Drei Automobilexperten haben sich zusammengetan, um die Europäische Union mit einem Alternativvorschlag zum "Verbrennerverbot" wachzurütteln. "Mit den Ausführungen möchten wir einen Beitrag zu einer erfolgreichen und praktikablen Regulierung der Pkw-Antriebe ab 2035 liefern", schreiben der ehemalige BMW-Chefforscher Gerd Schuster, Lutz Eckstein Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und Ex-McKinsey-Automotive-Chef Andreas Cornet in einem Dokument, das der Automobilwoche vorliegt.
Vorschlag zum "Verbrennerverbot": Etwas, das besser wirkt als "verbotslastige Regulierung"
Drei prominente Automobilexperten, darunter BMWs früherer Chefforscher, legen eine Alternative zum "EU-Verbrennerverbot" ab dem Jahr 2035 vor. Sie nennen fünf Probleme und drei Lösungen.
Zwar anerkennen sie die entscheidende Bedeutung, die elektrische Antriebe haben. Dennoch sind die drei Experten der Überzeugung, "dass ein positiver anreizbasierter Ansatz schneller eine nachhaltige Dekarbonisierung bewirkt als die bisherige verbotslastige Regulierung, da ein technologieneutraler Ansatz die Kundenakzeptanz, Umsetzbarkeit und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie wirksamer berücksichtigt".
Statt sich auf einzelne Technologien zu fokussieren, sollte die Zielerreichung der CO2-Neutralität und damit die intendierte Wirkung in den Vordergrund der Regulierung gestellt werden. Die Rolle des Verbrennungsmotors werde wegen des Hochlaufs elektrifizierter Fahrzeuge auf die gelegentliche Langstreckenfahrt fokussiert.
Der Vorschlag der renommierten Experten kommt in einer Zeit, in der die bisherigen Verordnungen zum CO2-Ausstoß auf dem Prüfstand stehen. Die EU-Kommission will den Herstellern mehr Zeit geben, um die strengen Flottengrenzwerte einzuhalten.
Zugleich überprüft die Kommission in diesem Herbst das für das Jahr 2035 vorgeschriebene Null-Emissionsziel, landläufig als Verbrennerverbot bekannt. Die Diskussion um eine neue Regulierung ist längst entbrannt – und das Papier von Schuster, Eckstein und Cornet liefert nun Argumente in der Disukussion.
- Fehlen von BEV-Akzeptanz "100 Prozent Kundenakzeptanz für 'BEV only' ist ausgehend von der heute eher mäßigen Akzeptanz der Elektromobilität bis 2035 EU-weit nicht realistisch. Die heutigen Ablehnungsgründe für einen BEV-Neuwagen (hohe Kosten, begrenzte Reichweite, mangelnde Infrastruktur) lassen sich in zehn Jahren nicht hinreichend adressieren, da die Zeitkonstanten für die notwendige technologische Entwicklung und den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu lang sind. Ein politisches Durchdrücken halten wir EU-weit für nicht vorstellbar."
- Hoher Batteriebedarf "Der Batteriebedarf der EU-Neuwagenflotte würde bis 2035 circa um den Faktor 7 bis 8 steigen. Die heute schon zu große Abhängigkeit der Lieferketten von Asien, im Wesentlichen China, würde sich damit weiter dramatisch erhöhen, was unseres Erachtens industriepolitisch kaum verantwortet werden kann. Das beabsichtigte Gegensteuern durch Aufbau einer grünen Batterieproduktion innerhalb der EU funktioniert bislang nicht ausreichend (Beispiel Northvolt)."
- Instabile Lieferketten "Ebenso bestehen zu große internationale Abhängigkeiten beim Rohstoffbedarf nicht nur für Batterien, sondern auch für Chips und Leistungselektronik. Es stellt sich hier die Frage, ob die kritischen Lieferketten hinreichend stabil sind oder ob die Rohstoffabhängigkeiten für kritische Komponenten strategisch begrenzt werden müssten."
- Schlechte Ladeinfrastruktur "Ein Blick in einige EU-Länder zeigt, dass diese beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und Netzanschlüsse massiv hinterherhinken. Ist es auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Herausforderungen realistisch anzunehmen, dass diese Länder so stark aufholen werden? Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die hierfür notwendigen Ladeparks an den Autobahnen typische Netzanschlussleistungen im zweistelligen MW-Bereich benötigen (das ist auf 'Kleinstadt-Niveau')."
- Zu wenig Grünstrom "Nachhaltig erzeugter Grünstrom ist nicht nur für das Laden eines Elektrofahrzeugs notwendig, sondern auch für die Produktion insbesondere der Batterien, da diese sehr energieintensiv ist. Wie findet die ökologische Berücksichtigung hierfür statt, vor dem Hintergrund, dass die Importmenge der Batteriezellen bis 2035 deutlich zunimmt? Wird dabei auf Grünstrom im Herstellungsland geachtet?"
Die Experten glauben, dass die weitgehende Lösung dieser fünf Herausforderungen bis 2035 in der EU nicht realistisch und damit ist auch die 100-Prozent-BEV-Neuwagenflotte zu diesem Zeitpunkt nicht plausibel erreichbar erscheint.
Konkret schlagen die Experten stattdessen folgende drei Kernelemente einer neuen Regulierung vor:
• Verpflichtung der europäischen Autohersteller auf eine "1,5l-Neuwagenflotte" (entspricht 36g CO2/km) ab dem Jahr 2035 und auf eine "1l-Neuwagenflotte" ab 2040 (24g CO2/km).
• Technologieneutrale Gestaltung der Regulierung im Sinne einer Wirkvorschrift, so dass auch Plug-in Hybride (PHEVs) und Elektrofahrzeuge mit Range-Extender (EREVs) mit elektrischen Praxisreichweiten von mindestens 100 Kilometer zum Erreichen der Flottenemissionsziele dauerhaft beitragen können.
• Einfordern und Fördern von erneuerbaren Kraftstoffen, so dass die "1l-Neuwagenflotte" perspektivisch keine CO2-Emissionen verursacht. Das entspricht nur rund einem Siebtel des heutigen Bestandsverbrauchs, so dass eine Umsetzung bis 2045 realistisch ist, zumal heute in Deutschland bereits circa sieben Prozent Biokraftstoffe in Benzin und Diesel beigemischt sind. Zusätzliche langfristige Liefervereinbarungen schaffen Investitionssicherheit.
Hierzu skizzieren die Experten ein wahrscheinliches Szenario für das Jahr 2040: "Unstrittig bleibt die dominierende Rolle der BEVs, deren Neuwagenanteil wir in diesem Szenario der einfachen Rechnung halber aber auf 'nur' 50 Prozent setzen.
Die anderen 50 Prozent Neuwagen sind im Wesentlichen PHEVs und EREVs mit elektrischen Reichweiten von 100 bis 200 km einschließlich Brennstoffzellenfahrzeugen (FCEVs) und geringe Anteile von 48V-Hybriden." PHEVs und EREVs haben im Vergleich zu BEVs kleinere Batterien, führt also zur einer Reduzierung des Batteriebedarfs.
Im diesem Szenario würde die Anzahl der NEVs (New Energy Vehicles) im Jahr 2042 mit der Anzahl der ICEs gleichziehen und diese in der Folge überholen. "Dies wäre kaum später als bei der aktuellen Regulierung."
Die Autoren: Lutz Eckstein ist Präsident des Verbands der Ingenieure und Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge an der RWTH Aachen. Gerd Schuster ist ehemaliger BMW-Leiter für Forschung und Entwicklung. Andreas Cornet ist ehemaliger Senior Partner von McKinsey.