Marathon-Mann mit Mitteilungs- und Freiheitsdrang

Aus der Schar der Automotive-Manager ragt Karl-Thomas Neumann heraus. Nicht nur, aber auch, weil der Mann, den viele in der Branche nur KTN nennen ein eifriger Twitterer ist. „Twitter ist für mich ein wichtiger Bestandteil unserer Kommunikation bei Opel. Wir arbeiten kräftig an unserem Image, und ich probiere, mich dort einzubringen“, sagte Neumann, damals noch Opel-Chef, der Automobilwoche. Da hatte er nach zwei Jahren gerade die Zahl von 10.000 Followern übersprungen.

Twitter funktionierte für den promovierten Elektrotechniker schon damals auch gut zur Selbstvermarktung. Er gilt als erfahrener, aber auch eigensinniger Manager, als kompetent und kommunikativ, was er bestens via Twitter zum Ausdruck bringen kann. Etwa wenn der passionierte Marathonläufer ein Foto vom Strand in seiner neuen Heimat Kalifornien postet mit dem Hinweis, nach dem Morgenkaffee gerade acht Kilometer am Meer gelaufen zu sein, wenn er Bilder twittert, die ihn beim Renovieren seines neuen Büros in Los Angeles zeigen – oder wenn er per Kurznachricht die IAA für tot erklärt.

Nicht nur in der Kommunikation ist er vielen anderen Managern voraus. Seit seinem Ausscheiden als Opel-Chef vor rund eineinhalb Jahren nimmt er sich die Freiheit, als Investor und Führungskraft bei von ihm ausgewählten Start-ups aktiv zu sein. Dass er über das nötige Durchhaltevermögen verfügt, hat der hoch gewachsene und hagere 59-Jährige schon bei vielen Langstreckenläufen, unter anderem bei den Marathons in Berlin und New York, bewiesen.

Sein Motto „I love changes“ hat Neumanns ganze Karriere geprägt – wenn auch wohl nicht immer ganz nach seinen Wünschen. Von Motorola kam er zu Volkswagen, wo er nach einander die Elektronikforschung, die Konzernforschung, die konzernweite Elektronikstrategie und die Elektrik-/Elektronik-Entwicklung leitete. Bei Continental war er im Vorstand Chef des Automotive-Geschäfts – und kaufte die Automobil-Sparte von Siemens-VDO hinzu. Damit machte er den Hannoveraner Konzern zum zweitgrößten Zulieferer nach Bosch. Vorstandschef von Continental wurde er dann auch, blieb es aber nur knapp ein Jahr, bevor er im Sommer 2009 wegen Differenzen mit dem neuen Großaktionär Schaeffler hinwarf.

Kurz danach wurde er bei VW Konzernbeauftragter für Elektrotraktion und ging ein knappes Jahr später nach China, um dort das VW-Geschäft zu leiten. Damals wurde er gar als potenzieller Nachfolger von VW-Chef Martin Winterkorn gehandelt. Doch der baute das Management so um, dass KTN Mitte 2012 den China-Job verlor.

Und dann kam Opel: Der gebeutelte Volumenhersteller brauchte dringend einen neuen Chef und fragte bei Neumann an. Und KTN übernahm den Job – nachdem er offenbar lange mit sich gerungen hatte. Ein Jahr später sagte Neumann dem Wirtschaftsmagazin Capital: „Mein erster Gedanke war: Das kann keine Perspektive für mich sein“. Als langjähriger Manager bei Volkswagen und beim Automobilzulieferer Continental habe er gar nicht mehr gewusst, wie es bei Opel zugehe und welche Autos die deutsche Tochter von General Motors baue. „Ganz ehrlich, ich hatte Opel nicht mehr auf dem Radar", so Neumann. Den Chefposten in Rüsselsheim übernahm er im März 2013.

Zu nachhaltigem wirtschaftlichen Erfolg konnte er den Autobauer zwar nicht führen. Aber er hatte unter anderem auch die Brexit-Unsicherheit und den Zusammenbruch des russischen Marktes gegen sich – und das Image der Marke. Ein Händler sagte damals etwa, der Insignia würde sich viel besser verkaufen, wenn er nicht das Opel-Logo trüge. Mit der neuen Marketingchefin Tina Müller, die Neumann von Henkel holte, arbeitete Opel kreativ und intensiv für ein besseres Image. Slogans wie „Umparken im Kopf“ oder „Die Zukunft gehört allen“ und die Zusammenarbeit mit Jürgen Klopp sorgten für Aufsehen.

Trotzdem reichte es nicht, um allein zu überleben. Die Partnerschaft mit und sich anbahnende Übernahme durch PSA sah Neumann zwar auch als gute Lösung. Doch kurz nach der Übernahme gab er den Chefposten bei Opel auf. Der ehemalige Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz sagte der Automobilwoche damals, er habe „schon lange mit Neumanns baldigem Abschied gerechnet, denn eine Persönlichkeit wie er kann schlicht und einfach nicht unter einem PSA-Chef Carlos Tavares arbeiten.“ Für Opel sei Neumanns Abschied „ein riesengroßer Verlust“.

Spekuliert wurde damals, ob Neumann Audi-Chef Rupert Stadler oder als ZF-Chef Stefan Sommer beerben könnte. Doch KTN wurde zum freischaffenden Manager und Investor, zunächst mit Fokus auf Elektromobilität. Schon gegen Ende seiner Chef-Zeit bei Opel hatte er den Plan entwickelt, die Marke zu einem reinen Elektroautomobil-Hersteller zu machen. In einer früheren Phase hatte er noch die Hoffnung geäußert, Opel könnte das 95-Gramm-CO2-Ziel mit möglichst wenig teurer Elektromobilität erreichen. Aber was gestern galt, kann heute schon falsch sein. Im Frühjahr 2016, wenige Monate nach Auffliegen des Diesel-Skandals forderte er, die Branche müsse das Ansehen des Motorenkonzepts wiederherstellen. „Der Diesel ist ein sauberer Motor“, betonte Neumann. Die Erfüllung der schärferen Grenzwerte werde allerdings immer teurer.

Nach dem Ausscheiden bei Opel hat Neumann das Change-Tempo noch einmal erhöht. Er stieg zunächst beim Start-up door2door als Investor und Mitglied des Boards ein und prophezeite: „door2door wird die Art und Weise, wie wir uns weltweit in Städten bewegen, drastisch verändern.“ Fast zeitgleich investierte er in das kalifornische Elektroauto-Start-up Evelozcity, das kurz zuvor der ehemalige BMW-Manager Stefan Krause gegründet hatte. Nach Krause und dem Ex-BMW i-Chef Ulrich Kranz komplettierte Neumann den Vorstand. Zur Start-up-Aura passte es, dass KTN die Wände in seinem neuen Büro selbst anstrich und das mit Fotos auf Twitter auch kundtat.

Nach nur rund 15 Monaten verabschiedete sich Neumann wieder aus dem Vorstand des mittlerweile in Canoo umbenannten Unternehmens, dem er aber weiter als Berater und Anteilseigner verbunden bleibt. „Ich brauche mehr Freiheit für meine anderen Projekte“, begründete er diesen Schritt gegenüber dem Manager Magazin. Zu diesen anderen Projekten zählt auch Neumanns Engagement im Aufsichtsrat des kalifornischen Start-ups Apex.AI, das vereinfacht gesagt ein absturzsicheres Betriebssystem für das autonome Fahren entwickelt hat.

Auf das autonome Fahren zielt auch Neumanns gerade bekanntgewordenes Engagement beim israelischen Start-up Cartica. Das Unternehmen verfügt Neumann zufolge über eine KI-Software, die weitgehend selbstständig lernt, Objekte zu erkennen und daher nicht mehr mit viel Aufwand von Menschen trainiert werden muss.

Der Automobilwoche sagte KTN dazu: „Ich sehe bei jungen Unternehmen aus diesem Bereich hochintelligente spannende Technologien und große wirtschaftliche Potenziale. Hier fließt Geld, es gibt Investoren. In der Elektromobilität wird die Finanzierung zunehmend schwer, nachdem auch die Chinesen in den USA nicht mehr so aktiv sind.“

Kritischer geworden sind seit KTNs Ausstieg bei Opel auch seine Äußerungen zur Branche, die er per Twitter oder Interviews zu Gehör bringt. „Alle wollen Elektromobilität, aber sie wollen auch, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagte er dem Wirtschaftsmagazin Capital. Es müsse sich aber „alles ändern, damit es elektrisch werden kann, und diesen Gedanken haben die Traditionellen nicht." Dass er den klassischen Automobilherstellern das nötige disruptive Denken und Handeln nicht zutraut, macht er auch immer wieder deutlich. Die Unternehmen seien vor allem daran interessiert ihre etablierten Geschäftsmodelle zu retten. Deshalb empfahl KTN den Automobilherstellern, sich nach dem Vorbild der Energieversorger RWE und E.On aufzuspalten, also Alt- und Neugeschäft getrennt zu führen.

Neumanns Entscheidung ist klar gefallen: Er konzentriert sich ausschließlich auf das von ihm als Zukunftsgeschäft identifizierte Business.

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