Warum Carlos Tavares gehen musste

Die Geschichte um das vorzeitige Ausscheiden von Carlos Tavares bei Stellantis ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Jetzt dringen nach und nach Einzelheiten an die Öffentlichkeit, die nahelegen, dass die Kostenfixierung von Tavares zuletzt exzessiv wurde und zu negativen Folgen für das Unternehmen führte.

Bei einer virtuellen Veranstaltung der Investmentbank Goldman Sachs äußerte sich am Mittwoch (Ortszeit) erstmals seit dem Rücktritt des Konzernchefs ein anderes Vorstandsmitglied von Stellantis öffentlich. Er stellte Tavares kein gutes Zeugnis aus im Umgang mit den wichtigsten Partnern des Konzerns.

Finanzchef Doug Ostermann sagte bei der Veranstaltung laut der Nachrichtenagentur Reuters, im Aufsichtsrat sei über die belasteten Beziehungen des Konzerns zu Händlern, Zulieferern, Gewerkschaften und Regierungen gesprochen worden. "Wir müssen ganz eindeutig Vertrauen zurückgewinnen", sagte Ostermann. Details nannte er aber nicht.

Eine andere Person aus dem Führungsgremium berichtete der Nachrichtenagentur, die Politik von Tavares habe letztlich zu einer "völlig unhaltbaren" Beziehung zwischen ihm und dem Aufsichtsgremium geführt.

An Schärfe gewonnen habe das Zerwürfnis durch den Umgang von Tavares mit Topmanagern, durch seine Haltung gegenüber den CO2-Vorgaben der EU und wegen weiterer harter Kosteneinsparungen in Europa, die Tavares vorhatte.

Das Fass zum Überlaufen brachte offenbar eine Sitzung des Aufsichtsrats im November, bei der Tavares über aktuelle kritische Entwicklungen befragt wurde. Tavares' Reaktion sei dabei gewesen: "Ihr mischt Euch nicht in meine Arbeit ein - das ist nicht Eure Angelegenheit.“

Dieses Zusammentreffen habe den Aufsichtsrat davon überzeugt, dass Tavares nicht mehr bis zum Ende seines Vertrages im Frühjahr 2026 die Führungsaufgabe fortsetzen sollte. "Man kann sich nicht jeden zum Feind machen", zitierte die Nachrichtenagentur die ungenannte Person aus dem Führungsgremium.

Eine wichtige Frage bei dem Zusammentreffen zwischen Tavares und dem Aufsichtsrat war demnach die Frage, wie Stellantis im kommenden Jahr die deutlich anspruchsvolleren CO2-Grenzwerte in der EU erreichen will. 

Um keine hohen Strafgelder zahlen zu müssen, müsste Stellantis in der EU den Anteil der rein elektrischen Modelle am Gesamtverkauf von zuletzt zwölf auf mindestens 21 Prozent steigern.

Tavares hatte dazu stets erklärt, der Konzern könne diese Hürde schaffen und deutlich mehr EVs verkaufen. Er erhöhte damit den Druck auf die Händler in ganz Europa deutlich.

Wenn allerdings die EV-Verkäufe nicht deutlich zulegen sollten, könnte das CO2-Ziel nur durch einen gezielten und massiven Rückgang der Verbrenner-Verkäufe erreicht werden. Das wiederum würde aller Voraussicht nach das Problem der zu großen Produktionskapazitäten in Europa nochmals verschärfen und womöglich in weiteren Entlassungswellen münden.

Der Aufsichtsrat dagegen votierte den Angaben zufolge dafür, der Konzern solle sich politisch für eine Abschwächung der CO2-Ziele für 2025 einsetzen - das hatte Tavares aber bislang stets kategorische zurückgewiesen.

Keine Freunde machte sich Tavares den Angaben zufolge offenbar auch im Umgang mit führenden Managern im Konzern, die besondes in seiner Kritik standen.

Wegen der desaströsen Nordamerika-Geschäfte hatte Tavares Mitte Oktober den bisherigen Regionalchef  Carlos Zerlenga durch den bisherigen Jeep-Markenchef Antonio Filosa ersetzt. Zugleich hatte er Finanzchefin Natalie Knight nach nur 15 Monaten durch Doug Ostermann ersetzt, den bisherigen China-Chef des Konzerns.

Vor Knight hatte Richard Palmer die Finanzen des Konzerns verwaltet. Nach dem Ausscheiden von Tavares holte ihn Aufsichtsratschef John Elkann wieder zurück in den Konzern. Er soll zumindest vorerst als Berater des neu geschaffenen "Interim Executive Committee" fungieren, das die operativen Geschäfte führt, bis ein neuer CEO gefunden wurde.

Ebenfalls zunehmend kritisch bewertete der Aufsichtsrat nach den Worten der nicht genannten Führungskraft die von Kostendruck getriebene Politik von Tavares gegenüber wichtigen und langjährigen Zulieferern.

"Man kann langjährigen Zulieferern nicht einfach sagen: „Ihr seid raus“, zitierte Reuters die Quelle. „Das gefährdet die eigene Fähigkeit, Autos zu produzieren."

Lieferanten des Konzerns beklagen seit langem, dass der permanente Kostendruck die Zusammenarbeit mit Stellantis stark belaste. Teilweise erwarte der Autobauer realitätsferne Preise, die keine Rentabilität mehr ermöglichten.