"God's Eye": Wie BYD den Wettbewerb ums autonome Fahren aufwirbelt

Der größte chinesische Autobauer BYD will teilautonomes Fahren künftig in allen Baureihen serienmäßig anbieten. Sogar die günstigsten Modelle sollen mit einer fortschrittlichen Basisversion ausgestattet sein.

Für die Wettbewerber stellt das eine immense Herausforderung dar. An der Börse in Hongkong reagierten die Anleger prompt mit Abschlägen auf Rivalen wie Geely, Xpeng oder Li Auto.

BYD-Gründer Wang Chuanfu stellte das aus drei Ausbaustufen bestehende System mit der Bezeichnung "God's Eye" (Gottes Auge) in Shenzen vor. Nach und nach werde es serienmäßig in allen Baureihen und Modellen des Herstellers angeboten, versicherte Chuanfu.

Zur Herausforderung für die Wettbewerber wird das System vor allem durch seinen geringen Preis. Sogar das günstigste BYD-Modell Seagull, das in China weniger als 10.000 Euro kostet, wird mit "God's Eye" ausgestattet. Zum Vergleich: Tesla verlangt für sein "Autopilot"-System bei einer Basisausstattung des jeweiligen Modells gut 8000 US-Dollar (7600 Euro) zusätzlich.

BYD-Gründer Chuanfu sagte bei der Vorstellung des Konzepts: "Das größte Hindernis für intelligentes Fahren ist der hohe Preis. Derzeit kosten Modelle, die mit intelligentem Fahren ausgestattet sind, oft mehr als 200.000 Yuan (26.250 Euro)."

Dies wolle BYD nun ändern: "Ich glaube, dass gute Technologie für jeden zugänglich sein sollte. Die Verbreitung des intelligenten Fahrens muss sich um alle kümmern, damit jeder die Sicherheit, den Komfort und die Annehmlichkeiten der Technologie genießen kann."

Schon jetzt bietet BYD ein umfangreiches ADAS-System namens "God's Eye" in gehobenen Fahrzeugklassen an. Die entsprechenden Modelle kosten aber bislang alle mehr als umgerechnet 30.000 Euro.

Die Entscheidung, abgespeckte Versionen dieser autonomen Systeme nun auch in den günstigsten Baureihen anzubieten, könnte BYD zu einem weltweit führenden Anbieter solcher Systeme machen und erhebliche Skaleneffekte ermöglichen. 2024 hatte der Konzern knapp vier Millionen Fahrzeuge verkauft.

Die Top-Version des Systems nennt sich "God's Eye A" oder DiPilot 600. Sie verfügt über drei Lidar-Sensoren. Diese Konfiguration erlaubt auch autonomes Fahren bei hohen Geschwindigkeiten und die Erkennung sehr komplexer Situationen.

Die Mittelklasse-Version "God's Eye B", auch DiPilot 300 genannt, verfügt über eine einzige Lidar-Einheit. Dies ermöglicht aber bereits das sogenannte 3D-Mapping, also die dreidimensionale Erfassung von Objekten und eine deutlich verbesserte Hindernis-Erkennung bei schlechten Sicht- oder Witterungsbedingungen.

Die Einstiegsklasse erhält "God's Eye C" oder DiPilot 100. Dieses System ist mit zwölf Kameras, zwölf Ultraschallsensoren und einem Fünf-Millimeter-Radar ausgestattet. Damit ist bereits autonomes Fahren nach Level 2 möglich, also das selbstständige Überholen, Beschleunigen und Bremsen auf Autobahnen.

"BYD sendet eine kleine Schockwelle durch die Branche", fasst Peter Fintl, Technologieexperte bei der Unternehmensberatung Capgemini, die Reaktionen von Wettbewerbern zusammen. "Chinesische Hersteller setzten damit in Sachen Fahrautomatisierung starke Akzente." Manch einer fühle sich an den "Tesla-Moment" erinnert.

Vordergründig gehe es BYD darum, Technologie für alle verfügbar zu machen. "Es bedeutet jedoch auch eine Emanzipation von westlichen Zulieferern: Aus China für die Welt lautet nun das Ziel."

Fintl zufolge ist bereits die Einstiegsklasse von "God's Eye" umfangreich ausgestattet. "BYD wird hier sehr wahrscheinlich einen Standard für die Serienausstattung in China setzen. Andere Hersteller – einheimisch oder international – werden in diesem Feld nachziehen müssen."

Der Kostendruck steige dadurch nochmals, erwartet Fintl. "Chinesische Hersteller setzten bei Prozessoren vielfach schon auf 'Designed and Made in China'. Perspektivisch möchte man sogar eigene Halbleiter einsetzen."

Einschüchtern lassen sollte sich die europäische Autobranche durch die Ankündigungen aus Shenzen aber nicht, betont Fintl. "Auf der Hardwareseite mutet die Offensive beeindruckend an, jedoch wird das Spiel gerade auch mit der Software entschieden. Insofern ist das Rennen mit dieser Ankündigung noch nicht vorbei."

Ein sicheres, zuverlässiges und komfortabel zu bedienendes automatisiertes Fahren bleibe weiterhin eine große Herausforderung. "Gerade deutsche Hersteller zeigen, dass man L2+ technisch beherrscht. Bei Hochautomatisierung findet derzeit mit der breiten Nutzung von KI im Technologie-Stack eine dynamische Entwicklung statt. Hier bleibt das Wettrennen bei Herstellern und Zulieferern weiter spannend."

Für westliche Autobauer sende BYDs "God's Eye" noch ein weiteres Signal aus: "Wenn selbst fortgeschrittene Assistenzsysteme nun Standard werden, müssen Hersteller, bei denen das nicht der Fall ist, ihre bisherige Aufpreispolitik überprüfen – nicht nur in China, sondern auch in den Exportmärkten", erwartet der Berater.

"Kunden werden den Aufpreis-Wünschen der Hersteller nochmals kritischer gegenüberstehen." Westliche Hersteller seien nun umso stärker gefordert, mit Hilfe von lokalen Partnern kostenoptimierte Produkte zu schaffen.

Einzelne Hersteller hätten diesen Weg mit ihrer "In China für China"-Strategie bereits beschritten, erinnert Fintl. Dort arbeite man teilweise mit denselben Partnern wie chinesische Hersteller. Ein bekannter Vertreter dieser Strategie ist der VW-Konzern. Der Kerngedanke dahinter ist simpel: China schlagen mit den Waffen der Chinesen.