VW hat Zeit gewonnen – worauf es jetzt ankommt

Beide Seiten haben sich bei VW vor Weihnachten nichts geschenkt. Davon zeugen über 70 Stunden Verhandlungsmarathon im Tarifstreit. Doch was heißt das jetzt für Volkswagen? 

Zuerst einmal: Der VW-Konzern hat im vergangenen Jahr noch einen Reingewinn von gut 18 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 322 Milliarden Euro erzielt. Dieses Jahr dürften es deutlich weniger werden.

Doch VW ist auch 2024 mit Abstand die meistverkaufte Marke in Europa. Die Qualität der Autos, gerade auch der elektrischen ID-Familie, ist zuletzt wieder gestiegen. Es ist nicht alles schlecht in Wolfsburg.

Deswegen ist es gut, dass nun ein klärender Kompromiss heraus kam und die Monate der Selbstbeschäftigung vorbei sind. Kein Kunde möchte gerne das Auto eines Sanierungsfalls kaufen und fahren.

Der Abbau von mehr als 35.000 Arbeitsplätzen bis Ende des Jahrzehnts ist ohne Zweifel ein großer Einschnitt für den Konzern. Gewerkschaft und Betriebsrat verweisen zwar darauf, dass alles sozial verträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen ablaufen wird.

Doch die Zeiten des "volkseigenen Betriebes", wie VW wegen des Einflusses von Politik und IG Metall gerne verspottet wird, sind endgültig vorbei. Auch bei anderen Herstellern und Zulieferern in Deutschland sind Tausende Jobs bedroht.

Beide Seiten bei VW mussten von ihren Maximalforderungen abrücken. Die drängendsten Probleme aus Sicht des Managements konnten jedoch nachhaltig angegangen werden.

Die technischen Kapazitäten in Deutschland sollen dauerhaft um 734.000 Autos im Jahr sinken. Die Arbeits- und Entwicklungskosten werden wettbewerbsfähiger. Die Rentabilität der Stammmarke VW soll wieder steigen, was mehr Geld für Entwicklung und Innovationen freisetzt.

Der Arbeitnehmerseite aus Betriebsrat und IG Metall gelang es wiederum, Massenentlassungen zu verhindern und die zehn VW-Werke in Deutschland zu erhalten. Auch wenn die Standorte in Dresden und Osnabrück nun mit sehr kurzer Halbwertszeit versehen sind.

Außerdem wurde das Instrument des solidarischen Fonds verankert, in den Entgelterhöhungen vorübergehend eingezahlt werden. Im neuen Haustarifvertrag sind die Jobs für 120.000 Beschäftigte bis Ende 2030 garantiert. Und VW hat sich verpflichtet, danach eine Milliarde an die Belegschaft auszuzahlen, wenn es keine Anschlussvereinbarung gibt.

Nun muss sich zeigen, ob das Konzept mittelgroßer Werke in Deutschland mit ziemlichem Modell-Mischmasch funktioniert. Gerade der Fall des groß ausgebauten Elektro-Werks in Zwickau zeigt, wie schnell Wunschplanungen von harter Marktrealität eingeholt werden können.

Europa Autoindustrie läuft schon länger den Trends hinterher. Der Druck chinesischer Hersteller ist immens. Und ab Januar grüßt Donald Trump aus den USA mit möglichen Strafzöllen.  

Die angestammten Hersteller haben keine Wahl: Sie müssen schnell ihre globale Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft verbessern. Sonst wird es hart. Das hat VW-Chef Oliver Blume erkannt.  

Mit seiner persönlichen Intervention im Tarifkonflikt hat er gezeigt, dass er nicht länger abwarten und der Erosion der Marktanteile zuschauen will. Er kann nun endlich die Planungsrunde im Konzern abschließen. Dabei geht es um die Investitionsbudgets für die kommenden fünf Jahre und die Belegung der weltweit mehr als 100 Werke.

VW hat Zeit bekommen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: nämlich innovative und hochwertige Autos zu konkurrenzfähigen Preisen zu bauen. Wie auch die IG Metall feststellt: "Ohne Produkte und Wertschöpfung bringt die beste Beschäftigungssicherung auf Dauer nichts."