Warum das Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 unrealistisch ist

Mit politischen Wünschen ist das so eine Sache. Im Jahr 2010 gab der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen das Ziel aus, bis 2020 sollten eine Million Elektroautos in Deutschland zugelassen sein. Erreicht wurde das Ziel erst Anfang 2023. Das neue Ziel sind 15 Millionen Elektroautos bis 2030. Ist das realistisch?

Die Automobilwoche hat auf diese Frage eine klare, knappe Antwort: nein.

Ulrich Winzen, Datenspezialist der Automobilwoche, hat auf Basis langjähriger Daten und Markttendenzen durchgerechnet, was passieren müsste, um diese politische Vorgabe zu erreichen. So viel vorweg: Selbst in einem optimistischen Szenario werden bis 2030 bestenfalls knapp neun Millionen vollelektrische Autos auf den Straßen rollen.

Die aktuelle Situation sieht so aus: Ende vergangenen Jahres waren knapp 1,41 Millionen E-Autos in Deutschland zugelassen, dies entspricht 2,9 Prozent des Gesamtbestands.

Zu den 15 Millionen fehlen somit noch 13,59 Millionen. Von 2024 bis 2030 werden insgesamt knapp 20,9 Millionen Neuzulassungen erwartet – über alle Antriebsarten, also inklusive Diesel, Benziner und Co. Somit müsste – falls alle E-Auto Zulassungen den Bestand erweitern – der E-Anteil an den Neuzulassungen im Durchschnitt aller Jahre bei 65 Prozent liegen.

Nicht nur das ist unrealistisch, auch die Annahme, dass alle Neuzulassungen den Bestand erweitern, ist falsch. Da jedes Jahr auch zahlreiche Fahrzeuge verschrottet oder ins Ausland verkauft werden, steigt der Bestand der Fahrzeuge nicht um die Zahl der Neuzulassungen. Anders ausgedrückt: 

Um im Jahr 2030 insgesamt 15 Millionen Stromer auf den Straßen zu haben, müssten bis 2030 deutlich mehr als 15 Millionen E-Autos verkauft werden.

Unsere Prognose basiert auf drei Szenarien:

• Basis-Szenario
• pessimistisches Szenario
• optimistisches Szenario 

Unterstellt wird für jedes Szenario, dass die Fördersituation sich nicht grundlegend ändert. Sprich: Es wird kein üppiges Programm der Bundesregierung für Elektroautos bis 2030 geben. Das erscheint uns angesichts der angespannten Haushaltslage als plausible Annahme. Aber natürlich ist unsere Prognose, das liegt in der Natur der Sache, mit Unsicherheit behaftet.  

Im ersten und nach aktueller Faktenlage wahrscheinlichsten Szenario geht die Automobilwoche davon aus, dass der Wettbewerbsdruck ab 2025 aufgrund neuer Modelle steigt. Zudem erhöhen die Hersteller die Marketingaktivitäten, da sich die CO2-Ziele der EU verschärfen. Mit zunehmender Sichtbarkeit der E-Autos auf den Straßen erhöht sich die Akzeptanz bei den Kunden.

Ab 2030, wenn die EU-Grenzwerte nochmals verschärft werden, wird die Dynamik leicht steigen. Der angenommene Marktanteil der E-Autos an den gesamten Neuzulassungen liegt 2030 bei 50 Prozent und steigt bis 2035 auf die EU-Vorgabe von 100 Prozent.

Die jährlichen E-Auto-Zulassungen werden bis 2030 auf 1,49 Millionen steigen und der Bestand erhöht sich auf 6,15 Millionen E-Autos. Das sind zwölf Prozent des Gesamtbestands. Im Jahr 2035 wird der BEV-Bestand in diesem Szenario bei 14,23 Millionen liegen, das wären 27 Prozent des dann erwarteten gesamten Pkw-Bestands.

Die EU will das Verbrenner-Aus 2026 überprüfen. Kippt es dann? In einem zweiten, pessimistisch genannten Szenario gehen wir von einer Verschiebung des Verbrenner-Aus um fünf Jahre auf das Jahr 2040 aus. Zudem bauen sich die Vorbehalte gegenüber E-Autos nur langsam ab, neue Modelle kommen nur zögerlich auf den Markt. Die Preisdifferenz zu den Verbrennern wird zwar kleiner, bleibt aber höher als im Basis-Szenario. Darüber hinaus verzögert sich die Einführung neuer Batterien.

In diesem Szenario werden die E-Autos 2030 ein Drittel der Neuzulassungen ausmachen. Der Bestand wird auf 4,71 Millionen ansteigen, was neun Prozent des Gesamtbestands entspricht. Bis 2035 werden die E-Autos dann zwei Drittel der Neuzulassungen ausmachen, der Bestand übertrifft die zehn Millionen-Marke leicht. Dies entspricht 19 Prozent des Gesamtbestands.

In einem gerade noch vorstellbaren optimistischen Szenario geht die Automobilwoche davon aus, dass im Gegensatz zum ersten Szenario ein stärkerer Wettbewerbsdruck durch neue Anbieter und Modelle, insbesondere in den unteren Preissegmenten besteht. Eine zügige Einführung neuer Batterietechnologien und die flächendeckende Installation von Ladesäulen verbessert das Image der E-Autos und die Neuzulassungen erreichen 2030 einen Marktanteil von 75 Prozent.

Der starke Anstieg der Neuzulassungen führt bis 2030 zu einem Bestand von 8,65 Millionen E-Autos. Dies wären 17 Prozent des Gesamtbestands. Bis 2035, wenn alle neuen Pkw rein elektrisch unterwegs sind, steigt der Bestand auf knapp 17,8 Millionen. Dies wären gut ein Drittel des Gesamtbestands.

Anders ausgedrückt: Selbst dann haben immer noch zwei Drittel aller Pkws auf Deutschlands Straßen einen Verbrennungsmotor an Bord.

Sogar im optimistischen Szenario wird das Ziel der Regierung, bis 2030 einen Bestand von 15 Millionen E-Autos zu erreichen, deutlich verfehlt. In diesem Szenario werden zwar alle Neuwagen rein elektrisch fahren, aber selbst dann fahren zwei Drittel der im Bestand befindlichen Autos weiterhin mit Verbrennungsmotoren.

Hinzu kommt: Auch die E-Autos fahren mit dem aktuellen Strom-Mix nicht vollkommen CO2-neutral. Zurzeit erreichen die E-Autos unter Berücksichtigung der Produktion erst nach einigen zehntausend Kilometern (abhängig vom Strom-Mix und der Batteriegröße) eine bessere CO2-Bilanz als Verbrenner.

Um die CO2-Bilanz des Verkehrssektors deutlich zu verbessern, ist die schnelle Einführung neuer E-Autos zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Benötigt werden beispielsweise auch CO2-neutrale Stromerzeugung und neue Batterietechnologien. Die Hauptverantwortlichen für den CO2-Ausstoß sind jedoch nicht die neu zugelassenen Autos, sondern die Pkw im Bestand und deren jährliche Fahrleistung. Diese mit dem Ausbau des ÖPNV und intelligenten Verkehrsleitsystemen zu reduzieren, ist für die Senkung des CO2-Ausstoßes ebenfalls wichtig. Darüber hinaus würde eine Anpassung der Straßenverkehrsordnung an die der übrigen EU-Länder (Tempolimit) einen zumindest kleinen Beitrag leisten.