Herr Schiefer, als Sie kürzlich bekanntgegeben hatten, dass Sie in das Thema SiC-Halbleiter investieren wollen, hat die Börse Infineon kurz danach abgestraft. Ist die Welt ungerecht?
Nein. Tatsache ist, der Trend hin zur E-Mobilität ist weiter dynamisch. Weltweit kommen pro Monat momentan ungefähr eine Million E-Fahrzeuge auf den Markt. Bei einem Fünf-Jahres-Ausblick gehe ich davon aus, dass ungefähr zwei Drittel der Fahrzeuge weltweit elektrifiziert sein werden, unabhängig vom Antriebsstrangkonzept. Dafür werden Hochvolt-Leistungshalbleiter benötigt und die sind derzeit noch überwiegend aus Silizium. Bis zum Ende der Dekade werden diese überwiegend durch Siliziumkarbid-Halbleiter ersetzt. Es hängt vom Antriebsstrang ab, wo Silizium und wo Siliziumkarbid eingesetzt wird. Silizium wird weiterhin eine Rolle spielen, aber schon in fünf Jahren rechne ich damit, dass der SiC-Anteil höher ist als der von Silizium. Deshalb ist die Investition in Fabriken für SiC-Produkte, nicht nur für den Bereich Automotive, sondern auch für erneuerbare Energie oder Wärmepumpen, die richtige Investition. Langfristig wird der Bedarf extrem stark steigen. Beispielsweise ist der Halbleiteranteil für E-Autos etwa doppelt so hoch wie der für konventionelle Fahrzeuge. Deswegen braucht es genau diese Investitionen in die Fabriken, damit wir das Wachstum der Elektromobilität auch gut abbilden und unterstützen können.
Wollen Sie sich auch dem Züchten der Kristalle für SiC-Halbleiter beschäftigen?
Unsere Strategie ist ein multipler Zuliefereransatz. Wir gehen davon aus, dass sich diese Grundkristall-Zuliefererindustrie, ähnlich wie Silizium, kommoditisiert. Wir qualifizieren möglichst viele Lieferanten, um gut abgesichert zu sein. Außerdem haben wir den Fokus auf eine Technologie gelegt, die es uns erlaubt aus Grundsubstraten möglichst viele nutzbare Einzelscheiben zu machen. Dafür haben wir vor einigen Jahren die Firma Siltectra gekauft. Dank der Technologie des Unternehmens können wir nun Siliziumkarbid-Wafer zukaufen und mit dem sogenannten Cold-Split-Verfahren zu Scheiben verarbeiten. Wir reduzieren damit die sonst üblichen Sägeverluste massiv und gewinnen damit fast doppelt so viel Material. Wir wollen so die Versorgung mit qualitativ-hochwertigen Siliziumkarbid-Produkten gemeinsam mit unseren Lieferanten auf längere Sicht absichern.
VW hat jüngst angekündigt, direkt in die Verhandlungen mit den Chipherstellern einzusteigen. Erwarten Sie weitere Ankündigungen von anderen OEMs?
Generell sehe ich den Trend, dass sich die OEMs stärker mit Halbleiterkompetenz ergänzen. Sie wollen einerseits besser verstehen, wie man neue Technologien auch innovativ in Systemlösungen entweder für das elektrische oder das assistierte Fahren anwenden kann. Andererseits wollen die Fahrzeughersteller nach den Erfahrungen der Vergangenheit mit Versorgungsschwierigkeiten auch mehr Einfluss auf die Liefersicherheit haben, denn durch software-definierte Autos wird sich die Komplexität der Elektronik im Fahrzeug stark erhöhen. Das heißt, dass es in Zukunft neue Architekturkonzepte gibt, bei denen nicht 50 oder 100 Einzelsteuergeräte separat im Auto sitzen, sondern wo über Cluster sichergestellt wird, dass Software und Hardware entkoppelt werden. Das setzt voraus, dass Schlüsselkomponenten auch über die gesamte Plattform ausgesucht und gesetzt werden müssen.
Neben den OEMs zählen auch die Tier1-Lieferanten zu Ihren Kunden. Wird deren Bedeutung abnehmen?
Die Elektronikzulieferer der Fahrzeughersteller, die als Systemintegratoren agieren, sind unsere Direktkunden. Auch wenn die OEMs stärker mit den Chipherstellern zusammenarbeiten, wird der klassische Zulieferer der Direktkunde der OEMs bleiben. Dass die Fahrzeughersteller die Halbleiter selbst einkaufen und verarbeiten wird aus meiner Sicht die Ausnahme bleiben.
Sie hatten in der Vergangenheit Ihren Kunden geraten wegen drohender Engpässe Pufferlager anzulegen. Ist das erfolgt?
Zum einen kann man sagen, dass die Lagerbestände wieder im Zielbereich liegen. Die Allokation ist deutlich abgeklungen. Es gibt eine Reihe von Kunden, die von diesem von uns konzeptionell erarbeiteten Angebot Gebrauch machen, um spezifisch Pufferlager aufzubauen.
Sind für Sie Kooperationen mit anderen Chipherstellern ein Thema, um sich beispielsweise Entwicklungskosten zu teilen?
Systeme zum automatisierten Fahren verfügen über hoch performante CPUs, die Infineon gar nicht im Portfolio hat. Doch um diese Großrechner herum werden ganz viele weitere Produkte wie intelligente sichere Microcontroller, eine intelligente Energieversorgung im Fahrzeug oder intelligente Sensoren benötigt. Dort arbeiten wir mit den Herstellern solcher Großrechner zusammen und definieren gemeinsame Referenzsysteme, so dass der Kunde dann einen Komplett-Systemvorschlag erhält.