Herr Geeraerds, Webasto setzt die Neuausrichtung seines Führungsteams fort. In diesem Zuge wird im November Jan Henning Mehlfeldt die Verantwortung für das globale Dachgeschäft übernehmen, was geben Sie ihm mit auf den Weg?
Geeraerds: Ich bin seit 2010 bei Webasto, war lange Jahre in China und bin 2017 in den Vorstand der Holding eingetreten. Schon seit vielen Jahren arbeite ich mit Herrn Mehlfeldt eng zusammen und freue mich, dass er mein Nachfolger im Vorstand wird. Wir haben in den letzten Monaten gemeinsam unsere Dachstrategie in einem wirklich spannenden Marktumfeld weiterentwickelt, die den größten Geschäftsbereich von Webasto nachhaltig in die Zukunft führt. Ich wünsche ihm jetzt viel Erfolg bei der weiteren Umsetzung.
Mehlfeldt: Ich freue mich auf diese Aufgabe. Die von Herrn Geeraerds im Jahr 2020 initiierte Dachstrategie skizziert die nächsten zehn Jahre. Wir wollen die Entwicklungen des Marktes frühzeitig antizipieren und auf die Bedeutung für unser Dachgeschäft übertragen. Dazu gehören Veränderungen im Kaufverhalten aber auch Technologietrends getrieben durch die Elektrifizierung und autonomes Fahren.
Können Sie das konkretisieren?
Mehlfeldt: Veränderungen in der Architektur des Dachs und gleichzeitig eine sich ändernde Karosserie und Designsprache der Fahrzeuge werden sich positiv auf unser Dachgeschäft auswirken. Bislang war das Dachgeschäft ein klassisches Optionsgeschäft. Heute sehen wir, dass es mehr und mehr Fahrzeugreihen gibt, die etwa ein transparentes Dach als Standardausstattung haben. Wir entwickeln uns daher aus einer Nische in einen sehr dynamischen und fordernden Vollausstattungsbereich hinein. Zudem wirken sich die Elektronikanforderungen auch auf den Dachbereich aus. Heute ist das Dach ein echter Erlebnisfaktor für den Endverbraucher.
Was meinen Sie damit?
Mehlfeldt: Eine Ambiente-Beleuchtung zum Beispiel schafft ein tolles Raumgefühl und sorgt für eine ganz andere Stimmung im Fahrzeug. Aber wir wollen auch ganz bewusst Trends setzen bei Themen wie schaltbarer Verglasung oder im Bereich Solar.
Haben die Erfahrungen mit den Anlaufproblemen beim Dach des Ford Bronco in den USA ihre Dachstrategie verändert?
Geeraerds: Beim Bronco gab es eine Kundenanfrage, ob wir eine Lösung für ein leicht abnehmbares Dachsystem für sechs unterschiedliche Fahrzeugvarianten bieten können. Den Auftrag sehen wir als Erweiterung unseres Dachgeschäfts im Bereich Leichtbaukonstruktionen. Also es passt voll in unseren Dachstrategie, denn wir verstehen uns als All-Roof-Unternehmen, aber es gibt keine Anknüpfungspunkte zu unserer Strategie in die elektromobile oder autonom fahrende Zukunft.
Warum haben Sie jüngst den Glasspezialisten Carlex gekauft?
Geeraerds: Wir haben uns schon vor vier, fünf Jahren überlegt, wie die nächsten Entwicklungen aussehen könnten. Ein Trend ist das „Smart Glazing“. Wir hatten in diesem Bereich zwar schon Kompetenzen, wollten unser Know-how aber weiter verstärken. Deshalb der Zukauf. Schaltbare Verglasung wird schon jetzt zunehmend nachgefragt.
Mehlfeldt: Das Dachgeschäft ist das Rückgrat von Webasto. Unsere Dachstrategie ist ganz klar auf Wachstum ausgerichtet. Als All-Roof-Company sind wir Marktführer und wollen das auch bleiben. Dafür müssen wir alle Systeme bedienen. Für mich sind die Bronco-Dachvarianten eine perfekte Ergänzung unseres Portfolios, weil es keinen anderen Dachhersteller gibt, der vom Cabrio-Dach, über den Leichtbau, große Panoramadächer mit Rollo bis hin zur schaltbaren Verglasung und der neu hinzugewonnenen Glaskompetenz so breit aufgestellt ist. Diesen Vorsprung wollen wir verteidigen.
Durch die Carlex-Übernahme haben Sie ihre Wertschöpfungstiefe bei Autodächern erhöht. Ist das auch eine Reaktion auf den missglückten Anlauf der Bronco-Dachproduktion?
Geeraerds: Bislang war es in der Webasto-DNA fest verankert, alles selbst entwickeln und produzieren zu wollen. Diese Philosophie hat sich etwas verändert. Beim Bronco-Projekt haben wir gesehen, dass das manchmal gar nicht so einfach ist. Das Material Glas und das Wissen darüber wird für Dachhersteller immer wichtiger. Mit Carlex haben wir uns darum nun Kompetenz im Glasbereich zugekauft. Es gab zwar schon gute Kenntnisse im Unternehmen, wie man ein Glasdach in einem Fahrzeug verbaut, aber wir brauchten als Innovationstreiber im Dachbereich nachhaltiges Know-how in der Glasfertigung selbst. Diese Kompetenzen wollten wir nicht langwierig aufbauen, sondern wir haben uns für den Zukauf entschlossen. Insofern ist das auch eine Lehre aus dem schwierigen Anlauf der Bronco-Dachproduktion.
Mehlfeldt: Auslöser für die Akquisition war die Innovationen, die durch Glas möglich sind. Wir sehen die kommenden Trends in der Dachentwicklung hauptsächlich in der Glasscheibe selbst. Hier wird sehr viel Technologie zwischen die Glasscheiben verbaut und ein Mehrwert als Systemlösung entsteht. Wir wollen und können die Technologie verstehen, aber unser Ziel mit der Carlex-Akquisition ist es übrigens nicht, alle Gläser zukünftig komplett selbst fertigen zu wollen. Wir müssen einfach die Produktion und die Industrialisierung ganz tief verstehen, um dann auch in diesem Bereich mit Innovationen führender Anbieter werden zu können.
Ich bin überzeugt davon, dass das Bronco-Dach eines der innovativsten Dächer ist, dass es auf dem Markt gibt, und dass das auch von den Kunden geschätzt wird. Wir sind stolz auf das Dach, aber nicht unbedingt darauf, wie der Anlauf während der Pandemie gelaufen ist.