nur neue Geräte in der Werkstatt benötigt, sondern bei den Mitarbeitern sind auch andere Skills gefragt. Die Werkstätten müssen also in eine erst langsam hochlaufende E-Mobilität investieren.
Derzeit erleben wir auch, dass viele Fahrzeughersteller längere Garantiezeiten auf vollelektrische Fahrzeuge geben, insbesondere wegen der Skepsis der Autofahrer gegenüber der Batterie. Insofern wird der Konsument tendenziell länger die Marken-Werkstatt besuchen, bevor er in den unabhängigen Ersatzteilmarkt geht.
Welche Themen beschäftigen Ihre Branche derzeit?
Die geopolitische Lage ist für die ganze Industrie sehr schwierig. Insbesondere die Teileversorgung. Die Elektrifizierung wird den Lieferanten-Footprint eher weiter nach Osteuropa, nach China und Südostasien verschieben. Mit der Folge, dass die Transportzeiten tendenziell weiter ansteigen.
Natürlich kann die Industrie mit einer höheren Lagerhaltung dagegenwirken, aber durch die Elektrifizierung wird auch das Produktportfolio breiter.
Welche Konsequenzen hat das?
Wir müssen mehr Artikel über die verschiedene Lagerstufen und unterschiedliche Spieler hinweg im Sortiment vorhalten. Das hat nicht nur einen negativen Einfluss auf die Kapitalbindung, sondern bindet auch Lagerkapazitäten.
Was hat sich für Hella durch die Zusammenarbeit mit Forvia geändert?
Für uns ist die Zusammenarbeit sehr attraktiv. Als Gruppe können wir verschiedene Kostensynergien erzielen. Davon profitiert auch der Aftermarket-Bereich. Beispielsweise im gemeinsamen Einkauf, auch von indirekten Materialien, aber auch im IT-Bereich.
Die Wettbewerbsfähigkeit ist für uns ein zentrales Thema und wird das auch in Zukunft bleiben. Durch die Forvia-Zusammenarbeit verfügen wir über ein größeres Portfolio, aus dem wir OE-Produkte (Produkte in Erstausrüster-Qualität) anbieten können.
Mit den Abgasanlagen von Faurecia sind wir schon am Markt und gucken uns sukzessive das weitere Produktportfolio an.
In welcher Höhe versprechen Sie sich Synergien?
Ende 2025 streben wir für den gesamten Forvia-Konzern Kostensynergien in Höhe von 350 Millionen Euro an. Davon entfällt etwa die Hälfte auf Hella.
Welchen Anteil hat daran der Aftermarket?
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir dazu keine Angaben machen.
Welche Lösungen bieten Sie beim Thema Vernetzung?
Wir bieten die Ferndiagnose Over-the-Air an. Dieses Thema wird perspektivisch sehr wichtig. Predictive Maintenance wird beispielsweise im Zusammenhang mit Flottenbetreibern an Bedeutung gewinnen, wenn der Zustand des Fahrzeugs kontinuierlich überwacht werden soll.
Dadurch lässt sich der Werkstattbesuch noch viel besser organisieren. Unser Tochterunternehmen Hella Gutmann bietet heute schon diese Diagnose an.
E-Fahrzeuge bringen den Werkstätten nicht das gleiche Umsatzpotenzial wie Verbrenner. Lässt sich das durch Vernetzungslösungen kompensieren?
Wir arbeiten ganz aktiv daran, die E-Mobilität für uns zu nutzen und adressieren diesen Markt entsprechend. Das Produktportfolio bespielen wir schon heute. Bei Hella Gutmann haben wir gemeinsam mit unserem Partner BatteryQuickCheck eine Diagnoselösung entwickelt, um den Gesundheitszustand der Batterie beurteilen zu können.
Dafür gibt es ein TÜV-geprüftes Zertifikat. Mit dem Know-how können wir die Werkstatt entsprechend anleiten, um diese Tests durchführen zu können.
Welchen Umsatz erwarten Sie von solchen Lösungen?
Mit solchen Aussagen bin ich im Moment vorsichtig, weil sich der Markt dafür noch entwickelt. Wir bereiten uns mit unseren Partnern aber darauf vor.
Was bedeutet das?
Beispielsweise diskutieren wir mit unseren Großhändlern, welche Teile in der Zukunft relevant sind und mit den Werkstätten, wie wir sie auf diesem Weg begleiten können. Dass der Markt richtig abhebt, erwarte ich in frühestens fünf Jahren. Das liegt auch daran, dass der Gesamtfahrzeugmarkt erst mit der Technologie durchdrungen werden muss.
Wenn man sich den Fahrzeugpark anschaut, dann muss man sich aber auch darüber im Klaren sein, dass die Verbrenner über die nächsten Jahre und Jahrzehnte einen massiven Anteil behalten werden.
Das ist eine Herausforderung für die Werkstatt, weil sie sowohl die alte Technologie beherrschen und reparieren muss und eben auch die neue, deutlich komplexere Technologie in Angriff nehmen muss.
Wie wichtig sind Fahrerassistenzsysteme für ihr Geschäft?
Höchst attraktiv, weil wir als Forvia Hella das Gesamtpaket anbieten. Wir sind einer der wenigen Zulieferer, die nicht nur die Sensorik anbieten, sondern diese auch kalibrieren können, damit das Gesamtsystem funktioniert. Zudem bieten wir online und in Präsenz die nötigen Schulungen für die Werkstattmitarbeiter. Dieser Gesamtansatz ist extrem wichtig.
Können kleine Werkstätten bei der Transformation noch mithalten?
Für die Werkstätten wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, wo sie daran nicht mehr vorbeikommen. Davon sind viele Betriebe aber noch weit entfernt. Die kleinen Werkstätten werden nur im seltensten Fall, wenn sie wirklich Spezialisten werden wollen, in dem Bereich den Wandel jetzt schon vollziehen.
Ich erwarte das aktuell eher bei Werkstattketten oder über Zusammenschlüsse von mehreren oder größeren Werkstätten. Eine kleine Werkstatt wird noch warten, bis auch ein entsprechender Bedarf vorhanden ist, um sich zusätzliche Geräte anzuschaffen. Es reicht ja nicht, dass einmal pro Woche oder einmal im Monat ein Kunde vorbeikommt und das Gerät zum Einsatz kommt.
Wo kann KI helfen?
Wir greifen heute schon darauf zurück. Bei Hella Gutmann haben wir die automatisierte Diagnose entwickelt. Typischerweise fängt jede Wartung, jede Reparatur mit der Diagnose des Fahrzeugs an.
Anschließend werden verschiedene Prozessschritte durchgespielt, um idealerweise am Ende zu wissen, um welchen Fehler es sich handelt und welche Bauteile benötigt werden. Unsere KI-unterstützte automatisierte Diagnose geht diesen Schritt alleine durch. Dadurch lässt sich viel Zeit sparen und Effizienz gewinnen.
Welche Chancen ergeben sich durch Predictive Maintenance, also vorausschauende Wartung?
Dieser Bereich entwickelt sich immer stärker, weil immer mehr Daten zur Verfügung stehen und mögliche Fehlerbilder früher erkannt werden können. Dem Fahrer kann dann ein Werkstattbesuch vorgeschlagen werden und er kann seine Wunschwerkstatt bestimmen.
Auf diesem Feld werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, um die Fahrer entsprechend zu leiten. Das ist vor allem für Flottenbetreiber interessant. Für den Konsumenten sind andere Lösungen gefragt.
Was meinen Sie damit?
Es geht darum, Vertrauen zu entwickeln. Der Autofahrer muss das Gefühl haben, dass es auch sinnvoll ist, dass ein Teil früher ausgetauscht wird. Es besteht beim Verbraucher eine gewisse Hürde, Geld für einen Teiletausch auszugeben, wenn dieser noch nicht zwingend notwendig ist.
Bekommen Sie von den Autoherstellern Zugang zu den Fahrzeugdaten?
Das Thema beschäftigt uns tatsächlich kontinuierlich. Es gab auch bereits einige Urteile der Gerichte dazu. Bei der Umsetzung gibt es aber aus meiner Sicht noch einiges zu tun. Wir werden sehen, wie das Europaparlament in der nächsten Legislaturperiode agiert.
Wie wieviel Prozent ihres Umsatzes erzielen Sie im Online-Bereich?
Für uns ist das Online-Geschäft ein weiterer Vertriebskanal, der zwar an Bedeutung gewinnt, insgesamt aber noch einen kleinen Bereich von weniger als zehn Prozent ausmacht.
Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?
Ich glaube, wir werden weiter im hohen einstelligen Bereich bleiben. Insbesondere in Märkten, in die wir auch in Zukunft noch stärker investieren wollen.
Können Sie das konkretisieren?
Wir haben immer noch einen sehr starken Europa-Footprint. In anderen Märkten wie Mittel- und Südamerika oder auch in Asien weisen unsere Online-Aktivitäten einen deutlich geringeren Anteil auf.
In welchen Regionen wollen Sie Ihr Ersatzteil- und Werkstattgeschäft ausbauen?
Wir haben Schwerpunkte definiert. Dazu gehören die Americas. In den USA sind wir schon präsent, aber in Mittel- und Südamerika wollen wir stärker wachsen. Hinzu kommt China. Das ist ein sehr großer und komplexer Markt, der anders funktioniert als der europäische.
Wie ist Ihre Umsatzverteilung?
Rund zwei Drittel entfallen auf Europa. Der Rest verteilt sich auf Asien und Amerikas, mit etwas stärkerem Anteil in den Americas.
Welchen Umsatz erreichen Sie im Aftermarket?
Dazu machen wir keine Angaben. Zum Bereich Lifecycle Solutions gehört nicht nur unser Aftermarket-Geschäft, sondern auch Special Original Equipment, wo wir Trucks, Busse und andere Spezialfahrzeuge mit Scheinwerfern und anderen Komponenten bestücken.
Welche Bedeutung hat bei Ihnen die Aufbereitung von Ersatzteilen?
Wir sind bei Bremssätteln aktiv. Das wollen wir auch weiter ausbauen und schauen uns auch andere Produktbereiche an. Das Remanufacturing bildet bei uns aber keinen Schwerpunkt.
Beim Bremsengeschäft ist noch wichtig, dass wir Ende vergangenen Jahres die von TMD Friction gehaltenen 50 Prozent der Anteile am Joint Venture Hella Pagid übernommen haben.
Zum 1. Oktober wird dann die Marke von Hella Pagid in Hella überführt. Das wird uns neue Wachstumsmöglichkeiten bieten, da wir nun das gesamte Bremsgeschäft im Konzern haben.