Herr Kirchhoff, In den vergangenen Monaten gab es einige Rückrufe und Produktionsverzögerungen bei OEMs wegen fehlerhafter Komponenten. Hat die Autozulieferindustrie ein Qualitätsproblem?
Nein, das glaube ich nicht. Wir arbeiten schon seit Jahrzehnten mit sehr hohen Qualitätsstandards, die sehr tief in den Produktentwicklungsprozess eingebettet sind. Sollte es allerdings, sei es in der Produktentstehungsphase oder in der späteren Serienproduktion, Probleme geben, dann muss sehr transparent und offen mit dem Kunden kommuniziert werden, um das Problem gemeinsam zu lösen. Da hat unsere Branche in den vergangenen Jahren sehr viel von japanischen Lieferbeziehungen lernen können.
Zulieferer klagen, dass sie auf ihren Vorentwicklungskosten sitzenbleiben. Können Sie das bestätigen?
Ja, das ist ein Problem. Grundsätzlich werden die Entwicklungskosten über den Teilepreis amortisiert oder ein Teil wird fest vergütet und der andere Teil amortisiert sich über die Stückzahl. Manchmal bekommen wir die Entwicklungskosten auch gesamtvergütet. Dann wird die Serienproduktion von den Kunden allerdings anschließend separat ausgeschrieben.
Und wenn die Stückzahlen nicht kommen?
Dann muss eine Lösung auf dem Verhandlungsweg gefunden werden. Dass derzeit geplante Stückzahlen nicht kommen, hat im Bereich der E-Mobilität zugenommen, insbesondere bei batterieelektrischen Fahrzeugen. Es gibt keine sicheren Bänke mehr.
Können Sie das erläutern?
Volumenhersteller wie Volkswagen und früher auch Opel oder Ford hatten in Europa, insbesondere in der Kompaktklasse, Modelle, die eine sichere Bank waren. Da wusste man als Zulieferer, welche Stückzahlen zu erwarten sind. Das gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Das ist nicht nur ein Problem der Hersteller, sondern der Branche insgesamt.
Bedingen diese Volatilitäten eine andere Zusammenarbeit zwischen OEMs und Zulieferern?
Ja, es müssen andere Formen der Zusammenarbeit angedacht werden. Es sind nicht nur die Entwicklungskosten, sondern es betrifft auch ganz stark das investierte Kapital, dass die Zulieferer für die Produktion bereitstellen. Die Maschinen und Anlagen müssen mindestens ein Jahr vor Serienanlauf oder zum Teil auch noch deutlich früher zur Verfügung stehen und betriebsbereit sein.
Kirchhoff Automotive-Chef: "Früher wusste man als Zulieferer, welche Stückzahlen zu erwarten sind"
Alte Gewissheiten gelten für Hersteller und Zulieferer nicht mehr. Wolfgang Kirchhoff plädiert deswegen für eine neue Form der Zusammenarbeit.
Bei großen Zulieferern gab es in der Vergangenheit Ankündigungen zum Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland. Wie sieht das bei Kirchhoff aus?
In Deutschland beschäftigen wir ungefähr 1250 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Konzernweit sind es 13.000, davon entfallen rund 8500 auf Kirchhoff Automotive. Wir bemühen uns seit Jahren, unseren Beschäftigungsstand in Deutschland zu halten. Daran halten wir fest. Wir bauen aber auch nicht großartig weiter auf. Das hat auch etwas mit den Umfeldbedingungen am Standort Deutschland zu tun.
Macht Ihnen die Diskussion, um das Verbrenner-Aus zu schaffen?
Sehr. Im Zuge der über die Jahre erstellten Prognosen und den damit einhergehenden gesetzlichen Zielsetzungen haben wir überproportional viel Neugeschäft für die batterieelektrischen Fahrzeuge gewonnen. Durch die Rücknahme der Förderung und weitere Verunsicherungen der Käufer ist diese Entwicklung ins Stocken geraten. Allein in Europa haben wir in den vergangenen vier Jahren einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag in Anlagen und Entwicklung von Komponenten für batterieelektrische Fahrzeuge investiert.
Welche Aktivitäten verfolgt Kirchhoff im Bereich Wasserstoff?
Beim Wasserstoffantrieb für Pkw hat Kirchhoff Automotive keine Aktivitäten. Kurz- bis mittelfristig rechnen wir damit, dass sich bei der Elektrifizierung der batterieelektrische Antrieb durchsetzen wird. Abgesehen vom schlechten Wirkungsgrad des Brennstoffzellenantriebs hat der Pkw beim Wasserstoffantrieb ein Packageproblem. Es fehlt der Platz. Außerhalb des Pkw sieht das anders aus.
Kirchhoff Ecotech, das ist unsere Sparte die sich mit Kommunalfahrzeugen beschäftigt, hat bereits 180 Fahrzeuge im Feld, die wasserstoffelektrisch angetrieben werden. Und unser Tochterunternehmen Enginius, dass diese Fahrzeuge produziert, ist der erste Hersteller, der eine EU-Typgenehmigung für elektrisch angetriebene LKW mit Wasserstoff-Brennstoffzellensystemen hat. Also, da sind wir ziemlich weit.
Wollen Sie mittelfristig das Non-Automotive-Geschäft stärken?
Im Moment bleibt es bei unserem Portfolio. Es sind keine Veränderungen geplant. Wir konzentrieren uns mit Automotive und Ecotech eindeutig auf den Bereich der Mobilität. Das betrifft sowohl Pkw als auch Nutzfahrzeuge.
Welche Bedeutung hat bei Ihnen emissionsfreier Stahl?
Bislang steht uns nur emissionsreduzierter Stahl zur Verfügung. Wir haben mit allen führenden Stahlherstellern Abkommen beziehungsweise eine Zusammenarbeit, die darauf abzielt, CO2-reduzierten beziehungsweise CO2-freie Stahlgüten zu erproben und später auch in die Serie zu bringen. Das läuft im Moment an. Wir werden in Scope 3, das betrifft bei uns im Wesentlichen den Bezug von Stahl und Aluminium bis zum Jahr 2030, 25 Prozent der Emissionen im Vergleich zum Jahr 2022 einsparen.
Honorieren Ihnen die Kunden das Engagement?
Das wird mit den Kunden für die anlaufenden Fahrzeugbaureihen zu besprechen sein. Es gibt einige Kunden, die haben uns gebeten, möglichst viel CO2-reduzierte oder CO2-freie Stahltypen einzusetzen. Vielfach können unsere Lieferanten aber noch keine festen Preise für diese Stahlgüten nennen.
Welche Pläne verfolgen Sie bei der Internationalisierung?
Wir wachsen derzeit recht stark in Nordamerika, insbesondere in Mexiko. Dort nehmen wir gerade zwei neue Werke in Betrieb. In Europa wachsen wir überdurchschnittlich in Zentral- und Osteuropa, was insbesondere unsere großen Standorte in Ungarn und Polen betrifft. In China können wir uns durchaus einen weiteren Standort vorstellen. Das hängt von zukünftigen Kundenprojekten ab. Derzeit haben wir nichts determiniert.
Die chinesischen Autobauer drängen in Europa auf den Markt. Spüren Sie in dem Zusammenhang auch, dass chinesische Zulieferer in Europa aktiver werden?
Bis jetzt noch nicht. Aber auf der IAA Transportation war es nicht nur beeindruckend zu sehen, welche chinesischen Hersteller ihre Produkte ausgestellt haben, sondern auch, wie viele chinesische Lieferanten sich präsentiert haben. Da gab es eine deutliche Veränderung zu den Messen der Vorjahre. Inwieweit die Unternehmen dann hier in Europa Fuß fassen, bleibt abzuwarten.
Und wie sieht es in China aus?
Wir stehen dort mehr und mehr im Wettbewerb mit chinesischen Lieferanten. Wir bemühen uns auch um weitere chinesische Kunden und um Aufträge von chinesischen OEMs, die mit der Fertigung nach Europa kommen. Denn es ist fraglich, ob die chinesische Zuliefererindustrie in der Lage ist, allen ihren Kunden mit nach Europa zu folgen. Das kann Chancen für uns eröffnen. Es wird in den nächsten Jahren sehr spannend werden, wie sich unsere Zuliefererlandschaft verändert.
Was sollte sich am Standort Deutschland verändern?
Wir haben grundsätzlich das Problem, dass wir im internationalen Vergleich viel zu hohe Energiekosten, Steuern und Abgaben haben. Vermehrt schmerzt uns die Überregulierung und die Bürokratie, mit der wir täglich leben. Das sind nicht nur Vorgaben, die vom Land und vom Bund formuliert werden, sondern die immer häufiger auch von der EU kommen.
Grundsätzlich haben wir hierzulande ein Kostenproblem. Unabhängig von den Steuern und Abgaben haben sich an unseren deutschen Standorten in den letzten sechs Jahren die Arbeitskosten um 35 Prozent erhöht. Das ist ein großer Brocken. Zudem müssen wir wie viele andere Unternehmen auch Lösungen dafür finden, dass in der Nach-Covid-Zeit der Krankenstand sich insbesondere in Deutschland in eine Höhe entwickelt hat, wie wir es so noch nicht gekannt haben. Gemeinsam mit den Betriebsräten arbeiten wir daran.
Unsere aktuelle politische Führung im Land gibt den Menschen keine Orientierung, keine Perspektive, sondern ganz im Gegenteil, sie bringt den Verbrauchern Verunsicherung. Wir hatten in Deutschland immer wieder mal solche Phasen, aber derzeit ist das ein ganz großes Problem.