Ein großes Hauen und Stechen – das sind die Erwartungen an das Geschäft mit Gebrauchtwagen 2022 in Deutschland und Europa. Bereits seit Monaten bringen sich Onlinehändler mit Fantasienamen wie Autohero, Cazoo, Cinch, Driverama oder Carvago in Stellung, um den auf rund 600 Milliarden Euro geschätzten europäischen Gebrauchtwagenmarkt aufzurollen.
Allein der deutsche Gebrauchtwagenmarkt bietet mit mehr als sieben Millionen Besitzumschreibungen und einem Händler-Umsatz von rund 82 Milliarden Euro im Jahr 2020 riesiges Potenzial. Zumal dieses für den reinen Onlinekauf bis dato kaum genutzt wurde. "Gerade einmal etwa ein Prozent aller Fahrzeuge werden aktuell online gekauft", sagt Robert Lasek, Vice President des Autohero-Betreibers Auto1. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie der Gebrauchtwagenplattform AutoScout24. Ihr zufolge machten Onlinekäufe 2020 nur zwei Prozent des Gesamtmarkts bei Gebrauchtwagen aus. Laut einer Erhebung der Deutschen Automobil Treuhand für den DAT-Report 2021 können sich aber 30 Prozent der Deutschen grundsätzlich vorstellen, ein gebrauchtes Auto online zu kaufen. Diese potenzielle Nachfrage trifft nun zunehmend auf ein Angebot. AutoScout24 prognostiziert für 2025 bereits einen Online-Anteil von zwölf Prozent. Cazoo-Chef Alex Chesterman geht sogar von 20 Prozent aus.
"Wir erleben derzeit einen großen Umbruch im Gebrauchtwagenmarkt", sagt Lasek. Diese Einschätzung teilt Stefan Reindl, Chef des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA): "Ich gehe davon aus, dass der Autoverkauf der Gebrauchtwagenplattformen zunimmt und weitere Anbieter auf diesen Trend aufspringen." Gleichzeitig schränkt der Experte ein: "Der Markt wird sich in den nächsten Jahren wieder sortieren. Nicht alle Player, die aktuell neu an den Markt gehen, werden am Ende überleben." Der Branche steht ein Konkurrenzkampf mit verworrenen Frontlinien bevor. Einerseits gibt es den Großangriff der neuen Online-Anbieter auf den Handel vor Ort. Andererseits drängen auch klassische Händler ins Netz und bauen ihre digitalen Aktivitäten aus.
Verschärfend kommt hinzu, dass die Onlinehändler unter Zeitdruck stehen. Denn rentabel wird ihr Geschäft – wie in der Plattformökonomie üblich – nur dann, wenn sie durch schnelle Expansion zügig Skaleneffekte erzielen. Cazoo will deshalb bereits 2024 allein in Deutschland 100.000 Fahrzeuge verkaufen. Carvago-Chef Jakub Šulta gibt bis dahin zwischen 30.000 und 45.000 als Ziel aus. Zum Vergleich: Deutschlands größter Autohändler, die Augsburger AVAG-Gruppe, setzte 2020 rund 61.000 Gebrauchtwagen ab.